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VOLKMANN im Dixiebahnhof Weixdorf, 04. März 2011

in Konzertberichte 2019 und älter 18.10.2013 20:34
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Volkmann im Dixie-Bahnhof Weixdorf (04.03.2011)

Die populäre Musik ist in die Jahre, gar in die Jahrzehnte gekommen. Da wundert es nicht, wenn uns immer wieder und immer öfter Nachrichten erreichten, die wir alle eigentlich nicht hören wollen. Wenn in einer Band eine treibende Person und kreativer Kopf nach oben abberufen wird, ist das immer auch ein schmerzhafter Einschnitt. Wird mit einem Schlag so eine künstlerische Gemeinschaft um die Hälfte reduziert, ist das verheerend.

Mit dem viel zu frühen Tod von REINHARD „Mischwald“ SONNENBURG-BUCHHOLZ im Jahre 2007 ist diese Tragödie der PENSION VOLKMANN widerfahren. Seither ist die Pension geschlossen, ihre Lieder können uns nur noch aus der Konserve erreichen, leider.
Die Lieder der PENSION VOLKMANN gehörten in den 80ern für mich zu den Lichtblicken, die einen Weg weit in die Zukunft weisen konnten, auch wenn ich das damals, wie vielleicht viele andere auch, noch nicht ganz so bewusst wahrgenommen habe. Die Songs, angesiedelt zwischen Pop, Folk und „WeißnichtWas“, transportierten schon damals Botschaften, die zum Denken über den eigenen und per Statut vorgegebenen Horizont hinaus anregten, indem sie die gesellschaftlichen Zustände, die Konflikte und Unzulänglichkeiten spiegelten, sie zuweilen direkt aussprachen. Dort fand man sich wieder, fühlte sich eingebettet und aufgehoben und wagte gemeinsam mit der Musik auch schon mal das Denken über den Tellerrand DDR hinaus. Ein Blick, der oft mehr als nur Sehnsucht war. Gut aufgehoben in drei Vinyl-LP’s ist dieser kleine Schatz inzwischen zum Erbgut der darauf folgenden Musikergenerationen geworden. In den Herzen der Fans sind die Songs ohnehin gut gespeichert, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. „Satt zu essen und ’n Ausweis in der Tasche, der was gilt. Satt zu essen und ’ne Heimat, die dich nie für Fernweh schilt…“. Damals hätte ich gern einen Freund auf den Orkney Inseln besucht.

Doch die andere Hälfte wäre nicht PETER BUTSCHKE, wenn er die Ideale der Pension nicht weiter leben und fortführen würde. Kritische Blicke auf die Zustände, mahnende Worte und zuweilen auch einen leis’ oder laut gesungenen, oder auch gemalten, Aufschrei bräuchten wir heute mindestens ebenso, wie damals. Mehr noch, es ist wichtig, sich gegen die aufkeimende Ohnmacht und Lethargie Gehör zu verschaffen und genau danach, wie man das machen könnte, hab’ ich gesucht, als ich mich wieder einmal auf den Weg in den Weixdorfer Dixiebahnhof im Norden von Dresden machte.

Keine Überraschung, da angekündigt, aber doch leises Erstaunen hinterließ die Dresdner Band SCHIMMELREITER, die den ersten Teil des Abends bestreiten durfte. Die Lokalmatadoren, die immerhin auf 5 Albumproduktionen in 10 Jahren verweisen können, begrüßten die Anwesenden, aktuellen Ereignissen geschuldet, anstatt mit einem fröhliche „Guten Abend“ mit einem ziemlich süffisanten „Gutten-Berg“ und dem Hinweis, keine Plagiate spielen zu wollen. Ich liebe diese Art, die politischen Ränkespiele und des Volkes Denken darüber zu spiegeln! Sänger und Gitarrist PAUL-PETER MÜLLER kredenzte im Laufe der folgenden Stunde noch mehr derart Possierliches.

Kurze Umbaupause, Instrumentenwechsel, Stimmengewirr. Dann steht er da oben auf dem Podium, PETER BUTSCHKE, die verbliebene zweite Hälfte der PENSION VOLKMANN. Lang aufgeschossen, seine Struwelmähne, die nun auch schon grau ist, fest nach hinten gebunden und dann singt er tatsächlich gleich zu Beginn „Satt zu essen“. Mein Deja Vu ist perfekt!
Der Mann hat nichts, aber auch wirklich gar nichts, von seiner Faszination eingebüßt und die filigran formulierten Worte auf den einprägsamen Melodien wirken sofort wieder. Er sticht mir noch immer Emotionen in’s Herz, wenn er den „Sonntag Morgen“ besingt und „Nass wie Fische“ aus „Vollpension“ (1988) vorträgt. Er ist einer von denen, die mit der Stimme zaubern können und dabei verzaubern, einer, der dir die bissige Kommentare zur verlogenen Welt mit einem beinahe hintersinnigen Lächeln um die Ohren zu hauen vermag, damit du endlich aufwachst. „Ungeklärte Morde“ ist so ein Stück Musik, das zum Nachdenken verleiten möchte, indem er jedem, der es nicht merken will, einen Riesenspiegel vor die Nase stellt. Werteverschiebung als Kriminalpuzzle in geile Musik verpackt. Wenn man sich verleiten und verführen lassen möchte, sich auf Wortspielereien einlassen kann, dann ist „Spiel Tier mit mir“ eine gute Wahl. Wie BUTSCHKE mit den Worten und Assoziationen spielt, ist schlicht faszinierend, da ist sein Worte- und Inhaltefinder WERNER KARMA schon immer ein großer Meister gewesen.

