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CD: L'art De Passage - "Silcher - Volkslieder im neuen Gewand"
CD: L'art De Passage - "Silcher - Volkslieder im neuen Gewand"
in CD-, DVD- und Buchveröffentlichungen 11.07.2013 11:09von HH aus EE • | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte
L’ Art de Passage & Gewandhaus Chor: ( 05.08.2012 )
„Silcher – deutsche Volkslieder … im neuen Gewand“ (Buschfunk 07/2012)
Wenn stete Veränderung und die Sehnsucht danach, statt Stagnation und Reproduzieren des Gewohnten und Erfolgversprechenden, das Credo einer Musikergemeinschaft ist, kann man sicher sein, immer wieder mal auf neue oder andere Weise überrascht zu werden. Wenn Kreativität wörtlich genommen wird, als Suche nach neuen Weiten und wenn man den Hörer einlädt, sich darauf einzulassen, begibt man sich auf eine interessante Reise, auf der man bekannte Dinge, in diesem Fall Volkslieder, neu entdecken kann.
So etwa könnte man die neue CD „Silcher – deutsche Volkslieder“ von L’Art de Passage in knappen Worten beschreiben. Sich an ur-deutsches Volksliedgut zu trauen, ist ja schon mal etwas Besonderes, wenn dann aber einer in den Focus gerät, der sich um den Chorgesang von deutschen Volksliedern verdient gemacht hat, dann lässt diese Idee mehr als aufhorchen. Der Komponist Friedrich Silcher (1789 – 1860 ) ist heute vor allem durch seine Lieder und seine Chorsätze für sie bekannt. Eine Darbietung derselben durch vom Jazz, Rock & Konsorten beeinflusste Musiker und dem Gewandhaus Chor von Leipzig, erwartet wohl zunächst keiner.
Das allseits bekannte Volkslied „Wenn alle Brünnlein fließen“ eröffnet die Sammlung beswingt und locker verspielt, reichlich gespickt von Piano- und Gitarreneinwürfen. Im Hintergrund swingt das Akkordeon von Tobias Morgenstern mit. Ein gelungenes und gänzlich lockeres Entreè, kurz, leicht und flockig. „Ich ging einmal spazieren“ wird als eine vergnügliche Reise durch Länder, Dialekte und differenziert ein gesetzte Rhythmik dargeboten. Auf einem Piano-Thema aufbauend, mit dem die anderen Instrumente spielen, erlebt man genüsslich die Sachsen, Hessen, Franken und Schwaben. Fast meint man eine Mischung aus Tango und Reggae zu im Ohr zu haben, während die Chorstimmen mit den Dialekten spielen. Ein Wanderlied, bei dem man auch das Stolpern deutlich spüren kann. Herzerfrischend schön.
Kontraste erhöhen die Spannung und so kommt „Der gute Kamerad“ beinahe düster, etwas traurig und mit dezent gespielter Pianobegleitung daher. Der Chor, was man kaum erwartet, ordnet sich dem Schritt-Rhythmus der Tasten unter und trägt so die Stimmung fort. Fast könnte man drin versinken. Danach ändert sich die Stimmung wieder. „Horch, die Wellen tragen bebend“ beginnt mit einer kleinen instrumentalen Einleitung, die zum Träumen verleitet, L’Art de Passage pur für einen Moment. Der Chor nimmt die Stimmung auf, macht sie opulenter. Langsam steigert sich das Stück, nimmt den Hörer mit, um ihn am Ende gelöst wieder zu entlassen. Klasse! Ähnlich und doch wieder anders „Die Lorey“. Wieder wird man instrumental einfühlsam zum eigentlichen Lied entführt, um dann beinahe aufgesogen zu werden. Man fühlt sich inmitten der aufgebauten Spannungsbögen und kann sich in ihnen treiben lassen, die verträumt mystische Stimmung genießen und dem zarten Flüstern der Loreley lauschen. Beide Stücke nacheinander gehört, wirken sie wie eine Mini-Suite auf den Hörer.
„Am Brunnen vor dem Tore“ kommt zunächst rhythmisch als Samba (!?) daher, um dann kurz in seiner bekannten Urform zu erklingen. Es mischen sich Rhythmik und Chorgesang, dann wieder Chor pur. Dieses Wechselspiel trägt das ganze Stück über und hält eine Menge Überraschendes, wie zum Beispiel ein nah am Jazz perlendes Pianospiel, bereit, das zu entdecken viel Freude bereiten kann.
