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THE MUSICAL BOX - live 02. Februar 2007 Arena, Berlin
THE MUSICAL BOX - live 02. Februar 2007 Arena, Berlin
in Konzertberichte 2019 und älter 03.08.2013 17:51von HH aus EE • | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte
The Musical Box - 2007 live in concert ( 02.08.2013 )
Wenn es richtig ist, wie Rock-Historiker meinen, dass die Geschichte der populären Musik immer jeweils nach ungefähr einem Jahrzehnt einen qualitativen Bruch erfahren hat, dann waren die 70er Jahre, nach der Zeit des frechen Ausprobieren und der unbeschwerten Naivität in den 60ern, die Zeit der aufgeblasenen Gigantomanie, des kunstvollen Übereinanderschachtelns von Innovationen und der Egozentrik, bis der Punk und New Wave den Turm in den 80ern wieder zum Einsturz brachten.
Eine der Bands, die mit ihrer Auffassung von Rockmusik neben Gruppen wie YES, ELP oder GENTLE GIANT das siebte Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts prägte, waren die englischen GENESIS. Fünf junge Engländer aus gutbürgerlichem Hause, die sich während unterschiedlicher Studiengänge zu einer jener Bands mauserte, die ein neues Verständnis für Rockmusik mit befördern sollten. Ihre frühen theatralischen Konzerte sind legendär, ihre frühen Alben, von „Trespass“ bis „The Lamb Lies Down On Boradway“, mit komplexen ineinander greifenden Songstrukturen, sind Kult und werden von Fans bis heute hoch verehrt und genau darin liegt deren Sehnsucht begraben.
Vielen Fans liegt die Musik der frühen Alben mit PETER GABRIEL als Sänger viel näher, als das, was nach seinem Weggang und dem Ausstieg von STEVE HACKETT von der Band weiter produziert wurde.
Irgendwann, so der unausgesprochene Vorwurf, wurde die Kreativität vom Kommerz verdrängt und die Hit-Paraden erobert. Die komplexen surrealistischen Klanggewebe, wie die Geschichte „vom Unkraut, das alles überwuchert“, („The Return Of The Giant Hogweed“), wurden live bestenfalls noch zitiert und im Studio fanden sie, spätestens nach „Wind & Wuthering“ (1976) keine Nachfolger mehr. In genau diese „Lücke der Sehnsucht“ stießen einige Musiker aus Kanada mit ihrer Vision, die frühen Jahre der Band noch einmal live, original und authentisch, aufleben zu lassen. Das Bandprojekt nennt sich THE MUSICAL BOX und erblickte, quasi als Re-Inkarnation von GENESIS, 1993 in Kanada das Licht der Rockwelt. Von Genesis und Peter Gabriel erhielten sie, nach gründlicher Prüfung, die Lizenz, die Jahre von 1972 bis 75 für eine bestimmte Zeit noch einmal live aufleben zu lassen.
Mir kam die Kunde von THE MUSICAL BOX und den Konzerten eher zufällig unter. Ein Freund machte mich aufmerksam. Ich suchte, ich fand und letztlich fuhr ich nach Berlin zu einen Konzert. Die Arena am Ufer der Spree war in zwei Hälften geteilt und in dem mit Vorhängen und Traversen abgetrennten Teil im Innern fanden wir drei große Sitzblöcke vor. Allein dadurch waren wir auf einmal in die nahe Vergangenheit versetzt, denn die frühen Konzerte von Genesis fanden in Theatern und ähnlichen Räumlichkeiten statt.
Die Bühne zeigte einen originaler Nachbau der früheren Dekorationen nach den Vorlagen von damals und selbst die Instrumente und Verstärker wurden extra für diese Shows „ausgegraben“. Aus anderen Quellen kann man erfahren, dass es für die Musiker gar nicht so leicht war, an altes und originales Equipment zu kommen, um den Sound aus jenen Jahren wieder authentisch auferstehen zu lassen, denn die Shows sollten bis in kleinste Detail rekonstruiert werden. So suchte man Instrumente jener Zeit wie Melllotron und Hammondorgel, Gitarren, Basspedale und sogar Tubular Bells. Lange wurde getüftelt, um den alten Sound wieder neu entstehen zu lassen und für die Shows durfte man sogar 185 Originaldias sowie die entsprechenden Projektoren der frühen Original-Shows von Genesis verwenden. Entsprechend hoch waren auch die Erwartungen, die man als Konzertbesucher letztlich an so ein Ereignis stellte. Von meiner eigenen Neugier und Hoffnung, endlich einmal ein Gefühl und einen realistischen Eindruck jener Jahre zu bekommen, mal völlig abgesehen.
Schon von den ersten Klängen an war klar, dass dies vollständig gelungen schien. Der Live-Sound war dermaßen nah am Klang der Platteneinspielungen und außerdem verdammt laut, dass ich befürchtete, es könne zumindest mir das ganze Konzerterlebnis verhageln. Zu meiner Überraschung war aber jedes noch so kleines Detail, das man von den Platten kannte, deutlich und ohne Einschränkung, zu hören und wieder zu erkennen. Diese Perfektion schien schon fast an ein Wunder zu grenzen, doch ganz offensichtlich wurde bei „Watcher Of The Skies“, das, so glaube ich, am Beginn der Show gespielt wurde, live musiziert.
Seitdem ich diese Musik von GENESIS zum ersten Mal gehört hatte, konnte ich nun endlich auch die filigrane optische Umsetzung der Kompositionen live erleben. Überhaupt war jedes Detail der Show vollständig auf den Inhalt, statt wie meist bei Rock-Konzerten üblich, auf die Wirkung ausgerichtet. Die Bühnendekoration im Hintergrund wechselte in der Abfolge der Songs sowie während deren Darbietung mit Hilfe von farbigen Lichtspielen, Diaeinblendungen und kurzen Filmsequenzen ihr optisches Erscheinungsbild und es schien, als würden selbst auch die Musiker darin einbezogen.
