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holderFOLK lässt Wacholder auferstehen
holderFOLK lässt Wacholder auferstehen
in Konzertberichte 2019 und älter 25.10.2019 14:06von PMausM • | 1.820 Beiträge | 3861 Punkte
Er spricht gern in Rätseln, gemeint ist Andreas Müller, seines Zeichens Chef der Universitas im Bauernhaus in Goßberg. Das Motto der Sonntagsunterhaltung in seinem Hause war diesmal „Rettet die Dörfer“. Nicht so einfach, sich was darunter vorzustellen. Aber wer schon mal in dieser Kult Kulturstätte im Striegistal war, dem ist klar, irgendwas wird er sicher wieder ausgeheckt haben.
Seine Veranstaltungen sind meist ein Gesamtkunstwerk aus Kultur, Essen und ganz wichtig: Bildung und Austausch. Leider erreicht er damit nur wenige Leute aus den Dörfern an der Striegis. Die erschienenen „Eingeborenen“ kann man an fünf Fingern abzählen. Dafür kommen Leute von weit her und diesmal war die Hütte voll.
Ohne Kamera und ohne den Vorsatz, was darüber in schriftlicher Form verlauten zu lassen, machte ich mich mit meinem Mann auf ins Nachbardorf Goßberg. Der Ort heißt so, weil er an einem großen Berg mit 20 % Steigung liegt.
Der Tagesordnungspunkt Bildung bestand aus einem Vortrag, mit dem anschaulich gezeigt wurde, wie städtische Baustile das Dorfbild verschandeln. Anhand von Fotos aus Drehbach im Erzgebirge zeigte Michael Backhaus aus Chemnitz, wie sich Ortsbilder verändern, wenn für die Gegend unpassende Baumaterialen und Baustile zum Einsatz kommen. Ohne dass er den Zeigefinger erheben musste, sprachen die Bilder für sich. Manches hatten wir so noch gar nicht gesehen.
Außerdem war eine Folk Gruppe angekündigt. Das half uns bei der Entscheidungsfindung für diese Veranstaltung. Der Name holderFOLK sagte uns absolut nichts. Im Zeitalter von Google denkt man ja immer, wer dort nicht auftaucht, ist nicht existent. Doch weit gefehlt. Sie haben sich bisher nur gut getarnt. Die Gruppe holderFOLK überraschte uns mit einem echten Paukenschlag, als sie sagten, wie der Name der Band zustande kommt. Mit „Holder“ wollen sie an die Gruppe Wacholder erinnern. Diese Parallele war uns gar nicht aufgefallen. Seit vier Jahren sind diese „herzhaften“ Musikanten mit ihrem Programm unterwegs.
Wie viele Folk Freunde, die Wacholder schon zu DDR Zeiten geliebt haben, waren wir total traurig, dass die angekündigte Tour im Jahre 2018 nicht zustande kam. Schade um ein Stück Geschichte, die nicht weitergeschrieben wird, schade um tolle Folk Songs, sie uns ein ganzes Stück unseres Lebens begleitet haben. Sie waren einfach in der Versenkung verschwunden. Alle Bandmitglieder von WACHOLDER machen noch Musik, nur eben nicht zusammen.
Wie aus dem Nichts tauchte nun holderFOLK mit seinen Musikern aus Freiberg und unserem Nachbardorf Langhennersdorf auf und ließ all diese schönen Lieder auferstehen.
Könnt ihr euch vorstellen, wie wir uns gefreut haben? Aber nicht nur wir zwei Oldies aus dem Striegistal, diesmal war der Veranstaltungsraum unter dem Dach voller erwartungsvoller Menschen, die sich von den Songs begeistern ließen.
Die Bandmitglieder spielen nur aus Spaß an der Freude. Man merkte, wie viel Herzblut sie in dieses Projekt stecken. Eintritt haben sie nicht verlangt.
holderFOLK, das ist Astrid mit ihrer Geige, Kerstin spielt Akkordeon und Flöte, der Gitarrist mit der wechselnden Kopfbedeckung heißt Stefan und die 8-saitige Tenor Ukulele und Mandoline spielt Reiner. Sie singen drei-, teils vierstimmig und haben sich von der Steckdose emanzipiert.
