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AGENTUR NULL 13. Januar 2020 Schülerkonzert
AGENTUR NULL 13. Januar 2020 Schülerkonzert
in Konzertberichte 2020 und 2021 30.01.2020 21:31von Kundi • | 3.250 Beiträge | 7335 Punkte
Wer hätte 1980 gedacht, dass ich 4 Jahrzehnte später freiwillig zum Nachsitzen im Schulfach Musik antreten würde und freiwillig als Hausaufgabe noch einen Aufsatz
über diese Schulstunde schreiben würde. Bin ich jetzt auf meine alten Tage doch noch ein Streber geworden und was hat das überhaupt mit der Muggenpilgerei zu tun? Die Geschichte ist ganz schnell und kurz erzählt.
Es war der 25. September 1980. An diesem Tag feierte ich meinen 16. Geburtstag. Ausgerechnet an diesem Tag wurden wir Schüler am späten Nachmittag zum Schülerkonzert verdonnert. Zumindest empfanden wir das damals so. Auf dem Programm stand nämlich Klassik und zwar ca. 70 geballte Minuten lang. Statt ordentlich zu feiern, hörten wir Chor und Orchester mit Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 9 d-Moll op. 125 inklusive Schillers vertonter Ode „An die Freude“.
Damals war ich für die Klassik noch nicht bereit und offen. Das kam für mich zu früh. Außerdem war ja mein Geburtstag. Also gingen wir Jungs in unsere Jugendweiheanzüge gezwängt nur widerwillig zur Veranstaltung. In Bezug auf die legalen Drogen Alkohol, Tabak und Kaffee waren wir in diesem Alter schon frühreif. Deshalb waren wir dem Anlass Geburtstag angemessen auch schon leicht angeheitert und Dank mitgeführter „Zündkerzen“ mit Likör sank der Promillespiegel während der Veranstaltung auch nicht. Statt feuertrunken, wie es in Schillers Ode heißt und schon gar nicht freudetrunken, waren wir Jungs Kraft unserer Wassersuppe ziemlich nah an vollgetrunken. Liebe Kinder, bitte nicht nachmachen, denn das war unreif, ungezogen und ungesund Aber damals fanden wir das irgendwie fetzig und erwachsen.
Heute verschließe ich mich nicht mehr der Klassik und die 9. Sinfonie mag ich besonders und das nicht nur musikalisch. Ich bekomme bei Beethovens letzter Sinfonie immer gute Laune, weil spätestens beim Gesang „Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum.“ die Erinnerungsbilder im Kopf auftauchen.
Soweit ich mich erinnere, war das in meiner Schulzeit unser einziges Schülerkonzert.
Wir hatten in der 9./10. Klasse eigentlich eine junge und engagierte Musiklehrerin, die uns gelegentlich durchaus auch mit Rockmusik begeisterte. Beliebt waren bei uns zum Beispiel Kurzvorträge mit Musikbeispielen von Schallplatte bzw. Musikkassette, die man über seine Lieblings-Band bzw. seinen Lieblingsmusiker halten durfte. Da konnte man ziemlich schnell eine schlechte Gesangsnote (meist wegen nicht gelernter Liedtexte) ausmerzen.
Deshalb wundere ich mich heute noch sehr, dass wir keine Schülerkonzerte mit einer Rockband erleben durften. Derartige Veranstaltungen gab es nämlich schon zu DDR-Zeiten. Die bekannteste Band in dieser Richtung war die Gruppe KARAT, welche im Jahr 1977 für Schülerkonzerte den Kunstpreis der Freien Deutschen Jugend bekam.
Na ja, vielleicht war für unsere Schulstufe in jenem Jahr damals keine Band frei.
Dass es auch heute noch bzw. wieder Schülerkonzerte mit Rockbands gibt, weiß ich nun schon einige Jahre. Einige Akteure kenne ich sogar persönlich. Seitdem war es auch mein Wunsch, mal so eine Mugge zu erleben. Bisher scheitere das jedoch immer an Terminschwierigkeiten. Diesmal aber hatte ich gerade Urlaub und das erleichterte mein Vorhaben enorm.
