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GEWANDHAUS-CHOR & L'ART de PASSAGE live in der "Louise" Domsdorf

in Konzertberichte 2019 und älter 15.07.2013 19:02
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Volkslieder singen und Geschichte erzählen – der Gewandhauschor mit L’art de Passage in der Lousie, Domsdorf ( 14.07.2013 )

Ganz anders und weit weg von so manchen individuellen Hörgewohnheiten kam vielen Besuchern in Elsterwerda eine junge Band vor, die im November 1987 bei uns in der eigenen jugendlichen „STUBE“ mit „Sehnsucht nach Veränderung“ zu erleben war und schon damals ihre Zuhörer in Begeisterung versetzte. Zwischen damals und heute hat sich viel bewegt und noch viel mehr verändert. Immerhin liegen lange 25 Jahre dazwischen. Was einst unmöglich schien, kann inzwischen selbstverständlich sein, doch der Drang, Neues zu tun, ist einigen „Unruhegeistern“ geblieben. Zum Glück.

L’art de PASSAGE pflegten die Kunst, Übergänge und Grenzen fließend zu überschreiten und die Musette mit Jazz oder latinen Rhythmus-Geflechten zu vermengen. Mit Akkordeon, Gitarre, Piano und Perkussion sowie der Stilistik von Pop-Musik überraschten sie die Zuhörer und diese ließen sich gern mit auf die Reise nehmen. Diese Art zu musizieren war damals erstaunlich, weil neu, aber eben auch möglich, weil für viele fremd und eigentlich, im übertragenen Sinne, unfassbar. Vielleicht bestand genau darin die große Chance. Irgendwie wurden, lange bevor das Begriffsmonstrum „Weltmusik“ eine neue Schublade eröffnen sollte, Bands wie BAYON und eben auch L’ART de PASSAGE zu Vorreitern eines Genres, das keines ist, und das auch noch in der DDR. Nun, satte 25 Jahre später, ergibt sich für mich endlich wieder eine Gelegenheit, den Faden aus meinen wilden Zeiten neu aufzunehmen und daran anzuknüpfen.

Der Chor des Gewandhauses zu Leipzig hat ebenfalls mehr Potential, als manche zu glauben bereit sind. Irgendwann hatte der Leiter des Gesangsensembles die Idee, alte Volkslieder, unserer neuen Zeit gemäß, in ein moderneres Gewand zu kleiden und bei der Suche nach musikalischen Partnern fand er L’ART de PASSAGE. Das Resultat dieser Zusammenarbeit gibt es seit einem reichlichen Jahr auf CD, mit der Gewandhaus-Chor und L’ART de PASSAGE gemeinsam überraschten. Unter der musikalischen Leitung von GREGOR MEYER haben sie alten Volksliedern von FRIEDRICH SILCHER ein modernes Gewand verpasst und auf diese beswingte Weise neu zum Klingen gebracht. Das wollte ich, nachdem ich die CD mehrmals gehört hatte, einfach auch einmal live erleben und der Zufall, in Form der Lokalzeitung, wollte es, dass ich darauf aufmerksam wurde. Sonst wäre das wohl wieder an mir vorüber gegangen.

Die alte Brikettfabrik Louise nahe Domsdorf, mitten im südbrandenburgischen Wald, zwischen Tröbitz und Bad Liebenwerda gelegen, ist jährlicher Spielort für ein besonderes Konzert im Landkreis Elbe-Elster. Doch selbst der Einheimische, der meint, eine Abkürzung zu kennen, hat gute Chancen, sich auf dem Weg dorthin in den Feldern und Wäldern zu verfranzen. Nach einer Ehrenrunde habe ich das Gelände trotzdem wieder gefunden und mich von einem überdimensionalen Brikettstück, hoch über der Straße hängend, begrüßen lassen.
Die Zeit bis zum Konzertbeginn konnte man im strahlenden Sonnenschein bei Musik, Unterhaltung sowie Kaffe und Kuchen vor dem großen alten Gebäude verbringen. Selbst an einem Sonntag zur Kaffeezeit lockt die Louise und ein besonderes Programm viele, mitunter weit gereiste, Besucher hier hinaus. Kurz vor Beginn war der alte Maschinenhalle deshalb bestens gefüllt. Nach kurzen Worten der Einstimmung bittet der Veranstalter, der Kulturamtsleiter des Landkreises, Chor und Band nach innen.