Ganz links am Bühnenrand saß FRANCOIS GAGNON, der mit seinen Gitarren den Part des Gitarristen Steve Hackett ausfüllte. An seiner Seite stehend SEBASTIAN LAMOTHE, der wie Mike Rurtherford, je nach Notwendigkeit, Bass und Gitarren spielte. Beide halten sich meist dezent im Hintergrund und werden nur in den Phasen, wo es die Dramaturgie verlangt, optisch in Szene gesetzt. Auf der ganz rechten Seite sitzt DAVID MYERS, wie einst auch Tony Banks, hinter einem Arsenal von Tasten fast versteckt und hinter ihm, vom Instrumentarium verdeckt, MARTIN LEVAC am Schlagzeug und, wie Phil Collins auch, den Frontmann beim Gesang unterstützend.
Die Rolle des Peter Gabriel füllt, für mein Verständnis, perfekt DENIS GAGNÈ im Mittelpunkt des Geschehens aus. So wie einst Peter Gabriel schlüpft er in die unterschiedlichen Masken und auch Verkleidungen, die für die jeweiligen Songs und deren Gestaltung notwendig sind. Das macht er dermaßen authentisch, bis hin zum Ablauf und zu den Texten der verbindenden Ansagen, dass man wirklich meint, dort vorn PETER GABRIEL und GENESIS live zu erleben. Ganz offenbar passt auch das Timbre seiner Stimme, sowohl beim Gesang, als auch bei den Wortpassagen ziemlich genau zu dem vom Vorbild. Es ist schlicht erstaunlich, wie prägnant, perfekt und wie in jedes Detail verliebt, die gesamte Show über dieses Niveau gehalten wird. Es gab immer mal wieder staunende Ausrufe des Publikums oder Zwischenapplaus allein der Wirkung wegen.
Ich habe „Watcher Of The Skies“ (Beobachter der Lüfte) dermaßen intensiv erlebt, über den Umgang und die Wirkung von Masken und visuellen Effekten gestaunt, dass ich glaubte, so etwas besser und noch einmal nicht mehr geboten zu bekommen. Gleiches gilt für „Get ’Em Out By Friday“ sowie „Return Of The Giant Hogweed”, wobei wahrscheinlich ohne gute Kenntnis der englischen Sprache viele humorvolle Details der Zwischentexte, wie zum Beispiel bei „Firth Of The Fith“, verloren gingen. Aber selbst für einen, der vielleicht sogar alles verstanden haben kann, war es wohl schwierig, die Fülle der Details, optisch, akustisch oder der Dramaturgie, auf ein Mal zu verarbeiten. Ich selbst habe die mir bekannte Musik eher unterbewusst in mich aufgesogen, aber für alles andere, was da optisch geschah, wohl nur großes Staunen gefühlt und erlebt.
Am Ende der Show, so wie man es vom Album GENESIS „Live“ (1973) kennt, standen die Darbietung von „The Musical Box“ sowie „The Knife“. Darauf hatten offensichtlich auch alle in der Berliner ARENA gewartet. Der Song „The Musical Box“ erzählt die surrealistische Geschichte zweier Geschwister, Henry und Cynthia, die ihren Bruder mit einem Cricket-Schläger tötet, indem sie seinen Kopf in eine Musik-Box schlägt. Der Songs aus dem Album „Nursery Cryme“ (Verbrechen im Kinderzimmer) ist einer der Kult-Songs der Engländer und endet in einer finalen „Closing Section“, die vor allem durch ihr markantes Orgelspiel in der Schluss-Szene berühmt geworden ist. Ähnliches gilt auch für „The Knife“ vom Album „Trespass“ (1970). Diese beiden Klassiker einmal live und quasi wie im Original in den frühen 1970 Jahren erlebt zu haben, gehört zu den schönsten Erfahrungen, seitdem ich zu Konzerten fahre.
Während des gesamten Konzertes, und im Innenraum sowieso, war das Fotografieren der Show aus rechtlichen Gründen strengstens untersagt. Nachdem alles vorüber war, bin ich noch zum Stand der Band im Foyer gegangen und hatte Glück. Zwei der Bandmitglieder von THE MUSICAL Box kamen nach draußen. Es gibt zwar keine Platten oder CD’s der Band, aber man konnte dort ein Plattencover erwerben, dass in seiner Gestaltung dem Doppel-Album „The Lamb Lies Down On Broadway“ von GENESIS nachempfunden ist.
Dieses Cover habe ich mir vom Drummer und vom Gitarristen als Erinnerung signieren lassen. Das wirklich sehr schöne Teil hat einen Ehrenplatz in meiner Sammlung gefunden. Für alle, die bisher keine Chance hatten, die Kanadier live zu erleben, können mit etwas Glück irgendwo deren Live-DVD finden und sich dann in aller Ruhe und zu Hause von den Darbietungen der MUSICAL BOX aus Kanada verzaubern lassen. Allerdings, so hilfreich ein solcher Silberling auch sein mag, vermittelt er nicht mal ansatzweise den Eindruck, den man bei einem Konzert von THE MUSICAL BOX zu sehen und zu hören bekommt. Meine leise Hoffnung ist, die Kanadier mögen sich noch einmal in meine Nähe verirren und die Lizenz zum Abtauchen in die frühen Genesis-Jahre in der Tasche haben. Dann wäre ich noch einmal dabei und würde mir die surrealistischen Märchen für Erwachsene noch einmal vorsingen lassen.
www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
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