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"Sky Pilot" - Gedanken zu einem Tag
in Off-Topic 11.05.2015 18:53von HH aus EE • | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte
"Sky Pilot" - Gedanken zu einem Tag (10.05.2015)
Es ist ein schöner Tag. Die Sonne scheint, es weht ein frisches Lüftchen und außerdem ist es Sonntag. Zwei Tage nach dem 8. Mai, dem Tag der Befreiung, jener Tag, der vor genau 70 Jahren das Ende eines barbarischen Krieges markierte. Endlich schwiegen in Europa die Waffen.
Ich hatte gelesen, dass hier ganz in der Nähe bei Ballenstedt ein kleiner Flugplatz zu finden sei. Dort sollen heute Helikopter in die Lüfte steigen, aus denen sich dann Fallschirmspringer in die Tiefe fallen lassen, um am Schirm zur Erde zu gleiten. So etwas hatte ich vor knapp zwanzig Jahren schon einmal erlebt. Damals waren wir im jungen Tschechien unterwegs. An einem ebenso sonnigen Tag saßen wir am Rande eines Flugplatzes und sahen dem Springen aus nächster Nähe zu. Damals hätte ich auch die Möglichkeit gehabt, für 20,00 DM (!) einen Tandemsprung mitzumachen, doch meine Courage hat nicht gereicht und heute ärgere ich mich ob der verpassten Gelegenheit. Jetzt hätte ich den Mut, so etwas zu tun, aber meine Knochen signalisieren Unverständnis für eine solch späte Idee. Also werde ich am Boden bleiben und dem Springen zusehen, so mein Sonntagvormittagsvorhaben.
Der kleine Flugplatz liegt, malerisch eingebettet in eine kleine Senke, nahe dem Örtchen Badeborn. In der Ferne kann man den Brocken entdecken und direkt vor meiner Nase weist ein kleines Schild auf einen Teil der Teufelsmauer hin, die sich hier bruchstückhaft über Quedlinburg bis Blankenburg zieht.
Am Ortsausgang liegt die ganze Schönheit dieser Landschaft wie auf einem Tablett zum Bestaunen ausgebreitet vor mir. Ich fahre die Senke hinunter zum Flugplatz und stelle mein verstaubtes Auto ab.
Eine himmlische Ruhe empfängt mich und wie aus dem Nichts taucht diese Melodie in meinem Kopf auf. Es ist einer jener Songs, den man nur ein einziges Mal hört, aber niemals wieder aus sich heraus bekommt. Eine ruppig raue Stimme singt a capella davon, wie ein Pfarrer die vor ihm in einer Linie angetretenen jungen Soldaten, mit ihren glänzenden Bajonetten auf dem Gewehr, für das kommende Gefecht segnet, ehe die Musik mit melodisch brachialer Wucht losbricht. Das war im Jahre 1968 und ERIC BURDON & THE ANIMALS schrieben unter dem Eindruck des Vietnamkrieges diese anklagenden Zeilen zu einer beschwörenden Melodie vom „Sky Pilot“: Der hässliche Krieg, die Todesfratze, Drogen, Angst, Religion und die ruhig aufrüttelnde Dudelsäcke vor dem ausklingenden Ende – das alles in siebeneinhalb Minuten und in zwei Teile verpackt, die mir schon damals unter die Haut gingen:
„He smiles at the young soldiers tells them its all right
He knows of their fear in the forthcoming fight
Soon there'll be blood and many will die
Mothers and fathers back home they will cry”
Mein Vater war auch im Krieg, im Krieg, den Hitlerdeutschland über die Welt gebracht hatte. Er war ein Sanitäter und Fallschirmjäger. Wenn er auf Drängen davon erzählte, dann meist von seiner ersten Frau und den beiden Kindern, die beim Bombenangriff auf Dresden im Keller verbrannten und davon, dass er viele hässliche Dinge gesehen hatte. Ich erinnere mich der alten Fotos von einem Himmel voller Fallschirme und Flugzeuge, aus deren Bauch sie heraus purzelten. Viele in den sicheren Tod.
Vor siebzig Jahren wurde das Schlachten an den Fronten und das Morden in den Konzentrationslagern endlich beendet. Die Soldaten der Roten Armee hatten die deutschen Truppen bis zurück auf eigenen Boden, in die eigenen zerstörten Städte, getrieben. Mein Vater kam in Ägypten in ein englisches Lager für Kriegsgefangene, wo er meinen späteren Onkel kennenlernte. Dessen spätere Frau in Leipzig hatte eine Schwester, auch in Leipzig. Sie wurde meine Mutter und ich 1949 sein erster Sohn in zweiter Ehe in einem Deutschland, dessen Menschen endlich Frieden wollten. Wie auch mein Vater, der den Rest seines Lebens diesem Ideal treu blieb und dem späteren Aufrüsten auf beiden Seiten, West wie Ost, mit Grauen aus prägenden Erinnerungen zusah. Das hat er, neben seiner großen Liebe zur Musik, an mich weitergereicht und deshalb geht mir ein Song wie die Ballade vom „Sky Pilot“ so unter die Haut.
Der kleine Flugplatz zu Füßen eines Hügels liegt da wie im Schlaf. Kein Flugzeug auf dem Rollfeld und Helikopter sind auch nicht zu sehen. Mein Auto steht ganz allein, beinahe einsam. Also betrete ich das Gelände, niemand will Eintritt von mir und den erhofften Bratwurststand kann ich auch nicht sehen. In einer Fliegerhalle hantieren zwei an einem einmotorigen Kleinflugzeug. Als ich sie nach dem Springen frage, zucken sie mit den Schultern und meinen, dass sie davon nichts wüssten und außerdem würde bei dieser steifen Brise sowieso keiner springen. Der Abtrieb wäre zu groß und deshalb gefährlich. Ich nicke verständnisvoll und frage noch, ob ich denn mal in so ein Cockpit hineinsehen dürfe. Ich darf und die anderen Schmuckstücke auf dem Gelände sehe ich mir auch noch an.
Deutschland ist so schön! Ich sehe auf die grünenden Berge im Harz und die quittegelber Felder vor den Bergen. Wie kleine Nester schmiegen sich kleinen Ortschaften in Senken, so dass man nur noch die Dächer und die Kirchturmspitze sieht. Lange siebzig Jahre haben wir nun Frieden und ich bin, was für ein historisches Privileg, in dieser Zeit aufgewachsen. Ich weiß aber nicht, ob es gut ist, die Leiden und Heldentaten russischer, ukrainischer, lettischer oder kasachischer Soldaten zu vergessen, deren Völker die riesige Hauptlast dieses Weltkrieges ertragen mussten. Ohne die Opfer und Leistungen der Alliierten schmälern zu wollen, den einfachen Menschen der damaligen Sowjetunion sollten wir nie vergessen, unseren ehrlichen Dank zu sagen und dabei ist es unerheblich, welcher Putin gerade dort im Kreml sitzt. Es sind immer die einfachen Menschen gewesen, gleich aus welcher Nation und mit welcher Hautfarbe, die sich an den Kriegsfronten gegenüber standen, die man aufeinander hetzte und schießen ließ, die später auch die Trümmer beseitigten und doch wieder Angst um ihre Kinder haben mussten: in Vietnam, in Afghanistan, in der Ukraine oder sonst irgendwo. Eigentlich sollte nie wieder eine Mutter ihren Sohn beweinen müssen. Eigentlich!
“Sky pilot ... sky pilot
How high can you fly
You'll never, never, never reach the sky.”
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