„Dem Himmel will ich klagen“ ist ein spannungsgeladenes kleines Epos geworden und vielleicht deshalb das längste Stück der CD. Viel Platz für Improvisationen und die künstlerischen Finessen der Instrumentalisten machen es zu einem Glanzstück. Ähnlich wirkt auch „Oft, wenn erbleicht der Sterne Pracht“, nur fließt die Melodie rhythmisch akzentuierter dahin. Gänzlich locker und flockig wird es dann wieder mit „E bissel Lieb“, beinahe schelmisch, tänzerisch und Assoziationen zu mittelalterlichen Markttreiben stellen sich ein, so quirlig greifen Instrumente und Stimmen ineinander. Gedanken an eine andere bekannte Interpretatione erwischen den Hörer vielleicht auch beim Hören von „Es, es, es und es“, aber sicher nicht so, wie erwartet. Der ausladende Chorgesang verfeinert das gewohnte Hörbild des Liedes und filigranes Instrumentalspiel verleitet dazu, sich einfach hinzugeben, neue Seiten zu erkunden. Beim Hören von „Das Lieben bringt groß Freud“ wird man überrascht sein, was für eine vertrackte Rhythmik in so einer Melodie versteckt sein kann, die hier herausgekitzelt wird. Diese Interpretation nimmt sich die Vorlage und erfindet sie zeitweise quasi neu, ohne sie auch nur einen Ton lang aus den Augen zu verlieren. Fast ist man versucht, eigene Facetten hinzu zu fügen.
„Zu End“ ist eines der wenigen Lieder dieser Zusammenstellung, das ich nicht kannte, mich aber durch seine einfühlsame Interpretation sehr berührt. Faszinierend, wie die sparsam gesetzten instrumentalen Tupfer die schlichte Melodie umschmeicheln. Melancholie ohne abzugleiten, etwas wagen, ohne zu überdrehen. Diese Stimmung wird aufgenommen und bei „Gut Nacht mein feines Lieb“ fortgesetzt und auch hier wird mit den Mitteln dezent umgegangen, weniger ist auch diesmal mehr und bindet den Hörer ein, der von einem Gitarrensolo mit Flamengo - Flair überrascht wird. Die CD endet mit „Ännchen von Tharau“, ein Lied, das wohl jeder kennt. Auf überlieferte Weise hört man die erste Strophe, danach gibt’s wieder Überraschendes, das einem schon mal ein Lächeln in’s Gesicht zaubert, wenn zum Beispiel keck der Welthit „Pata Pata“ der legendären Miriam Makeba eingebaut wird, womit auch gleichzeitig angedeutet ist, in welcher rhythmischen Sprache das Lied angelegt ist. Die CD beginnt überraschend und endet genau so und dann klingt sie instrumental ausklingt.
Wer die Scheibe am Stück hintereinander hört, wird am Ende nicht glauben wollen, lauter Volksweisen gehört zu haben. Die ganze Zeit über wird locker und flockig mit Stilmitteln zwischen Swing, Jazzigem oder Latino - Elementen gespielt, dass es eine wahre Freude ist, beim zweiten und dritten Durchlauf noch immer neue Nuancen zu entdecken. Band und Chor verschmelzen vom ersten Moment an zu einem neuen Ganzen, man wirft sich quasi die Ideen zu und der Hörer fühlt nicht eine Sekunde, was da für Kleinarbeit hinter versteckt sein muss. Wer schon einmal, so wie ich auch, in einem großen Chor und gar mit Orchester oder Band gesungen hat, spürt sehr genau, dass hier keine Pflichtaufgabe perfekt erledigt wurde, sondern Spaß am Singen und Freude am gemeinsam Probieren der Maßstab waren.
Die Botschaft lautet schlicht und ergreifend, dass gemeinsames Singen Lebensfreude bedeutet und dass Volkslieder, denen das Volk ohnehin schon über die Zeiten einen eigenen Stempel verpasst hat, noch immer eine Menge Veränderung vertragen. Eine gewachsene Kultur verträgt auch ein neues Gewand, wenn es, wie hier geschehen, von Meisterhand gewebt und auch geschneidert ist. L’Art de Passage begann einst mit „Sehnsucht nach Veränderung“, ohne dafür Worte brauchen zu müssen. Offensichtlich ist die Sehnsucht und dieses „neu Einkleiden“ Stilmittel geworden und wie die Mannen um Tobias Morgenstern das tun, darauf können sie stolz sein und wir glücklich, deutsche Volkslieder unverkrampft neu entdecken zu können. Das war schon lange mal fällig und jetzt ist es endlich auch geschehen, ohne für Musik schon wieder eine neue Schublade erfinden zu müssen. Ich jedenfalls, bin durch und durch begeistert!
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