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18. JAZZ - NACHT in Halberstadt
18. JAZZ - NACHT in Halberstadt
in Konzertberichte 2019 und älter 25.04.2017 14:59von HH aus EE • | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte
18. Jazz-Nacht Halberstadt (22.04.2017)
Die 18. Jazz-Nacht in Halberstadt steht auf meinem Plan und schon seit dem zeitigen Frühjahr liegt die Karte griffbereit. Seit Wochen ist das Theater ausverkauft und ich will diesmal dabei sein, allein um mitreden zu können und auch, um die Neugier zu befriedigen. Dem befreundete großartige Jazz-Musiker Warnfried Altmann war es gelungen, mich mehrmals zu Events seiner Konzertreihe „Freie Klänge“ in Magdeburg zu locken. Diese Erlebnisse haben jedes Mal meine Grenzen der Erfahrung ein Stück weiter verschoben und deshalb bin ich auch neugierig, was mich bei der Jazz-Nacht 2017 im Theater von Halberstadt erwarten wird.
Im vorderen Drittel sitzend, bestaune ich einen spartanischen Aufbau vorn auf der Bühne: Schlagzeug, Kontrabass, Gitarre und zwei unscheinbare Boxen. Vor einem blauen Bühnenhintergrund wirkt dieses Set beinahe minimalistisch. Das Auditorium ist vollständig versammelt, als die drei Musiker vom JAKOB BRO TRIO die Theaterbühne betreten. Nichts deutet darauf hin, dass sich in diesen Augenblicken drei absolute Weltstars an ihren Arbeitsplatz begeben. Das werde auch ich erst neunzig Minuten später realisiert haben.
Zunächst beginnt der amerikanische Drummer JOEY BARON, der bereits mit Dizzy Gillespie, Marianne Faithfull, Laurie Anderson oder Al Jarreau gearbeitet hat, seine Becken und Felle ganz zart mit bloßen Händen zu berühren, zu streicheln, ja beinahe zu liebkosen. Langsam beginnt es zu schwingen und zu flirren, als würden tausend kleiner Flügel umherschwirren. Es ist purer Klang im Raum und allmählich ergänzen Tupfer vom Bassisten THOMAS MORGAN aus den USA die klingende swingende Melange, in die nun auch der dänische Jazz-Gitarrist JAKOB BRO die Töne seine Gitarre, sparsam wie Tupfer hinzu gibt. Es ist mir, als würden da vorn drei Maler ihre Farben auf einer imaginären Leinwand miteinander vermischen und erst nach und nach wären die Konturen des gesamten Bildes zu erkennen. Das Trio gestaltet ein Gemälde aus Klängen und überlässt es seinem Publikum, was es darin sehen erkennen möchte. Mir kommt es vor wie pure Magie, die mich fesselt, während da vorn die „Red Hook Railroad“ entsteht. Faszinierend schön und dann bin ich baff.
Bei einem Konzert von Donovan in Leipzig hatte dieser seinem Publikum erzählt, dass all die großen Musiker auch Maler gewesen wären oder sind. Von John Lennon bis Leonard Cohen: „Picture yourself in a boat on a river with tangerine trees and marmalade skies.” Dieser Vergleich sollte mir an diesem Abend wieder bewusst werden. Die ersten beiden Stücke dehnen sich über eine halbe Stunde, ohne dass ich die Zeit gespürt hätte. Es ist wie Träumen mit offenen Sinnen und ein intensives Eintauchen in das klangliche Geschehen. Langsam wird mir bewusst, dass diese Energie durch Verlangsamung und beinahe minimalistisches Weglassen von irgendwelchen Finessen erreicht wird. Im Konzertraum übt sich das Publikum in angespanntem Schweigen, ja beinahe Verzicht auf Atmen, nur um die zarten Klanggewebe erkennen und genießen zu können. Etwas Vergleichbares an musikalischem Ausdruck habe ich bisher noch nicht erlebt. Es ist, als wollte der Däne die reizvolle Kühle seiner heimatlichen nordischen Landschaft, statt in einem Gemälde, in Tönen aus Luft, Land und Meer ausdrücken und dann fällt mir eben diese Parallele zu „Lucy In The Sky With Diamonds“ ein, gleichwohl beide nichts miteinander gemeinsam haben, außer ein Bild in die Köpfe zu malen. Ich find’s einfach nur irre!
