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QUINTESSENZ live 1978 in Elsterwerda

in Konzertberichte 2019 und älter 12.02.2014 19:27
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Quintessenz – unbekannt und vergessen (28.03.1978)

Es war eines jener Konzerte, auf das man sich als Veranstalter einlässt, ohne danach wirklich noch ganz genau zu wissen, warum es eigentlich nicht auch anders hätte kommen können. Es gab schon damals viele aufstrebende Bands, die Jahre später in der Spitzenriege agierten, denen man das aber ganz und gar nicht ansah. Man brauchte schon ein glückliches Händchen, um später sagen zu können, sie auf der Bühne gehabt zu haben. Auch bei uns haben damals während der Konzertreihe ROCK-MIX in Elsterwerda mehrere dieser Bands auf der Bühne gestanden. Einige, wie NEUMI’s ROCK CIRCUS oder die FAMILIE SILLY, wurden in der DDR zu Stars und andere kennt heute kaum noch jemand. Die Band, die ich meine, war eine jener vielen Formationen, die sich im Blick zurück als Sammelsurium und Durchlauferhitzer für viele Musiker entpuppte, die heute, Jahre später, immer noch sehr bekannt sind. Die Keimzelle allerdings, wie die Gruppe QUINTESSENZ eine war, haben die meisten inzwischen nicht mehr auf dem Schirm. Der Schatten des Vergessens hat sich über ihrer Geschichte ausgebreitet.

Eines Tages, das weiß ich noch, als wäre es gestern gewesen, saß einer in meinem Büro, hoch oben im Eckerzimmer des Rathauses, der sich als „organisatorischer Leiter“ einer Magdeburger Band vorstellte. Der Mann, ich nenne ihn einfach mal Müller, wollte unbedingt die Gruppe QUINTESSENZ auf unserer Live-Bühne sehen. Allerdings war mir diese Gruppe damals völlig unbekannt und die Referenzen, die er vorweisen konnte, waren es auch. Wir beide haben bestimmt eine gute Stunde miteinander geredet, aber ohne konkretes Ergebnis. Danach ging er wieder und ich hatte den Herrn Müller auch ziemlich schnell wieder vergessen, obwohl wir uns sehr angenehm über Rockmusik und das Hobby Schallplatten unterhalten hatten. Doch ich hatte nicht mit der Hartnäckigkeit des Mannes gerechnet und so saß er eines Tages wieder in meinem Büro. Freundlich nahm er Bezug auf unser vorheriges Gespräch über Schallplatten und Musik, während er vorsichtig und immer noch lächelnd, die dunkle Hülle einer Langspielplatte aus seiner Tasche heraus zog. Als er sie auf den Tisch legte, erkannte ich sie als „Seconds Out“ von Genesis, das legendäre Live-Doppel-Album, von dem man sich damals erstaunliches zu berichten wusste. Es war so ein Augenblick, in dem mein Sammlerherz höher schlug und mein Puls schneller wurde. Allerdings war es auch der Moment, da ich schwach wurde und unser Gespräch eine Richtung nahm, an deren Ende zwei Unterschriften unter einen Gastspielvertrag standen und diese Doppel-LP, ohne dass ein Geldschein seinen Besitzer gewechselt hätte, Bestandteil meiner eigenen Sammlung wurde. Heute würde man das sicher Bestechung im Amt nennen, aber die Ermittlungen würden dennoch im Sand verlaufen. Das habe ich inzwischen auch gelernt. Damals war nur wichtig, dass zwei Seiten gut verhandelt hatten und am Ende mit dem Ergebnis zufrieden waren. Es hätte ja, so dachten wir sicher beide, einer der großen Treffer werden können.

Am 23. März 1978, im Rahmen von ROCK-MIX 3, startete das Konzert mit QUINTESSENZ im damaligen Gesellschaftshaus Hoppenz von Elsterwerda. Da wir die Karten stets als Dreierpack im Anrecht für drei aufeinander folgende Konzerte verkauften, war auch bei der eher unbekannten Band aus Magdeburg die alte Hütte gerammelt voll. Von all den Konzerten, die wir damals aus dem Boden stampften, sind mir nahezu alle in bester Erinnerung geblieben. Dieser Abend mit QUINZESSENZ existiert bei mir leider nur noch als sehr vage Lücke. Vielleicht liegt es daran, dass man auch später nichts mehr von der Magdeburger Band erfuhr. Wir hörten damals Musik, die stilistisch irgendwo zwischen der englischen Jazz-Rock-Band IF, den holländischen EKSEPTION und GENTLE GIANT angesiedelt gewesen sein muss. Das lag zum einem am Saxophon, das zu dieser Besetzung gehörte, und zum anderen an der kräftigen Stimme eines korpulenten Sängers, dessen Name mir ebenfalls entfallen ist. Andere, sonst so typische Momente oder Begegnungen, wie ich sie während anderer Konzerte erlebte, sind in meinem Gedächtnis einfach gelöscht. Geblieben sind mir ein einziges Live-Foto von diesem Ereignis, eine Autogrammkarte sowie ein von der Band signiertes Poster. Selbst ein gewisser Herr Müller hat sich danach, im Gegensatz zu anderen Bandmanagern, von denen ich einige heute noch gut kenne, nur noch einmal mittels einer Postkarte gemeldet, sich aber ansonsten weder sehen noch von sich hören lassen. Der blieb verschwunden und die noch junge Band QUINTESSENZ hat meines Wissens später auch nicht mehr existiert. Die Episode war nur kurz und hatte keine Nachwirkungen in Form weiterer Konzerte, wie ich es später zum Beispiel mit POND oder PRINZIP erleben durfte.