Wer jetzt noch meinte, ein „normales“ Chorkonzert erleben zu wollen, wird sich mit den ersten gesungen Tönen von „Wenn alle Brünnlein fließen“ noch zufrieden in seinen Stuhl gelehnt haben, doch schon wenige Takte später beginnt mit dem Einstieg von L’ART de PASSAGE die alte Volksweise zu swingen, wird mit Piano- und Gitarreneinwürfen verziert. Im Hintergrund, obwohl vorn sitzend, klingt verspielt das Akkordeon von TOBIAS MORGENSTERN. Die Überraschung ist gelungen und sie wird mit „Es, es, es und es“ ebenso flockig fortgesetzt. Die bekannte Melodie wirkt durch den weit gefächerten Chorgesang viel kompakter, während das instrumentale Spiel der Band einen beinahe zum Träumen verleitet. Die so entstehende Spannung entlädt sich nach diesen beiden Liedern, nach zwei Sekunden der staunenden Stille, in brausenden Applaus. Toll gemacht!

So eine Veranstaltung kann man Lied für Lied moderieren oder einfach nur ansagen. Die Idee, diese alten Lieder von FRIEDRICH SILCHER in eine sehr moderne und fiktive Geschichte einzubetten, ist mindestens so genial, wie die neu arrangierten Melodien auch. GREGOR MEYER erzählt zwischen den Liedern die mögliche Geschichte eines jungen Mannes, der während seiner Wanderschaft durch Deutschland, von Frankfurt (an der Oder) bis in das Schwabenländle, viele typische Situationen des heutigen Lebens erfährt. Viele haben gelächelt, auch vereinzelte Lacher waren zu hören, doch eigentlich ist diese moderierte Geschichte zum Mitlachen lustig, manchmal auch komisch und tragisch, so wie das wirkliche Leben heute manchmal auch spielt. Ich habe sie bis zum letzten Wort aufgesogen und wer sie erfahren will, wird sich wohl etwas einfallen lassen müssen, denn zum Aufschreiben ist sie, Dank der hintersinnig fröhlichen Erzählweise des Chorleiters und Moderators, nicht geeignet.
Wir erleben den jungen Mann wandernd an der Bundestrasse 9 den Rhein entlang. Es ist ein Genuss, dem Klang der „Loreley“ zu lauschen. Dabei werden wir einfühlsam instrumental hin zur Melodie des Liedes entführt und wieder entstehen zwischen dem Chorgesang und dem swingenden Spiel der Band Spannungen, in denen man das verführerische Flüstern der „Loreley“ zu hören meint. So bekommt die alte Weise einen völlig neuen Glanz, der live noch viel intensiver wirkt, als auf der Tonkonserve.

Diese Spannungsbögen kann jeder für sich allein die ganzen 90 Minuten lang entdecken. Ob es nun das bekannte Volkslied „Ich ging einmal spazieren“ ist oder die eher unbekannte Weise „Dem Himmel will ich klagen“, dem eine zusätzliche Strophe von Brahms hinzu gefügt wurde, immer wieder gibt es viel überraschend Frisches zu entdecken und das tut den alten Volksweisen hörbar gut. Ich kann mich für das a capella gesungene „Morgen muss ich fort von hier“ ebenso begeistern, wie für „Horch, die Wellen tragen bebend“. Bei diesem mir bis dahin unbekannten Stück teilt sich der große Chor in zwei kleinere, so wie es in damaligen Zeiten beim Mönchvespergesang ( „Jubilate, Jubilate“ ) üblich war. Mit „Am Brunnen vor dem Tore“ folgt wieder eine bekannte Melodie, zum Mitsingen geeignet ist und das zauberhafte Schlaflied „Gut Nacht mein feines Lieb“ rundet den Sonntagnachmittag ab. Jedes der neu interpretierten Lieder zu beschreiben verkneife ich mir bewusst, denn ich hab’s schon einmal nach dem Hören der CD getan und live ist sowieso noch einmal eine andere Dimension, die jeder für sich selbst erleben und entdecken sollte.

