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RIO am Piano „Das alles und noch viel mehr“ am 9. November 2019 im "Pahlitzschhof" Dresden
RIO am Piano „Das alles und noch viel mehr“ am 9. November 2019 im "Pahlitzschhof" Dresden
in Konzertberichte 2019 und älter 28.11.2019 18:24von Kundi • | 3.250 Beiträge | 7335 Punkte
Vor genau 30 Jahren war der 9. November ein Donnerstag. Das weiß ich noch wie heute. Ohne heute näher darauf eingehen zu wollen, sei erwähnt, dass das ein geschichtsträchtiger Tag für uns Deutsche ist (1918 - Novemberrevolution-Ausrufung der Republik, 1938 - die schreckliche Reichsprogromnacht, 1989 – Öffnung der deutsch – deutschen Grenze).
Anno 2019 fiel der neunte Tag im elften Monat des Jahres auf einen Sonnabend und dieser Tag war für mich dazu noch ein Muggenpilgertag. Unsere Freunde vom Verein „QUERFORMAT“ e. V. Dresden hatten an diesem Abend auf dem Pahlitzschhof zu Dresden wieder ein Konzert organisiert. Das wollte ich mir nicht entgehen lassen, denn im Mittelpunkt des Programms standen Lieder und Geschichten von bzw. über RIO REISER. Singen und aus erzählen aus König RIOs Leben sollte der Fürstenwalder Musiker Jan Preuß und Steffen Rose sollte ihn musikalisch auf dem Piano begleiten. Das Programm trug den Titel RIO am Piano „Das alles und noch viel mehr“
Ich freute mich auf diesen Abend, auf das Wiedersehen mit Freunden und natürlich auch auf die Mugge. Seit vielen Jahren bin ich nun schon RIO-fiziert und ich kann immer noch nicht genug von RIO REISER und den SCHERBEN bekommen.
Das Duo Preuß/Rose (auch der Bandname „SOLO FÜR ZWEI“ ist möglich) hatte ich im Sommer 2017 schon mal verkürzt (ca. 1 Stunde) auf dem leider nicht mehr existierenden Kunsthof Mockethal mit Ausschnitten des damals in Entstehung begriffenen RIO REISER-Programmes erlebt. Das hat mir damals schon sehr gut gefallen und deshalb habe ich Jan und Steffen seitdem auch immer im Blick.
Als ich eintraf war für die Show bereits alles vorbereitet. Freundliche und lockere Atmosphäre umfing mich. Künstler, Vereinsmitglieder und Besucher waren gut drauf.
Ich freute mich, dass auch der Dresdner Musiker FRANCIS STRING sich unter den Gästen befand. Ihn hatte ich ja ebenfalls eine gefühlte Ewigkeit nicht gesehen.
Veranstalter Lutz Stein stellte die Musiker kurz vor und machte anschließend Platz für sie. Kurz nach 20:00 Uhr betraten Sänger Jan Preuß und Pianist Steffen Rose die Bühne.
Der Sänger, Texter, Liedermacher Jan Preuß wurde unter anderem durch die Band Jan Preuß & die Geheime Gesellschaft und das Duo SONDERSCHICHT (mit Akim Jensch) bekannt. Steffen Rose spielte ebenfalls bei der GEHEIMEN GESELLSCHAFT. Leider gab die Geheime Gesellschaft im April 2017 ihr letztes Konzert.
Übrigens war auch Klaus "Funky" Götzner ein Geheimgesellschafter. Funky spielte mit Rio Reiser ja bereits in den 70er Jahren bei TON STEINE SCHERBEN zusammen. Zu Jan Preuß ist weiterhin zu sagen, dass er zusammen mit Ricardo Liebsch im Jahr 2015 die Parkbühne Fürstenwalde zu neuem Leben erweckte. Nach ungefähr einem Jahr hat sich Jan dann zurückgezogen.