Zu ungewohnt früher Zeit fand ich mich am Ort des Geschehens ein. Schulunterricht beginnt ja vorwiegend morgens oder vormittags. Da musste selbst im Urlaub ausnahmsweise Mal mein Wecker plärren, um mich rechtzeitig auf Kurs zu bringen. Schließlich musste ich mit meinem CEEDrik ja auch noch ein paar Kilometer Anreise abspulen.
Der Theatersaal der kleinen Stadt war fast komplett ausgebucht. Ungefähr 400 Schüler saßen erwartungsfroh auf ihren Plätzen. Ich schätze, dass sie in die achte oder neunte Klasse gingen. Als erfahrene Schüler haben sie bestimmt schon langweiligere Schulstunden als diese Musikunterrichtsstunde, die mit ca. 80 Minuten Dauer fast doppelt so lang wie eine gewöhnliche Unterrichtseinheit war, erlebt.
Die Bühne war angerichtet mit dem Instrumentarium einer Rockband. Da standen also Schlagzeug, Keyboards, Mikrofonständer, Gitarren, Bass sowie Monitor- und Lautsprecherboxen herum und warteten auf ihren Einsatz.
An diesem Vormittag waren Lehr- und Bandpersonal identisch. Das heißt, dass auch die Dame und Herren Rocker an diesem Tag früh aufstehen mussten. Die Truppe wurde als AGENTUR NULL vorgestellt. Die Geschichte der Band reicht bis ins Jahr 1985 zurück und ist fest verbunden mit der Schlagzeugerin Angela „Angie“ Ullrich. Sie ist das letzte verbliebene Mitglied der Gründungsbesetzung.
AGENTUR NULL war in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre auf dem Sprung in die erste Riege der Bands. Erste Rundfunkproduktionen wie „Ich bin immer für dich da“ oder „Rebellische Liebe“ erfolgten. AGENTUR NULL mischte auch aktiv und erfolgreich im Konzertgeschehen mit. Der erste große Personalumbruch erfolgte anno 1988. Seitdem ist Bassist Tom Vogel dabei.
5 Jahre später stießen Gitarrist Ecki Lipske und Keyboarder Andreas "Bruno" Leuschner dazu. Heute wissen wir, dass sich Angie und ihre Bühnen-Männer damals wohl fürs Leben gesucht und gefunden haben, denn neben AGENTUR NULL (die nur noch Schülerkonzerte geben) bilden sie auch das Grundgerüst von CRAZY BIRDS & FREUNDE.
Als die Band loslegte, feixte ich Nachsitzer mit 40 Jahren Verspätung erstmal zufrieden und mich gleichzeitig an mein erstes Schülerkonzert erinnernd in mich hinein.
AGENTUR NULL nahm die 400 Schüler, ihre Lehrer und mich mit auf eine Reise, welche sich Geschichte der Rockmusik nannte. Es wurde eine lockere und unterhaltsame Schulstunde bei welcher sogar ich alter Zausel noch etwas lernen konnte.
Das Lehrziel könnte man ungefähr so beschreiben, dass die Schülerinnen und Schüler die Geschichte der Rockmusik in groben Zügen kennen und außerdem einen Überblick über die wichtigsten Instrumente inklusive diverser Spieltechniken und Effekten erhalten. Wenn bei den Schülerinnen und Schülern dann damit das Interesse für handgemachte und live gespielte Rock- und Bluesmusik geweckt wird, ist das der Jackpot für Lehrpersonal und Schüler gleichermaßen.
Um die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler zu erringen, hatten die Mitarbeiter der AGENTUR NULL zu Beginn einen ziemlich aktuellen Poptitel herausgesucht. So etwas nenne ich einen klugen Schachzug und der klappte auch gut. Die Jugendlichen waren aufmerksam und artig, wie ich es in diesem Alter in der Schule selten war.
Ach so, ich habe euch einen Mitarbeiter dieser musikalischen AGENTUR NULL noch gar nicht vorgestellt. Dabei ist der Mann ganz wichtig, denn er ist seit mehreren Jahren der Sänger und Moderator des Programms. André lebt in Berlin. Er ist Musiker, Autor, Aktions- und Kommunikationskünstler. ER ist (war?) Sänger der Band KREISMAL und in dieser Band spielt(-e?) Tom Vogel Bass.
