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SILLY in HALLE - das Finale der "Wutfänger-Tour"

in Konzertberichte 2019 und älter 10.12.2018 20:00
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Silly in Halle (08.12.2018)

Es ist kein Paukenschlag, höchstens ein leises weihnachtliche Klingeling unter dem großen Riesenrad nebenan auf dem Markt in Halle: SILLY wird mit Anna Loos heute ihr letztes Konzert geben. Danach geht man auf getrennten Wegen, in welche Richtung auch immer, sagt man. Während ich bei meinem letzten Konzert von Electra in Magdeburg Stolz und auch Wehmut empfand, ist es heute ein dumpfes Gefühl von Erleichterung und Hoffnung. Auch Neugier, wie ein Abschied als gemeinsames Bandprojekt über die Bühne gehen würde. Diesen Konzertbesuch hatte ich nicht geplant, er hat sich ergeben. Mal sehen und hören, wie es werden würde, hatte ich mir gedacht. Erwartungen? Keine.

Gleich hinter dem Finanzamt findet der ungeübte Besucher die Händelhalle. Ein Schelm, wer dabei ins Grübeln kommt. Wie eine Landmarke steht ein bunt leuchtendes Riesenrad gegenüber einer Passage, die entlang an der glatt polierten Fassade vom Amt zum Kulturtempel führt. Nur wenige Meter weiter kann ich das dichte Treiben im Foyer der Konzerthalle hinter den Glastüren beobachten. Endlich oben im Saal angekommen, warte ich stehend auf den Konzertbeginn. Alles geschieht ganz unspektakulär. Kein Souvenir-Stand mit Fanartikeln zu entdecken und letztlich sogar noch genügend Platz für weitere zweihundert Besucher, wenn sie denn kämen. Dunkelblau kalt leuchtet das Silly-Logo von der Bühne und dann grummelt es aus den Boxen.

Das Kreischen der Fans in den vorderen Reihen geht im Sound unter, als die Musiker erscheinen und kurz danach die strohblonde ANNA LOOS, die in die tickenden Pianotupfer von „Kampflos“, einsteigt. Daraus wächst ein stampfender Rhythmus und ich sehe die Reihen da vorn wippen. Einstieg geglückt und als aus dem Text die Zeile „die Welt ist so bunt“ herauszuahnen ist, steigt ein bunter Schwall von Luftballons aus der Menge über die Köpfe. Dass „Liebe überall im freien Fall sein soll“, wie die Blonde ANNA singt, mag ich dennoch, so platt mit den Worten gespielt, nicht akzeptieren. Mit „Zwischen den Zeilen“ und „Die Anderen“ folgen zwei weitere Lieder im gleichen Strickmuster vom aktuellen Album „Wutfänger“. Die Band rockt, der Rhythmus hüpft in die Beine und ANNA rennt und springt über die Bühnenbretter. Alles grundsolide im kompakten Sound der Band, von Profis am Pult gemixt. Nur die Stimme der Blonden ist nicht deutlich genug zu verstehen, aus welchem Grund auch immer.

Doch dann stellen sich meine Ohren auf und vorn wird laut gejubelt. Aus dem Sound schält sich klar und deutlich eine wohlbekannte Weise, die so intensiv anders zu mir dringt. Es sind die „Verlorenen Kinder (von Berlin)“ die mich berühren und beinahe weihnachtliches Flair in den Saal zaubern. Man liegt sich verträumt in den Armen und lauscht den Worten, mit denen man Erinnerungen verbindet und Geschichten, wie der vom „Battailon d’Amour“, die noch immer tief unter die Haut geht und der Fretless-Bass von JÄCKI singt seine warme traurige Melodie dazu. Irgendetwas ist anders in diesen wenigen Minuten, in denen die Körper im Saal den wohlbekannten Grooves folgen und erst im Spot des Kegels, in dem RITCHIE ein Piano-Solo zaubert, langsam ausklingen und sich in der „Furcht der Fische“ langsam verlieren. Das waren echte Gänsehautmomente!

Die Band spult ihre aktuellen Hits, zwischen „Regenbogenmond“ und „Deine Stärken“, professionell und wie nicht anders erwartet, auf der Bühne ab. ANNA gibt die lockere Pop-Queen, sie plaudert, sie tanzt auf den Bühnenbrettern und sie ist begeistert vom „geilen“ Publikum und diesem wunderbaren Abend hier in der Halle von Halle. Die in den ersten Reihen, die den Fanclub bilden, tanzen mit und selbst hier hinten, wo die Zwischenräume größer sind, tanzen einige selbstvergessen vor sich hin. Also ist alles wie immer? Ich war nicht „immer“ dabei, aber als ich diese Band vor zwei Jahren zum letzten Mal sah, da wirkte das Konzert wie einer Choreografie folgend. Heute scheint ANNA LOOS wie von der Leine (loos)gelassen. Sie fragt: „Geht es Euch gut?“, sie quasselt überdreht und für meine Begriffe viel zu viel. Manchmal auch einfach nur Unsinn.

