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MIKE SEEBER TRIO live im alten E-Werk von Blankenburg

in Konzertberichte 2019 und älter 07.11.2017 18:22
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Mike Seeber Trio – das Bluesgewitter in Blankenburg (04.11.2017)
(Diese Zeilen widme ich Matthias „Blueser54“ Ziegert (09.07.1954 – 09.06.2016) – Danke „Free Bird“!)

Wurde man, so wie ich, in den 1960er Jahren musikalisch geprägt, kam man zwangsläufig schon sehr früh mit den legendären Trio-Besetzungen – Gitarre, Bass, Schlagzeug – in Berührung und so mit der kraftvollen Rockvariante des Blues. Cream, The Jimi Hendrix Experience oder Blue Cheer mögen dafür als Beispiele genügen und die waren auch meine bevorzugten „Bluesverwender“ im Rock. Sie prägten mein Musikverständnis auf die gleiche Weise, wie meine frühen heimischen Helden auch. Allen voran Jürgen Kerth, Hansi Biebl, Engerling, und natürlich Stefan Diestelmann, die ich alle auch auf meiner Konzertbühne begrüßen durfte. Die Herren von Monokel und Jonathan nicht zu vergessen, die alle der deutschen Sprache im Blues den Vorrang gaben und geben. Den Polen Nalepa möchte ich zusätzlich zu diesem Reigen hinzufügen, weil ich dessen polnischen Blues, von seiner ersten Platte an, mochte und sie auch alle im Regal stehen habe.

Die Alten, so sie noch da sind, mag ich noch immer. Jürgen Kerth und Engerling mit „Boddi“ begleite ich bis heute regelmäßig, wenn es sich ergibt. Einem stillen und bescheidenen Unruhegeist der Szene habe ich zu verdanken, dass mir auch die junge Generation des (ost)deutschen Blues nicht verborgen geblieben ist. Matthias „Der Blueser“ führte mich zur Joris Hering Blues Band sowie zu Lateriser und er machte mich auch auf einen gewissen MIKE SEEBER aufmerksam, dessen Musik ich mir unbedingt live antun müsse, meinte er. Dem „Blueser“ hat der Ost-Blues eine Menge zu verdanken, glaube ich, und es schmerzt immer noch, diesen Enthusiasten nicht mehr unter uns zu wissen. Mit solchen Gedanken im Hinterkopf fahre ich zum alten E-Werk in Blankenburg, um endlich auf das Power-Trio von diesem MIKE SEEBER zu treffen und mich (vielleicht) überraschen zu lassen.

Das historische Gebäude aus rotem Klinker, direkt an der Bundesstraße und quasi mitten in der Stadt gelegen, strahlt innen einen dezenten Charme aus. Es ist ein wenig eng, dadurch auch gemütlich und dennoch genug Platz für die Atmosphäre eines Rock-Konzerts. Statt auf der Bühne, musiziert man hier auf einem kniehohen Podest und dadurch in Augenhöhe. Das schafft Nähe, die ich nicht mehr missen möchte und mich an die Anfangszeiten in den engen Kneipen mit kleinen Bühnen erinnert. Hier halten viele auch ein Bier in der Hand, als die drei Musikanten vom MIKE SEEBER TRIO das Podium betreten und Sekunden später den Power-Blues von der Leine lassen. Der Blues-Mann ist wieder im Harz, wo in Nordhausen seine Wiege stand und wo in Thüringen noch immer der Blues gefeiert wird.

Wohl auch deshalb ist heute sein Vater im Publikum zu finden und der darf miterleben, wie sich dieses bekannte Trio in zwei drei Minuten, quasi zum Aufwärmen, einspielt. Ohne Übergang wird daraus eine altbekannte Nummer von Jürgen Kerth. Es geht ein Ruck durch die Leute und mir huscht ein Lächeln über das Gesicht, so liebevoll präsentiert MIKE SEEBER seine Version von „Komm herein (und schließ’ die Tür hinter dir zu)“. Ganz ehrlich, das hätte ich nicht erwartet, aber es macht glücklich, einen guten Bekannten musikalisch hier zu wissen. Der Thüringer Blues-Meister Jürgen Kerth wird auch nicht der Einzige bleiben, dem SEEBER mit seinem Spiel zu huldigen weiß. Bei ihm klingt der Kerth-Klassiker nur etwas ruppiger, wirkt kantiger aber zum Hinschmelzen liebevoll inszeniert.