Die Gruppe QUINTESSENZ existierte in einer Zeit, in der es viele Bands aus einer quirligen Szene bis zum Profistatus schafften und sich etablierten. Viele Musiker aus der damaligen Magdeburger Szene findet man später in Berliner Bands wieder, mit denen sie in der DDR erfolgreich wurden. Zumindest zwei von ihnen, nämlich RÜDIGER BARTON und GISBERT PIATKOWSKI, waren für kurze Zeit und in einer frühen Phase auch Mitglieder von QUINTESSENZ, die damals noch als Amateurgruppe im Lande unterwegs war. Auch der Name des Schlagzeugers BERND SCHILANSKI, der heute immer noch aktiv ist, findet sich in der Besetzungsliste wieder. Letztlich aber hat es QUINTESSENZ nicht geschafft, eine feste Größe im Rockzirkus DDR zu werden und eine eigene Präsenz in den Medien zu entwickeln.

Mit diesem Schicksal stehen die Musiker und die Band QUINTESSENZ leider nicht allein da und viele Wege von einstmals hoffnungsvollen jungen Gruppen verlieren sich irgendwo in der Vergangenheit und im Vergessen. Das ist umso bedauerlicher, als dass auf diese Weise der Eindruck bleiben könnte, all das hätte es in dieser engen DDR nicht gegeben bzw. gar nicht geben können. Diejenigen, die vom Gegenteil berichten könnten, leben heute oftmals irgendwo zurückgezogen oder sind inzwischen gar nicht mehr unter uns.
Nur manchmal trifft oder findet man noch einen, wie zum Beispiel KURT „Saftl“ GERLACH, und dann muss man staunen, was alles in so einer Musikerbiografie verborgen sein kann. Aber auch Zeitzeugen, wie etwa der Schreiberling dieser Zeilen, sind nicht mehr die Jüngsten oder leben irgendwo im Lande, versunken zwischen ihren gesammelten Schallplatten, den Fotoalben, den alten Autogrammkarten und anderen seltenen Erinnerungsstücken. Manche leben mitten unter uns, aber geben sich nicht mehr zu erkennen. Schade eigentlich, es gäbe doch noch so viel zu erzählen, zu berichten und für nachfolgende Generationen aufzuschreiben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man mit deren seltenen Erinnerungsstücken ein nahezu vollständiges „Rockmuseum des Ostens“, real und virtuell, aus dem Boden stampfen könnte. Irgendwann, wenn es diese Gesellschaft als Ganzes vielleicht doch noch begreifen wird, sind wir wahrscheinlich alle, wie die Gruppe QUINTESSENZ auch, schon längst unbekannt und vergessen und mit uns die Erinnerungen. Dies hier ist so eine Momentaufnahme.


Angefügte Bilder:
004.JPG
Qintessenz AK.jpg
Quintessenz live.jpg
Rock Mix 3.jpg

www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
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RE: QUINTESSENZ live 1978 in Elsterwerda

in Konzertberichte 2019 und älter 13.02.2014 11:30
von PMausM | 1.820 Beiträge | 3861 Punkte

Sehr interessant zu lesen - eine Band als "Durchgangsstation" - wäre schon interessant, zu erfahren, wohin der Weg die Bandmitglieder dann geführt hat.

Einer der solches Wissen bewahrt hat, ist Stefan Gerlach. Er hat zwei Bücher geschrieben, in denen nicht die Nummer Eins Musiker der damaligen Zeit die Hauptrolle spielen, sondern die Amateurformationen der 60 ziger und 70 ziger Jahre im Erzgebirge und Vogtland.
Die zwei Bücher heißen "In meiner Spur" Als der Beat ins Erzgebirge und Vogtland kam und Von Satori zu Wind, Sand und Sterne.
Für Geschichtsinteressierte ein Muss. Ist auch gut geschrieben und so mancher der noch aktiven Ostrocker findet sich wieder.

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