Mir scheint auch, dass da vorn mit UWE HASSBECKER, JÄCKI REZNICEK und RICHTIE BARTON noch immer das wahrscheinlich beste Rock-Trio hierzulande unterwegs ist, das auf Hochtouren, präzise wie ein Motor, rockt und die Dame da vorn mitnimmt (und nicht anders herum). Es ist die Band SILLY, die den Taktstock schwingt und die jüngsten Silly-Songs, einen nach dem anderen, abspult und auch mit instrumentalen Finessen für die Feinschmecker garniert, damit ja die Spannung zwischen diesem oder jenem nicht abfallen möge. Richtig spannend wird es für meine Begriffe immer dann, wenn der Lauf von einem Klassiker unterbrochen wird. Dann bejubelt man in der Halle den „Mont Klamott“ und singt den „Schlohweißen Tag“ textsicher, quer durch die Altersklassen, mit. Das Vorher“hör“bare ist dann unterbrochen und man genießt die vertrauten komplexen Klänge. Solche Augenblicke empfinde ich als die eigentlichen Höhepunkte. Diese Themen, die Melodien und deren Lyrik berühren mich einfach auf andere, sensiblere Weise und finden so den Weg bis zu meinem Herzen. Es mag der Eindruck trügen, aber hier hinten versteht man immer dann die gesungenen Worte am besten, hört man jede Nuance aus der Lyrik heraus, wenn die Klassiker erklingen. Vielleicht auch, weil sie sich in all den Jahren nicht so schnell verflüchtigt haben.

Zum Ende hin aber wird noch einmal gnadenlos gerockt. Die Gitarren brettern die Riffs, SILLY peitscht den Rhythmus und die blonde ANNA animiert zum Tanzen bei „Willkommen in der Gemeinschaft“. Mit „Wo fang ich an“ schließlich versucht die Band sich zu verabschieden und ANNA nimmt ihre Fans noch einmal mit in den großen Chor („Oh Oho“), der zum Abgesang für heute (oder länger?) wird. Es gibt die Verbeugung für ein Gruppenfoto und dann minutenlangen Applaus zur Bühne, die in dunkles Blau, wie zu Beginn, getaucht ist.

Wenig später sitzt dort, im Blaulicht kaum sichtbar, UWE HASSBECKER und zupft orientalische Klänge aus den Saiten einer kretischen Laute. Die sind messerscharf, schneiden die Luft zu Häppchen und da hinein, zum harten Rhythmus der Trommeln, marschieren die anderen Bandmusiker auf: „Vaterland“. Das ist der berühmte Augenblick, der an der Seele kratzt und ich mir wünsche, von dem Kaliber hätte es in den Jahren mehr gegeben: Dieser Song ist originell, er ist bissig, leidenschaftlich und er versucht auch, zärtlich zu sein, aufzurütteln, ohne zu belehren. Da haben sie mich dann doch wieder, so wie in Goslar vor zwei Jahren auch, und tief drinnen weiß ich, dass es etwas mit den Worten zu tun hat, die klingen. Dass danach noch, als zweite Zugabe, „Alles Rot“ gespielt wird, bekomme ich nur noch unten auf den Stufen sitzend, durch die Beine der vor mir Stehenden, mit. Die Anspannung ist raus und die Neugier (für mich), der ich die FAMILIE SILLY einst selbst auf der Bühne hatte, nun beantwortet. Die Band fackelt derweil da vorn ein instrumentales Superfeuerwerk bis zum wuchtigen Schlussakkord ab.

Im Grunde ist es (mir) egal, was da hinter den Kulissen gelaufen ist oder läuft. Die Band und Sängerin haben ein Top-Konzert gespielt, schließlich sind sie Profis. Von einer kleinen Panne abgesehen, haben wir ein perfektes SILLY-Konzert mit einer äußerst aufgeweckten ANNA erlebt. Alles wirkte aus einem Guss und nur dann, wenn die Klassiker eingeschoben wurden, erlebte das Publikum echte Höhepunkte im Set und da ragte mit „Vaterland“, hell erleuchtet, ein besonderes Licht heraus, das hoffen lässt. Am Ende des Abends wünsche ich mir, dies möge das letzte Konzert in dieser Konstellation gewesen sein, aber nicht das letzte von SILLY. Die Band wird eine neue Zukunft haben, da bin ich mir sicher. Kann gut sein, dass es eine Zukunft ohne ANNA LOOS wird, die für eigene Ambitionen auf eigenen Pfaden plant. Dazu musste man vor und bei diesem Konzert nicht unbedingt im Kaffeesatz lesen können. Das Knistern war auch so zu spüren. Bewerten möchte ich das nicht, eine eigene Meinung habe ich wohl und die muss nicht jedem gefallen: „Doch die Gedanken haben schon immer freie Wahl“ („Frei“).