Das JAKOB BRO TRIO verzaubert das Halberstädter Publikum mit exzellenter Musik. Das Wort „Jazz“ kommt mir gar nicht in den Sinn, denn da vorn passiert einfach nur ganz spielerisch leicht großartige Kunst, dass mich diese eineinhalb Stunde vom Hocker haut. Drei exzellente Musiker verschmelzen ihr Können und entfalten erst im traumhaft sicheren Zusammenspiel die ganze Wirkung: Melodiös, warm, verspielt und faszinierend sparsam, ohne auch nur ein einziges Mal Tempo oder gar Speed zu suchen. Diese Musik lebt von der Faszination des Langsamen und der Leichtigkeit und letztlich von der Kunst dreier Musiker, die sie gekonnt für das Wirken des gemeinsamen Spiels verstecken. Wir erleben ganz, ganz großes Kino und ich bin um eine neue traumhaft wundervolle Erfahrung bereichert.
Nach neunzig Minuten tobt der Saal. Ohne Zugabe kommen die Herren natürlich nicht von Bühne und die kommt, welch Überraschung, mit einer Variation auf „Love Me Tender“. Wer bis hierher Vorbehalte gegenüber dem Wort „Jazz“ gepflegt hatte, dürfte sie jetzt leichten Herzens über Bord werfen. Dieser JAKOB BRO ist ein leiser Magier auf der Gitarre, dessen Musik Balsam für die Seele ist. Man muss nur bereit sein, seine gewohnten Schubladen und Vorbehalte zu vergessen und sich auf das Wesentliche, den Klang, einzulassen und darin Neues entdecken zu wollen. Ich bin nach diesem ersten Teil schon mehr als reichlich belohnt und darf sogar, während die Bühne umgebaut wird, in die Garderobe des Künstlers mitgehen, um mir dort ein Autogramm geben zu lassen. Ein Dankeschön dem Veranstalter!
Wieder drinnen, zeigt sich die Bühne voller neuer Aufbauten. Der mich gerade noch Backstage führte, kündigt jetzt eine noch junge Band ebenfalls junger Musiker an. Die sind im Großraum von Osnabrück zu Hause und wenn sie gemeinsam musizieren, nennen sie sich PIMPY PANDA. Keine Ahnung warum, aber der Name setzt sich fest und das Schwarz und Weiß der gestylten Panda-Musiker lässt durchaus an den Kuschelbären denken. Doch PIMPY PANDA sind nicht dem Bambus, sondern dem Soul & Funk zugeneigt und lassen das auch mit den ersten Tönen deutlich spüren. Aus dem Stand geht die Post ab und der Funke springt über. Keine Spur mehr von Jazz, it’s Panda-Party-Time!
Allerdings scheint da auf der Bühne eine Menge Talent, Enthusiasmus und gute Laune auszubrechen. Eine Mini-Bigband, bestehend aus Bass, Drums, Keyboards, zwei Gitarren plus Sängerin und Sängern, präsentieren eine Ladung eigener Kompositionen und das mit Power, Witz und Professionalität. Mir fallen sofort der enthusiastisch agierende Schlagzeuger und ein ungemein versierter Keyboarder auf, die gleich drei Sänger auf’s Publikum „hetzen“. Zwar ist diese Musik nicht meine Spezialkost, aber der Begeisterung kann und will ich mich nicht entziehen. Eines ihrer eigenen Instrumentalstücke verleitet mich gar zum Staunen, denn der Keyboarder findet immer wieder neue Ansätze für feine solistische Ausflüge, die er mit seinen flinken Fingern in die Tasten zaubert.
PIMPY PANDA servieren den Halberstädtern ein sehr heißes Funk- und Soulgebräu, wie man es heute nur noch sehr selten vor die Nase und auf die Ohren bekommt. Mich begeistern die komplex in sich verschachtelten Strukturen, die geschickten Verknüpfungen und die ungemein derbe Dynamik, deren Wirkung sich in den Stuhlreihen austobt. Immer wieder erleben wir solistische Einlagen und die drei kräftigen Stimmen, irgendwo zwischen Funk, Soul und Rap angesiedelt, bringen die Mixtur fast zum Überlaufen. Das zu erleben, ist einfach grandios und wäre nahezu perfekt, würde noch eine Sektion aus messerscharfen Bläsern dort oben stehen, wünschte ich mir jedenfalls. Aber das wäre schon fast Meckern auf allerhöchstem Niveau, denn die Band ist auch so ein absoluter Kracher! Ich jedenfalls bin schwer beeindruckt und genieße Musik, die weitab von dem dumpfen neudeutschen Jammer-Pop der Gegenwart einfach nur auf Spielwitz, Leidenschaft und natürlich Handwerk setzt, wie es die drei Jazz-Größen zuvor, zwar auf andere Art, vorgemacht haben. Mal abwarten, was die 19. Jazz-Nacht des nächsten Jahres zu bieten hat und vielleicht werde ich mich dann wieder auf die Socken machen, um eine weitere Überraschung zu erleben.
www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
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