Doch bei der VOLKMANN BAND ist es wie bei der PENSION auch. Der Sänger ist Teil eines Ganzen und ohne seine drei Mit-Musiker, ginge ein großer Teil der Wirkung verloren. Ihm steht mit JAN HAASLER ein junger Mann an der Seite, der dezent aber virtuos beinahe im Hintergrund agiert. Dabei setzt er am laufenden Band kleine Akzente, die PETER BUTSCHKE’s Interpretationen unterstützen, den Melodien immer wieder kleine Überraschungen über streifen. Die Hingucker sind FRANK GOHLKE an den Rhythmusinstrumenten, dem man die Unterstützung von Michael Behm anmerkt, sowie am Kontrabass JENS PETER KRUSE, der still aber schelmisch mit seinem Instrument spielt und im Zusammenspiel mit dem „Klapper Klapper“ (geschriebener O-Ton von Gohlke) das Klangbild der Band zu einer Einheit fügt. Eine „Oma“ in einer Band ist ja an sich schon ein optischer Glanzpunkt, wenn dann aber einer sichtbar mit diesem Teil inniglich flirtet, macht das Hinsehen richtig Spaß und die Freude überträgt sich.

VOLKMANN sind immer noch brandaktuell, ihre musikalischen Kommentare bissige, böse und zuweilen in schallende Backpfeifen verpackte Signale in Richtung Demokratie und schöne Welt. Wer wissen möchte, wie sich konzentriertes und symbolträchtiges Zusammenfalten einer Zeitung als schmissiger Song anhört, muss seine Ohren für ein musikalisches „BILD“ öffnen. Da bemerke ich zufrieden, dass diese, meine Musik noch immer nicht den Biss verloren hat und dieses Gefühl ist wohltuend. VOLKMANN entführt uns in die Seitenstraßen und zweiten Hinterhöfe. So wie einst treffen wir dort die etwas anderen Typen und das Leben der anderen wie bei „Sehnsucht macht Müll“. In meinen Ohren klingen Zeilen wie „Die Sehnsucht der Trinker formt die Natur“ wie entzauberte Lügen. Als beißende Metapher hat sich „Die Sehnsucht nach Frieden und nach Freiheit macht, dass wir gute Bürger sind“ in meine Gehörgange eingebrannt. Wahrheiten, die wohl so manch’ zufriedener braver Bürger nicht gern hören mag, weil sie eben unangenehm waren oder sind und so gar nichts von Friede, Freude und süßen Eierkuchen haben.

Für so manchen in die Jahre gekommenen anwesenden Fan spielt PETER BUTSCHKE noch einmal „Die Gefühle“ von 1985, um uns dann doch wieder mit bissigen Vergleichen („Der Speichellecker macht Kinder, die lecken“) vom Song „Kinder machen“ in die Gegenwart zurück zu transformieren. Zum Ende des Abends dann noch eine dezente und gefühlvolle Erinnerung an einen, den sie alle „Mischwald“ nannten, weil er in frühen Jahren als REINHARD BUCHHOLZ mit einer Dame namens Birkholz (nein, nicht Bürkholz) Lieder sang. Die musikalische Hommage heißt denn auch „Mischwald“ und erinnert an den einfühlsamen und virtuosen Gitarristen, Menschen und Wegbegleiter bei PENSION VOLKMANN.

Diesen Abend hab’ ich aufgesogen, wie selten einen. Da sprühte bei beiden Bands die Energie und mir selbst bot sich wieder Mal die Gelegenheit, einen großen Bogen über meinen eigenen Lebenslauf zu schlagen, die Bilder und Assoziationen im Hinterkopf zu genießen. Musik ist eben nicht nur das Bewundern von Idolen, sondern auch Nachdenken und Verinnerlichen dessen, was uns so mancher unserer Helden mitteilen wollte und wieder muss.
„Satt zu essen…“, dafür würde ich mich heute und hier nicht vorbehaltlos verbürgen wollen und der geltende Ausweis ist vielen inzwischen auch wieder nur ein Blatt Papier oder eingeschweißte Pappe, auf der letztlich nur Worthülsen, viel wichtiger aber, haufenweise gänzlich private Dinge, gespeichert sind. Klar haben wir jetzt andere Zeiten, keine Frage! Aber die ändern sich immer mal wieder, wusste schon Bob Dylan zu singen, und wir selbst haben’s im eigenen Lande erlebt, ob wir nun wollten oder nicht. Wir können also Hoffnung haben und Abende wie diese sind Hoffnungsschwimmer, die Mut machen, Kraft und Zuversicht spenden!

Nachtrag: Ein reichliches Jahr nach dem hier beschriebenen Konzert im März 2011 gibt es endlich eine neue Scheibe mit neuen Lieder von VOLKMANN. Das Erscheinen von „Dreh mich um“ (2012) ist auch der Grund, weshalb ich diesen Konzertbericht wieder ausgegraben habe. Mögen sich recht viele an den wunderschönen Liedern reiben und erfreuen.

Angefügte Bilder:
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www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
zuletzt bearbeitet 26.12.2016 12:24 | nach oben springen


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