Angefügte Bilder:
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www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
zuletzt bearbeitet 10.12.2018 20:03 | nach oben springen

#2

RE: SILLY in HALLE - das Finale der "Wutfänger-Tour"

in Konzertberichte 2019 und älter 10.12.2018 22:33
von toms-daddy | 99 Beiträge | 223 Punkte

Hallo zusammen, es gibt Gründe für meine längere Zurückhaltung, aber keine Sorge, die haben nichts mit euch zu tun... Petra und Kundi kennen solche Situationen leider auch selbst , wenn der Fokus zwangsweise woanders liegen muss... Aber nicht erst seit den Weltfestspielen wissen wir: vorn ist das Licht!
Danke Hartmut ( nicht nur, aber ganz besonders ) für diese eine Formulierung, die es auf den Punkt bringt: "möge es das letzte Konzert von Silly in dieser Konstellation, aber nicht das letzte von Silly sein." - genau so empfinde ich das auch. Der Neubeginn mit Anna war damals sicher eine Win- Win- Situation, die weitere Entwicklung hat mich dann aber erst befremdet, dann nicht mehr interessiert. Ich mag weder Annas Art zu singen noch ihre Texte. Aber das ist meine ganz eigene Auffassung, andere dürfen das gern anders sehen, kein Problem. Ich hatte mir bei den letzten beiden Alben gewünscht, einen Mix ohne Anna hören zu können, weil Musik & Arrangements wirklich ein ganz hohes Level haben.
Wenn es einen Neustart gibt, dann wünsche ich mir als neue Sängerin Anja Krabbe oder Annett Kölpin ( ehemals Datzu) und Texte von Karma oder Sellin. Das könnte ganz großes Kino sein!!!
Aber zugleich stellt sich die brutale Frage: wer spielt es, wer hört es, und schließlich: wer kauft es und wer bucht die Band, wenn es wieder weg geht vom massentauglichen Ohoho...
Gedankensprung: auch wenn es noch etwas hin ist: ich wünsche euch allen ein paar ruhige Tage und vor allem ein friedliches und gesundes Jahr 2019.
Bis demnächst - an oder auf irgendeiner Bühne!

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#3

RE: SILLY in HALLE - das Finale der "Wutfänger-Tour"

in Konzertberichte 2019 und älter 11.12.2018 01:12
von SN-Nittel | 329 Beiträge | 724 Punkte

Deine Zeilen haben mich sehr interessiert und bin auch etwas überrascht das du da dabei gewesen bist. Der Bericht wiederspiegelt aber auch einiges was ich empfunden habe beim letzten Konzert und nach den neuen Infos über die Band.

Wie du auch schreibst, arbeitet Silly sehr professionell und hatte für mich in den letzten 10 Jahren eine gute Zeit. Besonders 2010 bis 2014 war ein absoluter Höhepunkt.

Da war die Polpularität auf jeden Fall größer als zur Wendezeit mit Tamara.

Damals hatte die Band mit der neuen Entwicklung zu kämpfen und Tamara Danz, so kam es mir damals vor, war nicht über begeistert bei den Konzerten nach der Wende. Viele Fans hatten nur die neue Freiheit im Kopf. Ich schließe mich da nicht ganz aus. Aber an 2 Konzis mit der alten Mannschaft kann ich mich noch erinnern.

Irgendwann kam dann Anna und sie hat sich sehr gut entwickelt und die Band hatte echte Ohrwürmer in dieser Zeit. Dazu die alten Tamara Songs. Was will man mehr.

Das jetzt Einiges für Trennung spricht. Naja Schade, aber vielleicht geht es nicht anders.

Ich war schon etwas verwundert als ich vor Tagen die Soloambitionen von Anna Loos gelesen habe. Mich persönlich wird es da nicht hinziehen. Aber was wird aus dem Rest?

Es wäre traurig, weil es echte Musikgrößen sind. Die 3 gehören einfach zur Musiklandschaft hier und zu meiner Musikgeneration. Mal schauen….Alles Gute Silly

PS....ich liebe auch kleine Bands und Konzerte und in der meiner Bluesszene sowieso üblich...das Silly in den letzten Jahren mehr auf Popularität gesetzt hat und viele Hörer ansprechen wollte...finde ich nicht negativ.

zuletzt bearbeitet 11.12.2018 01:14 | nach oben springen

#4

RE: SILLY in HALLE - das Finale der "Wutfänger-Tour"

in Konzertberichte 2019 und älter 11.12.2018 05:17
von Kundi | 3.250 Beiträge | 7335 Punkte

Herzlichen Dank für Deine Rückschau auf das SILLY-Konzert, lieber Hartmut.

Ganz ehrlich, böse bin ich über die Trennung von Anna auch nicht. Mich hatte SILLY mit den Anna-Alben nicht mehr erreicht. Deshalb habe ich mir die Band auch nicht mehr live angesehen. Gleichwohl war die Wahl von Anna als ständige Frontmann damals ein cleverer Schachzug der Band. Das Medieninteresse war groß und diese Zusammenarbeit gab der Band einen enormen gesamtdeutschen Popularitätsschub. Musikalisch und inhaltlich war mir das alles jedoch zu glatt und beliebig. Bis auf "Vaterland" kam in der Anna-Zeit nichts Großes. Ich sehe daher die Trennung eher als Chance für die SILLY- Männer für einen Neuanfang. Eine Rückkehr zu den alten Wurzeln und Stärken kann den Männern nur gut tun.

Gruß Kundi


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