Ich finde es aufregend, dass dieses Konzert nicht der Liederfolge auf der CD hinterher singt und klingt, sondern einer eigenen Dramaturgie, der fiktiven Reise durch die deutschen Lande, folgt. Das macht das Erleben intensiver und vielleicht mag dem einen oder anderen der bewusste Einsatz des Instrumentariums von L’ART de PASSAGE dabei deutlicher geworden sein. Die Musiker verstehen es auf exzellente Weise, mit beinahe minimalistischem Einsatz, die alten Lieder zu verzieren und das Klangbild des Chores dezent aber wirkungsvoll zu unterstützen. Die Alten im Saal hat es letztlich begeistert, wie man hören konnte, und manch ganz Kleinen beim Hören dermaßen fasziniert, das er den Rhythmen mit offenen Augen und Ohren ganz direkt folgen wollte. Dessen Spaß war ebenso offenkundig, wie das vergnügen der Chorsänger und die Lust der Musikanten, den alten Melodien mit einem Augenzwinkern ihre Referenz zu erweisen. Wenn die CD „Silcher – deutsche Volkslieder im neuen Gewand“ schon Ausrufezeichen setzte, dann ist deren Live-Präsentation ein Sahneschnittchen der ganz besonderen Art, das zu kosten man nicht so oft geboten bekommt. Leider, möchte ich meinen.

Ganz zum Abschluss durfte natürlich das beliebte „Ännchen von Tharau“, das auch die CD-Einspielung abrundet, nicht fehlen. Irgendwie scheint dieses Lied bei fast jedem Chorkonzert gesetzt zu sein, aber so ganz können es die Sänger und Musiker auch diesmal nicht lassen und deshalb wird hier am Ende noch einmal gegroovt, geswingt und zitiert, dass es bei Miriam Makeba’s Klassiker „Pata Pata“ einem älteren Musikliebhaber die Freudentränen in die Augen treibt. Jetzt erklingt auch das „Ännchen“ im „wunderbar frischem Gewand“, passt es, wie die anderen Lieder auch, in diesen swingenden Sonntag, der seine Hörer in der „Louise“ verzaubert hat und vielleicht auch ein klein wenig verändert auf den Weg nach Hause schickt.

Die große „Sehnsucht nach Veränderung“ von damals, die der ersten Langspielplatte von L’ART de PASSAGE den Titel gab, hat uns inzwischen viele Veränderung gebracht. Das ist normal, denn die einzige Konstante in der Zeit ist nun mal Veränderung. Wie frisch das auch bei alten Volksweisen von FRIEDRICH SILCHER wirken kann, war live in der Louise von Domsdorf zu erleben. Vielleicht ist Sehnsucht etwas Bleibendes, etwas das uns treibt, wenn eine alte Sehnsucht nicht wie gewünscht in Erfüllung ging. Deshalb bleibt die Sehnsucht nach Veränderung, denn es gibt noch (und wieder) eine Menge zu verändern und diese Sehnsucht nach Veränderung, nicht nur im musikalischen Sinne, ist, schon wieder verdammt groß.

Angefügte Bilder:
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www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
zuletzt bearbeitet 15.07.2013 19:07 | nach oben springen

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RE: GEWANDHAUS-CHOR & L'ART de PASSAGE live in der "Louise" Domsdorf

in Konzertberichte 2019 und älter 16.07.2013 11:26
von Frank | 483 Beiträge | 1025 Punkte

Hartmut , ich bin begeistert mit wieviel Elan Du diese Zeilen so schreibst . Wäre es nur ein Kurzbericht gewesen , hätte man gesagt
das ist nicht unser Hartmut , genau ist es immer so bei Kundi wenn er Bilder rein stellt sind es nur zwei oder drei dann hat es ihn nicht
gefallen also macht weiter so und ich werd mein Stil auch so weiter durchziehn . das heißt Bilder auf meine Art zu zeigen wie es nun
mal nicht jeder macht . Und sollte es diesen oder jenen nicht gefallen , dann bitte ich es mir mitzuteilen .
Danke Hartmut für den Bericht und die schönen Bilder .

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#3

RE: GEWANDHAUS-CHOR & L'ART de PASSAGE live in der "Louise" Domsdorf

in Konzertberichte 2019 und älter 16.07.2013 18:45
von Holger | 259 Beiträge | 706 Punkte

Ja, da hätten wir uns wirklich schwarz geärgert, wenn wir am Sonntag nicht in Domsdorf gewesen wären. Ich hatte Hartmuts Rezension über die CD im letzten Jahr mal so quer gelesen, aber dann auch wieder aus den Gedanken verloren. Vergangenen Mittwoch gab es dann nochmal Werbung in der regionalen Presse und ja auch hier im Forum. Es war ein sehr schönes abwechslungsreiches Konzert mit erstklassigen Musikern, mal was ganz anderes.
Hartmut, dein Bericht ist ganz toll. Du wolltest ja mit den Musikern noch etwas plauschen, wer war der Gitarrist ?, meiner Meinung müßte das Stephan Bormann gewesen sein, den habe ich schon mal mit Cristin Claas auf Gut Geisendorf erlebt.

Viele Grüsse von Sybille und Holger.

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