Alle „Holder“ sind Hobbymusiker, die „ordentlichen“ Berufen nachgehen und in ihrer knapp bemessenen Freizeit Musik machen. Zwei Bandmitglieder gehören zur schreibenden Zunft und die anderen beiden geleiten Kinder und Jugendliche auf den richtigen Weg. Den Segen für ihr Projekt haben sie sich von Jörg Kokott (ehemals WACHOLDER) geholt. Außerdem haben sie auch Lieder anderer Künstler auf ihrer Setlist.
Sie starteten mit „Es waren drei Gesellen“ und der Griff in die Kiste mit den lebendigen Handwerker- und Trinkliedern setzte sich fort.
Die Sammlung von Wolfgang Steinitz „Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten“ ist die Bibel der Folk Sänger und sicher auch für holderFOLK eine Schatzgrube.
Die echten Volkslieder verändern sich von Region zu Region. Beim „Bauersmann aus Dithmarschen“ wurde das offensichtlich, die Band verlegte das Lied einfach nach Goßberg und hatte damit die Lacher auf ihrer Seite.
Die Ostdeutschen haben noch ihre ganz speziellen Hörgewohnheiten und können zwischen den Zeilen hören. Das machte zu früheren Zeiten den Reiz dieses Musikgenres aus, das in den 70iger Jahren parallel in Ost und West entstanden war. Es gab zu Hochzeiten 130 Folkgruppen in der DDR. Mit den alten Texten verkündete man Wahrheiten, die in neuen Songs nie durch die Zensur gekommen wären.
Mit den Wahrheiten ist es heutzutage so eine Sache, jetzt hat jeder seine eigene und es gibt nicht mehr so viele Bands, die die Lieder mit dem doppelten Boden pflegen.
Wie bei WACHOLDER gab es bei dem Senker aus Freiberg/Langhennersdorf auch einen irischen Einschlag.
Fiddlers Green und Mac Phersons Abschied erfreuten das Publikum in Goßberg.
„Der Revoluzzer“ von Erich Mühsam, früher gern gespielt von ZUPFGEIGENHANSEL, war ebenso zu hören. Die Folk Klassiker „Bettelvogt“ und „Es waren drei Gesellen“ hatte holderFOLK zudem im Gepäck. Mir gefiel besonders, wie sie mit vielen verschiedenen Instrumenten die Titel aufpeppten. Auch neuere Titel aus der Feder von WACHOLDER Musikern durften nicht fehlen.
Mit „Ade nun zur guten Nacht“ wollte sich die Gruppe von den Menschen verabschieden, die sie ganz fix als Fans gewonnen haben. Aber so einfach kamen sie nicht davon.
Nun zeigten sie uns noch, was sie außerhalb des Themas zu bieten haben. Es kam wie es kommen musste, ein GUNDERMANN durfte nicht fehlen. Sie hatten sich für „Linda“ entschieden, weil zwei Bandmitglieder auch späte Eltern sind und diesen unglaublich poetischen Text nachvollziehen können. Mit „Bella Ciao“ in einer authentischen Fassung, ganz anders als dieser komische Discoabklatsch des alten Liedes, das einst die Arbeitsbedingungen italienischer Reispflückerinnen beklagte und seit langem ein kraftvolles Partisanenlied ist, endete dieses klasse Konzert in Goßberg.
Der Wacholder im Striegistal hat nun Wurzeln und neue Triebe.
Für die Schreiberin beweist sich wieder mal der Spruch: „Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah.“
Aber auch gastronomisch knüpfte Andreas Müller an das Goethezitat an. Es gab Pellkartoffeln aus der Region, die tatsächlich noch kleiner waren, als die aus meiner eigenen Ernte. Die Trockenheit fordert ihren Tribut. Dazu wurde Leberwurst, Quark, Hering und verschiedene exquisite Öle gereicht.
Danke an alle Beteiligten, die Universitas im Bauernhaus hat sich selbst übertroffen.
Schon am 02.11.19 gibt es in Goßberg wieder ein Highlight zu erleben. Es spielt Wade Fernadez, ein Künstler von internationalem Rang aus den USA.
Ach ja, lieber Hartmut, als ich bei FB fragte, ob die Truppe jemand kennt meintest du: Geh doch hin. Du hattest wieder mal recht.
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