Jan Preuß erklärte uns mit einigen Worten, was es mit dem Programm "Das alles und noch viel mehr" auf sich hat. Der Fürstenwalder ist seit Jahrzehnten von RIO bzw. TON STEINE SCHERBEN fasziniert und diese ganzen Songs gehören zu seinem Leben.
Schon die gewählte musikalische Eintrittspforte ins RIO-Land war so schön und emotional, dass man vor Freude, Verstehen und Wohlbehagen fast heulen wollte. Jan fing ausdrucksvoll und doch behutsam zu singen an: „Tag für Tag weht an uns vorbei. Bringt das Boot in den Wind …“. Na klar, das war „Übers Meer“ von RIO REISERs 1987er Soloalbum „Blinder Passagier“. Es war einfach wunderbar, dieses Lied über Sehnsucht nach Land/Heimat und der bzw. den Liebsten so zu hören.
Schon in diesen Minuten fühlte ich mich gut versorgt und gut behütet im RIO-Land.
Selbstverständlich gehört „Übers Meer“ zu den bekannteren Songs. Aber Wer die "Am Piano"-CDs aus RIO REISERS musikalischen Nachlass kennt, oder sich an einzelne solo am Klavier begleitete Lieder während seiner Konzerte erinnern kann, der wird wissen, dass das ganz intensive, emotionale, magische und unvergessliche Momente waren, wenn RIO ganz allein agierte. Die Lieder entfalteten so entblättert von den anderen Instrumenten und nur von RIOs Stimme sowie seinem Klavier-Spiel getragen ein neues Eigenleben. Deshalb war der selbige Ansatz der Herren Preuß und Rose auch sehr passend.
Es waren aber nicht nur die Hits von RIO REISER bzw. TSS, welche Eingang in dieses Programm fanden. Auch rare und zum Teil vielleicht unbekannte Stücke durften die Dresdner hören.
Jan Preuß holte sich dazu Anregungen und Lieder aus der im Jahr 2016 erschienen RIO REISER-Blackbox, welche 16 CDs mit insgesamt ca. 350 Liedern umfasst. Diese Zusammenstellung, zeichnet RIO REISERs musikalisches Leben und seine künstlerische Entwicklung nach. Coversongs, Kinderlieder, Theatermusik, Demoversionen und viele, viele bis dahin unveröffentlichte Songs sind dort vereint.
Zu verdanken haben wir dieses Stück Kulturgut RIO‘s musikalischen Nachlassverwalter und das ist der Gitarrist und Sänger Lutz Kerschowski. Der Ostrocker, der in den achtziger Jahren einer eigenen Band seinen Namen gab, spielte nach der Wende jahrelang in der Band von RIO REISER.
Die Mischung aus Liedern, Informationen zu den Songs und deren Entstehung sowie deren Verknüpfung mit eigenen Erfahrungen und Gefühlen war richtig gut dosiert. Da war kein Wort zu viel oder überflüssig.
Ein Sänger, der seine eigene Seele in jedes Lied legte und ein Pianist, der nahezu unauffällig und doch höchst wirksam jeden Ton setzte, ließen bekannte und eher nicht so bekannte Klangperlen aus REISERs musikalischen Erbe im neuen Musikgewand erstrahlen. Künstler und auch Lieder präsentierten sich so irgendwie verletzlich, nahezu ungeschützt und vielleicht sogar mal befreit von musikalischen Ballast. Das haute manchmal richtig ins Gemüt rein, weil die emotionale Wirkung zum Teil viel tiefer war, als allgemein bei dem jeweiligen Lied sonst üblich.
„Wilde Walzer“ war ein Lied, welches RIO für Ulla Meinecke schrieb und welches auf ihrer 1987er LP „Der Stolz italienischer Frauen“ zu finden ist. In der Blackbox gibt es von Reiser auch eine Demoversion des Liedes. Beide arbeiteten gelegentlich zusammen und sie waren wohl auch befreundet.
