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Für immer jung - CITY unplugged in Riesa

in Konzertberichte 2019 und älter 05.05.2013 10:06
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Für immer jung – dank Nudeln & City in Riesa ( 22.02.2013 )

Riesa war die Stadt der Zündhölzer und was noch viel bedeutender ist, Riesa war und ist die Stadt von Makkaroni, Spaghetti & Co., sprich Teigwaren aller Art, die so lecker schmecken, dass man schon mal seine Gewichtsprobleme verdrängen möchte.
Riesa hatte auch schon immer zwei Brücken über die Elbe. Über die eine alte führen seit gefühlten Ewigkeiten Bahnschienen, während die andere, dem Straßenverkehr vorbehalten, noch vor einer reichlichen Dekade eine gut funktionierende Verkehrsbremse war. Man musste immer etwas Zeit mitbringen, wollte man darüber. Doch inzwischen hat sich viel geändert und manches haben auch die ungestümen Wassermassen des Elbehochwassers in Bahnen gelenkt, die nicht absehbar waren. Die
Stadt hat jetzt eine „Ortsdurchfahrung“, inzwischen sogar eine Verlängerung. Riesa ist jetzt auch eine Sportstadt und weil die Sportstadt noch immer den legendären „Stern“ unten an der Elbe hat, ist sie ab und an auch eine Musikstadt. Das war sie früher auch schon, denn dort habe ich zum Beispiel damals die Beatles Revival Band live erlebt und die Großen der kleinen DDR gaben sich hier die Klinke in die Hand. Heute besucht man die großen Events in der neu erbauten Erdgasarena, wenn man die wichtigen erleben will, geht man doch wieder zum „Stern“.

Mir war wichtig, endlich mal wieder CITY zu erleben. Für mich sind die fünf kahlen Köpfe jene Band, die, von SILLY mal abgesehen, das Rauschen, Knacken und die Stimmen der Großstadt Berlin wohl am treffendsten in Lieder gegossen hat. Egal, ob es der Schornstein war, „der sich zu Stalins Ehren reckte“ oder die „Löcher in der Hosentasche“, die man brauchte, um sich selbige nicht voll stopfen zu lassen. CITY machte einen lauten Schrei oder ein leises „Stöhnen unter der Haut“ daraus und gab dem Gefühl eine Melodie. Selbst die „Palmen“ im Zuckerguss-Kino trafen genau auf den Punkt und der vorletzte Silberling „Yeah! Yeah! Yeah!“ setzte genau diese Tradition mal rockend, mal filigran fort.

Inzwischen sind CITY „Für immer jung“ und weil es irgendwie zum Standard gehört, will man in einer Reihe mit Clapton und MTV stehen, gehen auch CITY „ausgestöpselt“ auf Tour. Das Logo von der „Weihnachtstour“ ist allerdings bereits vergeben und die Idee mit den Streichern keimte bereits einer andere Band. Bei CITY ist es „Das Beste“, das es zu hören geben soll und immer, wenn es irgendwo „Das Beste“ geben soll, wäre ich gern dabei gewesen. Diesmal hat es geklappt.

Es würde ein ganz besonderes Konzert werden, sagt mein Gefühl, als sich der große Saal im „Stern“ langsam füllt. Fein sortierte Stuhlreihen, Leuchter hängen von der Decke und Leuchter stehen auch auf der Bühne. Die Vorstellung, dass es in diesem gut beleuchteten Saal gleich intim und akustisch werden soll, hat sich bei mir nicht eingestellt.
Plötzlich und pünktlich wird es dunkel und „Aus der Ferne“ der blau ausgeleuchteten Bühne fressen sich Spots in den Saal, so als wollten sie jede Stuhlreihe einzeln ertasten. Unverkennbar CITY, sagt mein Ohr und meine Erinnerung nickt, als sich aus dem kurzen Mosaik der Song-Zitate die aktuelle Melodie von „Für immer jung“ ergibt. Da vorn erklingen CITY und zwar fast im vollen Saft, nur ein wenig näher vielleicht, denn die da oben sitzen ebenso, wie die da unten auch. Die saftigen Bläser fehlen und Toni muss statt dessen in die Mundi blasen. Ach, wie gern hätte ich jetzt meine Tasche geschnappt, hätte mich genau vor Toni’s Mikrofon postiert, um einfach dieses intime Gefühl zu haben. Aber „unpluggend“ bedeutet vor allem, alle sind fein brav und keiner stellt sich den Sitzenden vor die Nase. Ein Saal voll besetzte Stuhlreihen live wie vor einer großen Glotze, denke ich mir für einen Moment, wäre da nicht dieser TONI KRAHL.

Der macht in diesem Moment genau das, was ein Entertainer macht. Mit seiner locker schnoddrigen Art, umfassende Zusammenhänge in kurze Sätze zu kleiden, holt er sich jeden der Sitzenden verbal nach vorn und plötzlich weiß ich, was heute anders ist. TONI KRAHL ist erkältet und er klingt, nett formuliert, ziemlich rau, ziemlich kantig und genau das macht auf einmal den Reiz des restlichen Abends aus, indem er süffisant ankündigt, die eigenen Lieder selbst „verunstalten“ zu wollen. Locker mit seiner neuen Stimme kokettierend, wird die Band vorgestellt und wir erfahren so nebenbei, dass KLAUS SELMKE, der hinter dem Schlagzeug liegende, nicht mehr Geburtstag hat, aber der einzige sei, der schon zwei mal bis unendlich gezählt hätte. Nun ist das Eis ist gebrochen, man jubelt und lacht, die Stuhlreihen aber bleiben stehen und die Hinterteile auf ihnen sitzen. Pasted on instead of unplugged, könnte man neudeutsch formulieren!