Und dann jault die Gitarre laut auf, die Drums von TOBIAS RIDDER hämmern und der Bassist PHILIPP RÖSCH hüpft mit seinem Instrument bei „The Power Of Soul“ voller Hingabe über die Bretter. Plötzlich versteht auch wirklich jeder im Raum, warum dieses Trio als „Gewitter am deutschen Blueshimmel“ verehrt wird. Es kracht, es knallt und der fette Sound dringt in den ganzen Körper, so dass einem kalt und heiß wird. Mir jedenfalls! Ich mag die Songs von Jimi Hendrix, noch dazu, wenn sie glaubhaft und überzeugend von Könnern, wie dieser Typ da einer ist, über die Rampe gebracht werden und gar, wie bei „Wind Cries Mary“, in eine überzeugende deutsche Adaption verwandelt werden. Respekt, das hat richtig Esprit und Charisma. Seine eigenen Songs, wie der deftige Boogie „Honey Mama“, fügen sich in diese Klassiker nahtlos ein und machen den Gesamteindruck einer virtuos spielenden Band perfekt.

Einige Gespräche und Biere später glaube ich meinen Ohren nicht zu trauen. Da greift doch dieser Typ da vorn tatsächlich tief in die Beat-Kiste, holt dort „Ticket To Ride“ heraus und strickt einen Blues aus dem Beatles-Klassiker, der es in sich hat. Der Saal tobt, es gibt ein Pfeifkonzert und SEEBER reagiert mit einem weiteren Hendrix-Klassiker darauf. Bei „Manic Depressions“ zeigt uns der Gitarrist ausgiebig sein exzellentes Können und die Rhythmus-Maschine RÖSCH & RIDDER stampft dazu ein heißes und schweißtreibendes Gebräu in die Bühnenbretter. Das kleine ostdeutsche „Blues-Gewitter“ steht unter Volldampf und man könnte meinen, jeden Augenblick müsste irgendwo der Blitz einschlagen. Die drei strotzen nur so vor Energie und Spielfreude und könnten damit so manchen Altvorderen glattweg „den Arsch abspielen“ (frei nach Ritchie Blackmore). Es ist ein Vergnügen, den drei Musikern zuzuschauen und eine Lust, zu erleben, wie sie mit ihrer Musik verschmelzen können. Während MIKE SEEBER seine exzellenten Soli über weite Strecken mit geschlossenen Augen zelebriert, tobt sich PHILIPP RÖSCH, der mit dem Bass tanzt, auf sich bewegende Weise aus und wird dabei von TOBIAS RIDDER immer wieder neu inspiriert. Die beiden sind seit dem Frühjahr 2012 ein rhythmisches Dream-Team, auf das sich der Mann mit seiner Sechs-Saiter blind verlassen kann. Es gibt auch immer wieder Szenenapplaus für eines der gekonnt hingezauberten Soli und „Old Papa Seeber“ im Publikum lächelt dann genüsslich und stolz dazu. Darf er auch!

Doch wenn ich mir einen besonderen Moment des Abends, ein Lied auswählen dürfte, dann würde ich mich für „Es gibt Momente“ von Hansi Biebl entscheiden. Ich mag von jeher seine eher introvertierte Spielart von Blues und die leise Botschaft seiner Texte. Auch wenn sich Biebl inzwischen gänzlich aus dem Zirkus verabschiedet hat, sein unauffälliges Wirken hallt noch immer nach und heute bekomme ich den Nachweis dafür von MIKE SEEBER zu hören. Seine Version ist einfach würdevoll und wird dem Original mit jedem Ton gerecht. Man kann sogar die Spielweise von Hansi bei Mike nachempfinden, so man den DDR-Altmeister live erlebt hatte. Dieser Moment ist einzigartig und macht mich deshalb sehr glücklich. Spätestens jetzt hat er den alten Rock-Liebhaber in mir überzeugt. Überraschung gelungen!