„Ich werde dich lieben“ (im Original „Theme for Young Lovers“ geschrieben vom THE SHADOWS-Gitarristen Bruce Welch im Jahr 1964), wurde auch von der großen MARLENE DIETRICH entdeckt. Sie hat höchstpersönlich einen deutschsprachigen Text dazu geschrieben und das Lied gerne live gesungen. RIO hat dieses großartige Liebeslied von ihr übernommen und am Klavier gesungen. Bei Zeilen wie „Ich werde dich lieben, ich werde dich lieben, werd‘ dich lieben weit über den Tod.“ (Refrain des Liedes) braucht man sicher keinen extra Liebesschwur mehr erfinden. Als Jan und Steffen diese Nummer und danach gleich das bekannte „Für immer und dich“ interpretierten, hätte man eine Stecknadel fallen hören können. So gebannt lauschten die Zuhörer.
Diese Liebeslieder sind absolut kein Kitsch und sie gehen auch niemals als solcher durch, weil RIO diese Lieder nicht einfach nur so sang, sondern sie förmlich mit jeder Faser seines Körpers und seines Geistes lebte. Jan Preuß ging ähnlich an die Interpretation der Lieder heran.
Ich glaube, das Songmaterial von RIO kann nicht jeder Trottel, der zufällig mal ein paar Töne trifft, covern. Da muss man als Musiker schon auch einen emotionalen Zugang finden und hinter den Liedern stehen. Jan macht das alles wirklich gut und in Stefan hat er den richtigen musikalischen Partner gefunden.
Die leise und spartanisch begleiteten Lieder passen sehr gut in die jetzige Zeit. Das heißt, es sind absolut zeitlose Songs, denn sie waren schon zum Zeitpunkt ihrer Entstehung Klasse und sie sind es heute immer noch.
Nach „Halt dich an deiner Liebe fest“ wurde das Emotionskino für ein paar Minuten in die Hofpause geschickt. So eine starke erste Runde will ja auch erstmal verarbeitet sein. Nach meinen Erfahrungen ist so eine Unterbrechung bei Konzerten dieser Art durchaus angezeigt, denn die Aufnahmefähigkeit für Emotionen, eigene Gedanken, Gefühle ist nach so einem Erholungs-Break einfach wieder viel besser. Man kann dem zweiten Teil dann auch voll genießen.
Ein Lied von TON STEINE SCHERBEN aus dem Jahr 1972 brachte uns nach der Pause schnell wieder in die RIO-Spur. Es war „Der Traum ist aus“ oder wie ich das Lied auch gerne in Anlehnung an Goethes „Faust“-Monolog auf dem Sterbebett „(Faust – der Tragödie zweiter Teil“) nenne, „RIOs Version einer künftigen Gesellschaft“. Bei REISER bleibt es aber nicht allein bei den Gedanken zum Paradies, sondern er schreit auch eine gehörige Portion Gesellschaftskritik heraus:
„Gibt es ein Land auf der Erde, wo der Traum Wirklichkeit ist?
Ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß nur eins und da bin ich sicher,
dieses Land ist es nicht. Dieses Land ist es nicht.“
Dieses Land ist es heute immer noch nicht und ich habe auch Konzerte der Band WunderbunTd erlebt, da hat der ganze Saal diese Zeilen gebrüllt. Jeder Ruf war wie ein Ohrfeige für unsere Berufspolitiker. Es war aber auch mal schön diese abgespeckte Version des Liedes von Jan Preuß und Steffen Rose zu hören.
Der „Shit-Hit“ ist ein echter Drogensong. Es ist nach meiner Auffassung eine ironisch angelegte Auseinandersetzung mit dem eigenen Drogenkonsum. RIO war in der Beziehung ja auch nicht gerade unbeleckt. Als Lied ist das Stück ja ganz witzig, aber hier hebt Onkel Kundi mal mahnend und warnend den Finger: das mit den Drogen nicht nachmachen, liebe Kinder.