Mit der Musik der Südstaaten, dem Blues der versklavten Baumwollpflücker, wurde eigentlich der Grundstein für die populäre Musik gelegt. Genau dort setzten Angela und die Band mit ihrem Unterricht auch an. Natürlich spielte AGENTUR NULL einen ausgesuchten Klassiker dieses Genres. Das Stück wurde in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts von WILLIE DIXON geschrieben und von MUDDY WATERS gespielt. Das Lied wird von den einschlägigen Blues-Musikern hier zwischen Elbe und Oder sehr gerne gespielt. Erst 3 Tage zuvor hörte ich es in einer bemerkenswerten Version von GALALING.
Die musikalische Schulstunde ging munter weiter. Inzwischen waren wir beim Rock ´n Roll und beim größten Hüftschwinger aller Zeiten angekommen. Der King ELVIS PRESLEY löste damals eine Riesenwelle der Begeisterung bei der Jugend aus und bereitete mit seiner Musik eigentlich den Boden für nachfolgende Musikstile und Musiker.
Frontmann André Leipold fand bei seinen Erklärungen eigentlich immer die richtigen und jugendgerechten Worte. Ganz bewusst hielt er sich dabei auch kurz, denn die Musik sprach ja schon für sich selbst.
Zwischen den Liedern erklärten die Musiker nacheinander ihre Musikinstrumente, Spieltechniken, Effekte und die Möglichkeiten, die man damit hat. Das ging bei Gitarrist Ecki Lipske los, der mit seiner Fingerfertigkeit die 6 Saiten seiner elektrischen Klampfe in den verschiedensten klaren und verzerrten Tönen singen oder jaulen ließ.
Angie Ullrich erklärte dann dem Nachwuchs, was man mit Bass Drum, Hi Hat, Snare Drum und Toms alles anstellen kann. Das Gewimmel an Trommeln und Becken und die Spielweise mit Händen und Füßen ist für uns Laien ja manchmal undurchschaubar.
Ich hatte den Eindruck, das Keyboarder Andreas „Bruno“ Leuschner die junge Garde im Saal ganz besonders beeindruckt hat. Er demonstrierte an einem sehr bekannten Musikbeispiel des klassischen Hardrocks, wie man dieses mit bestimmten Effekten verfremden und/oder aufpolieren kann. Die Verblüffung über einige verfremdete Tonsequenzen sah man den Schülern förmlich an. Es machte natürlich auch Spaß diesen Klängen zu lauschen.
Ohne BEATLES und ohne ROLLING STONES sowie ihre Rolle und ihre Bedeutung für die Rock- und Popmusik bis zum heutigen Tage wäre so eine Unterrichtsstunde schlicht unmöglich, zumindest aber unvollständig. Die Musikexperten von AGENTUR NULL haben das auch sehr gut in Szene gesetzt.
Ich hätte nicht gedacht, dass ich Angie Ullrich mal als Disco-Queen einen Song von ABBA singen hören würde. Aber genau das ist bei diesem Konzert geschehen. Die harte Rockerin kann also auch mal anders.
Natürlich kamen auch Aspekte der deutschen Musikgeschichte zur Sprache. Die Neue Deutsche Welle (NDW) wurde ebenso behandelt, wie der heute Ostrock genannte Musikbereich. Ich verrate sicherlich kein großes Geheimnis, wenn ich hier schreibe, dass der Ostrock-Titel ein Klassiker von electra war.
Auch der Punkrock kam noch kurz zur Sprache und zu Gehör.
Ich hätte nicht gedacht, dass man in 80 Minuten so viel Wissens- und Hörenswertes vermitteln kann. Die Zeit war auch verflixt schnell um. Ich war regelrecht überrascht als das Ende kam. Das war nicht nur so einfach Unterricht, sondern auch Werbung für handgemachte Mugge von Blues bis Rock. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn in ein paar Jahren nicht wenigstens ein paar der Jugendlichen an den Bühnenrändern dieser Republik auftauchen würden.
Nach dem offiziellen Teil stellten sich die Protagonisten den Schülern auch noch für Fragen und Gespräche zur Verfügung. Die Musiker praktisch auch noch ein paar Minuten zum Anfassen zu haben, rundeten den Musikunterricht für die Jugendlichen sicherlich noch zusätzlich und positiv ab.
Gruß Kundi
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