So schlicht wie die Erscheinung des Blues-Mannes, so schlicht aber herzlich fällt auch sein versuchter Abschied aus: „Danke, dass Ihr gekommen seid.“ Nur kann er natürlich so nicht von der Rampe! Die Menge verlangt nach mehr Blues-Klängen, denn inzwischen laufen alle emotional auf vollen Touren im Banne des Bluesgitarristen. Sie durften erleben, wie sich dieser MIKE SEEBER in seinen Blues gewühlt hat und dabei jeden Einzelnen mitnahm. Er hat uns begeistert mit seinen eigenen Songs, hat unsere Erinnerungen an die heimischen und internationalen Größen wach gehalten und mit seinem virtuosen Spiel zu überzeugen gewusst. Wir haben auch gespürt, wie dieses Power-Trio aus einem Guss gespielt und begeistert hat. Also muss schon noch etwas mehr davon sein und der Blues-Mann greift nochmals in die Saiten, lässt sie wimmern und schreien beim „Crosstown Traffic“ sowie manchmal auch leise für uns singen. Und wieder gelingt es ihm, mit zarten Tönen Staunen zu erzeugen, als er und sein Bassist sich Töne in Oberschwingungen, sogenannte Flageoletts, zuspielen. Die Menge tobt und dann kracht es noch einmal ordentlich, ehe die Instrumente endgültig abgestellt werden.

Noch eine Weile bleibe ich vor diesem Podium stehen, lasse den Blues etwas nachklingen. Endlich mal wieder einer, der auf mich ganz und gar authentisch gewirkt hat. MIKE SEEBER hat offensichtlich so gespielt, wie er den Blues empfindet und hat uns alle dadurch mitgerissen. Noch eine Weile stehe ich mit anderen vor der Tür, tausche mich aus und spüre, dass ich nicht ganz allein so empfinde. Ich bin sehr glücklich und als ich wieder in die Dunkelheit, wie der „Free Bird“ (Lynyrd Skynyrd), nach Hause gleite, danke ich im Stillen Matthias „Den Blueser“ für sein Engagement und ich fühle, der Blues im Osten ist noch immer auf eine besondere Weise lebendig. Durch jene, die ihn spielen und durch uns heimische Musikliebhaber, die wir kommen, ihn hören und live erleben möchten: And the Blues goes on!

Angefügte Bilder:
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www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
zuletzt bearbeitet 07.11.2017 18:23 | nach oben springen

#2

RE: MIKE SEEBER TRIO live im alten E-Werk von Blankenburg

in Konzertberichte 2019 und älter 08.11.2017 18:44
von Kundi | 3.250 Beiträge | 7335 Punkte

Ich glaube, Deine Begeisterung und Dein Bericht hätten dem Blueser gefallen.

Ganz lieben Dank für die Erinnerung an Matthias und für Deinen Bericht, lieber Hartmut.

Gruß Kundi


zuletzt bearbeitet 08.11.2017 18:45 | nach oben springen

#3

RE: MIKE SEEBER TRIO live im alten E-Werk von Blankenburg

in Konzertberichte 2019 und älter 10.11.2017 09:03
von SN-Nittel | 329 Beiträge | 724 Punkte

Ja Hartmut...Matthias Ziegert, er fehlt in der Blueserszene!
Mike Seeber...ich hab ihn schon fast 10Jahre im Gehör. Ein Musiker der "Live" aufblüht und genau das beherrscht: Eintauchen in den rockig-schmutzigen Blues und das Gefühl leben.
Er ist eine Bereicherung der Sparte und er hat mit seinen 2 Mitstreitern ein starke Band aufgebaut. Ich hoffe er geht diesen Weg weiter!

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#4

RE: MIKE SEEBER TRIO live im alten E-Werk von Blankenburg

in Konzertberichte 2019 und älter 10.11.2017 20:13
von Mary | 327 Beiträge | 726 Punkte

JA, ich lebe noch wenn auch etwas
im Hintergrund..., ich erlebe das eine oder andere Konzert und trotzdem, ich kann nicht so wie früher, es bremst mich etwas aus...
MEIN Problem, nicht Eures. Ihr sollt nur wissen, ich bin noch da.... und hier, hier wäre ich gern dabei gewesen. Ich wünsche gerade Mike Seeber, alles, alles Glück der Welt!°!!


"Ihr lacht weil ich anders bin. Ich lache, weil Ihr alle gleich seid."
Kurt Cobain
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