Am Freitag dem 13. Dezember 1992 fand in Frankfurt/Main ein Konzert gegen rechtsextremistische Gewalt statt. Die Veranstaltung trug den Titel „Heute die! Morgen Du!“. Wir erinnern uns, das war die Zeit als der ausländerfeindliche Mob in Rostock-Lichtenhagen tobte und als in Mölln unschuldige Menschen durch neofaschistische Brandanschläge ums Leben kamen. Bei der Veranstaltung in Frankfurt/Main traten damals so ziemlich alle auf, die Rang und Namen in der deutschen Musikszene hatten. LINDENBERG, LAGE, KUNZE, GRÖNEMEYER, BAP, DIE TOTEN HOSEN, RAINBIRDS, FANTA4 usw.
Auch RIO REISER war damals dabei „Der Traum ist aus“ sang er gemeinsam mit Marianne Rosenberg. Aber an dieser Stelle kam in Dresden das andere Lied, welches sich unter anderem intensiv mit den Menschen in der deutschen Geschichte und Gegenwart beschäftigt hat, die weggeschaut haben und/oder von nichts gewusst haben wollten. Es handelt weiterhin von Leuten, die besorgt sind um Deutschlands Ruf, statt sich Sorgen um die wirklichen Opfer zu machen und von denen, die gegen Menschen sind, die auf Grund ihres Aussehens, ihrer sexuellen Orientierung oder Religion anders sind. Das ist schon starker Tobak, den Ulla damals formuliert hatte, aber leider ist der Song auch heute noch aktuell. Deshalb musste ich im Pahlitzschhof auch ganz schön schlucken als Jan das sang. Der Titel hieß „Zeitreise“, er ist aber auch unter der Bezeichnung „13. Dezember“ bekannt. RIO hat den Song komponiert, der Text stammte von Ulla Meinecke. Beide führten das Lied auch bei „Heute die! Morgen Du!“ auf.
Eine schöne Geschichte rankt sich um das Lied "S.N.A.F.T." vom schwarzen Doppelalbum. Der Kollege Preuß erzählte sie auch gleich in seiner Ansage. Das Stück sollte ursprünglich "Sanft" heißen. Beim Abtippen des handgeschriebenen Textentwurfs wurde jedoch versehentlich "snaft" geschrieben. Das führte zur Idee hinter jeden Buchstaben einen Punkt zu setzen (also "S.N.A.F.T."), um so für die Konsumenten die Verwirrung erstmal komplett zu machen.
Die letzte halbe Stunde des Abends war dann den Hits vorbehalten. Lieder wie Rauchhaussong“, „Jenseits von Eden“, „Keine Macht für niemand“oder
„Der Turm stürzt ein“ fordern ja eigentlich schon von allein zum abhüpfen auf, aber im Rahmen dieses möblierten Raumes war das schwer bzw. nahezu unmöglich. Aber genießen konnte man die Musik und das taten die Zuhörer ausgiebig.
Natürlich wurde musikalisch auch noch der „König von Deutschland“ gekrönt Er trug den Krönungsnamen RIO I. Das war aber noch nicht das Ende des Konzertes, denn das Programm kam beim Publikum dermaßen gut an, dass sich die Musiker nicht lange zierten und noch ein paar Zugaben brachten. Darunter waren auch meine beiden Lieblingslieder „Zauberland“ und „Junimond“. Übrigens stieg auch Francis String beim letzten Lied gesanglich mit ein.
Glück liegt im Leben manchmal in den kleinen Dingen. Diese fast Wohnzimmermugge im Pahlitzschhof war so ein kleiner Glücksfall. Auch ein einzelner Sonnenstrahl kann den Körper wärmen, diese Duo zu zweit-Mugge wärmte Herz und Seele.
Gruß Kundi
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