Wir hören sitzend Erinnerungen an ROCK FÜR DEN FRIEDEN und das legendäre „Sag’ mir wo die Blumen sind“ in der Version von CITY. Die Band wäre schon längst nicht mehr frech, würde sie nicht leise, und nur mit Akustikgitarre unterlegt, ein kurzes „Die Antwort weiß ganz allein der Wind“ als Nachsatz hinterher schieben und die „Kleinen Hände“ von Bettina Wegener oben drauf setzen. Ein Song, der einst „Herpes für Funktionäre“ auslöste und auch heute noch gleiches tun könnte. Doch heute ist Macht immun und so witzelt TONI den ganzen Abend und zwischen den Songs locker weiter.
Dem neuen Volks-Lied „Es ist immer noch Sommer“ folgt das ältere „Flieg ich durch die Welt“ und die Stimmung steigt merklich, obwohl man und Frau, noch immer sitzen, als wäre die Bühne da vorn eine überdimensionale Glotze. Das wiederum hat den Vorteil, dass man ungehindert von einer Seite zur anderen kommt, ohne jemanden anrempeln zu müssen.

Toni’s jüngere Erinnerungen sind die an die gemeinsame „Ostrock-Tour“ mit anderen Musikern und Bands. Er plaudert witzelnd über die Partys danach und diejenigen, die dabei fehlen würden. Viel zu früh wie er meint und erst als er HERBERT und TAMARA beim Namen nennt, wird der Schmerz im Saal leise und als dann noch, in rotes Licht getaucht, „Tamara“ erklingt, wird er auch fassbar. Immer noch.
Doch die Geschichte vom „Rudi aus Rostock“, der Reise nach Bulgarien, dem Verriss einer CITY-LP und dem daraus sich ergebenden Verkaufsboom „Wie geschnitten Brot“ oder „zündend, wie Riesaer Zündhölzer“, lösen die Spannung wieder auf. Der folgende „Bulgarien Rock“ ist eines jener klassischen Stücke, das ich schon immer viel lieber mochte, als den eigentlichen Klassiker der Band. Endlich kann JORO seine Finger über die Bass-Bünde und seine Füße über die Bretter tanzen lassen. Da spürt man das bulgarische Blut, das in ihm steckt, in ihm brodelt und die Musik von CITY bekommt plötzlich einen ganz besonderen, einzigartigen Drive. So habe ich diese Band, trotz der vielen Hits, schon immer viel mehr geliebt und ich „singe mit ihr einen Rock’n’Roll“, um mich daran zu erinnern. Endlich richtig Stimmung, endlich auch Bewegung in den Stühlen und im Gang tanzt allein und versunken in sich selbst – ein Mann! Es ist CITY, die das auslösen können und die Stimme eines TONI KRAHL, die heute irgendwie besonders sexy drauf ist.

Etwas später, inzwischen hat man Bier getrunken und die Gesäßbacken bewegt, sitzt der kleine Frontmann der Band allein mit der Gitarre, etwas von „Jesus“ singend und scharf über den Papst, alte Jungfern und etwas Heiden-Spass nachdenkend, wieder da vorn auf dem Hocker. Die moderne Pizza „mit zwei PS mehr“ wird ebenso angesprochen, wie das Vorhaben, im kommenden Jahr 35 „haarlose City-Jahre“ feiern zu wollen. Passend dazu erklingt mit „Wand an Wand“ einer ihrer wohl schönsten Klassiker, dem sie, sehr zur Freude vieler Frauen, „Sommerherzen“ folgen lassen. Jetzt stehen die ersten von den Stühlen auf und im Gang tanzen zwei (!!) Männer. Riesa kommt langsam in Schwung, singt die „ Sieben Tage“ und „Kontakt geht nur noch über’s Telefon“ mit und man hebt alle Hände in den „Pfefferminzhimmel“, um sie wie Palmen im Wind sich wiegen zu lassen, der Purpursonne entgegen. Da war dann „Casablanca“ auch nicht mehr fern und das Ende des Abends nahe.

Am linken Bühnenrand sitzend zupft der Hut von John Wayne, genannt FRITZ PUPPEL, ein kurzes Solo in die Saiten seiner akustisch eingestöpselten Gitarre und wie sonst auch, geht kein Konzert von CITY ohne die gezupfte Violine von „Am Fenster“ zu Ende. Es sind immer noch diese beiden Akkorde und noch immer der Rhythmus, der einem mitzureißen vermag und – na klar – dieses fulminante Spiel von JORO GOGOW mit den Saiten der Geige. Jetzt endlich ist auch kein Stuhl mehr besetzt und einige ganz Mutige trauen sich sogar bis zur Bühne vor, von der herunter sich die fünf Herren der Berliner Band von den Riesaern verabschieden.
Die Lichter und Leuchter im Saal strahlen wieder und alles ist so wie vorher auch. Nur das Gefühl, dass alle ein wenig gelöster erscheinen und auch so in das Wochenende gehen werden, ist neu. Mich wundert, dass TONI KRAHL nach diesen reichlich zwei Stunden noch immer reden kann, aber genau dieser Umstand, so mein ganz individueller Eindruck, hat den Abend locker werden lassen. Mir ist aber auch deutlich geworden, MEIN nächstes CITY – Konzert wird wieder eines mit volle Pulle und an der Kante stehend sein. Dann wird die Welt einen neuen Papst haben, Pferde werden wahrscheinlich von Ziegen abgelöst sein und jemand anders seinen Doktortitel gegen ein besonderes Ehrenamt getauscht haben. Stoff genug, neue und freche Lieder draus zu machen und auf die freue ich mich schon jetzt.

Angefügte Bilder:
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zuletzt bearbeitet 05.05.2013 10:14 | nach oben springen


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