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RINGELBEATS mit KUNO - musikalische Lesung im Moritzhof Magdeburg
RINGELBEATS mit KUNO - musikalische Lesung im Moritzhof Magdeburg
in Konzertberichte 2019 und älter 10.03.2017 17:56von HH aus EE • | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte
Ringelbeats mit Kuno (07.03.2017)
Es gibt mehrere gute Gründe, heute Abend nach Magdeburg zu fahren. Der eine ist, dass ich meinen hustenden Rotzgast (fast) los bin und der andere das Gefühl, wieder unter die Menschen zu müssen. Doch eigentlich heißt der Grund schlicht KUNO und den kenne ich seit nunmehr 45 Jahren. Nein, nicht persönlich, aber doch so gut, dass ich meine, heute einem Weggefährten wieder einmal begegnen zu wollen. Keine Frage, der nachhaltigste Eindruck prägte sich mir bei der damaligen Klaus Renft Combo ein, aber auch Pannach & Kunert gingen an mir nicht spurlos vorüber. Eher schon dieses halbherzige Renft-Gebilde in den ersten Nachwendejahren, das wollte, aber nicht konnte. Als es ab 2006 gar nicht mehr mit dem Gehör von KUNO ging, glaubten ihn viele abgeschrieben, weg vom Fenster. Doch beim halbfertigen „Gitarrenhunger“ sah und hörte ich ihn wieder und in Dresden sprach er im Stadtmuseum zu musealen Erlebnissen der Zeitgeschichte für die Adenauer-Stiftung. Da war er wieder ganz der Alte, der seinen trockenen Humor unter die steifen Offiziellen warf. KUNO war immer da, wenn auch völlig anders, als sich viele es gewünscht hätten und als es gesundheitlich ging. Und nun hat dieser Typ und Harzbewohner still und leise einen Roman „aus lauter Buchstaben“ (O-Ton Kuno) geschrieben. Schon der Titel „Ringelbeats“ hat etwas, weckt viele Assoziationen, und deshalb fahre ich nach Magdeburg.
An der neunten Abfahrt bin ich runter von der Stadtautobahn. Die Namen der Straßen hier sagen dem Neuling nichts. Ich muss aufpassen und abzählen, damit ich die Ausfahrt nicht verpasse und dann ist man plötzlich in einem Häusermeer, das gar keinen eigenen Charakter zu haben scheint. Mittendrin eine kleine Insel, Moritzplatz genannt, mit dem Moritzhof in einer der Seitenstraßen. Wäre es hell und die Abendsonne schiene, wäre es sicher ein schöner Anblick. Im gemütlichen kleinen Cafè vergeht die Zeit, bis sich die Tür zum Veranstaltungsraum öffnet. Hier fühlt es sich heimisch an und vorn auf dem Podest, an dem Tisch mit einer antiken Stehlampe, sitzt so ein Allerweltstyp, CHRISTIAN KUNERT, den alle nur KUNO nennen.
Wir begrüßen uns per Handschlag, tauschen so gut es geht, einige Worte. Als das Dutzend, plus zwei Damen am Einlass sowie ein Tontechniker, im Raum voll ist, begrüßt KUNO in seiner unnachahmlichen Art das zahlreich erschienen Magdeburger Publikum. Er greift zunächst zur Gitarre, der man die Zeiten ebenso ansieht, wie dem Gitarristen, und singt uns zum Einstieg erst einmal eine „Ballade vom Mann mit dem Feindbild“. Wir erleben, dass alle ein Feindbild haben: Priester, General, der Schuh und auch eine Klobrille. Wer keins hat, so die ironische Pointe, schafft sich eben eins zum Glücklichsein. Gitarre wieder in den Ständer, KUNO an den Tisch, Brille auf die Nase und dann geht’s um „Ringelbeats“.
KUNO hat einen Roman verfasst, hat die Buchstaben sortiert, gepresst und geordnet, damit sie in ein Buch passen, das reichliche 330 Seiten zum Umblättern hat. Wenn er jetzt die besten Stellen vorlesen würde, so seine Vermutung, dann – und lässt offen, worüber wir zwischen den Stühlen wahrscheinlich gerade lachen. Nach der ersten unvermeidlichen Ankündigung, dass er uns doch nur Buchstaben, statt Rheumadecken, verkaufen möchte, folgt noch die Erklärung aller fünf Kriterien, die ein Buch erfüllen müsse, um ein solches genannt zu werden. Als Erkenntnis nehme ich später mit nach Hause, dass ein Produkt mit Buchstaben drinnen, nicht dicker als 35 Millimeter sein darf. Die hierfür notwendige und auch logische Erläuterung geht zwar im Gelächter unter, zu verstehen ist sie trotzdem und verstanden habe ich sie auch. Noch so eine typische KUNO-Logik.
Das „junge Talent mit Alterserscheinungen“, wieder O-Ton Kuno, versucht nun 45 Minuten mit Lesen von Auszügen aus seinem Roman „Ringelbeats“ auszufüllen. Er habe gehört, dass nach dieser Zeit die Aufmerksamkeit der Zuhörer nachlassen würde. Wir hören aus der Vita des Helden Jacobus Kubisch und davon, dass sich jemand seine Biografie angeeignet hätte. Wir lauschen gespannt den Ereignissen in der „Schlippe“ und der Diskussion darüber. Wie KUNO das macht, wie er die Sätze formt und seinen Worten eine Gestalt gibt, dies allein macht diese Abendstunde für mich reizvoll. Auch was es bedeutet, wenn uns jemand „einen Moment bitte“ zuruft und welche Gedanken sich daran anschließen können, erläutert er mit hintersinnigem Humor. In meinem Kopfkino formen sich die Bilder und Filmsequenzen dazu und viele davon scheinen mir voll eigener Realität, weil KUNO immer wieder die Brücke zu seiner eigenen Wahrnehmung spannt. Manchmal lächelnd, manchmal leicht bissig, aber stets auch so, als hätte es diesen Typen namens Kubisch tatsächlich gegeben und man selbst meint, ihn zu kennen.
Dann greift KUNO wieder zu seiner alten Gitarre. Auf Seite 4 seines Buches steht: Falls sie ein anderes Motto wünschen und dann folgen einige Leerzeilen. Durch die „Strawberry Fields“ der Beatles wird uns verständlich, was das eine, also das Buch, mit den anderen, als den Beatles, zu tun hat: „ … that is, you can't, you know, tune in but it's all right that is, I think it's not too bad.“ Dies zu entschlüsseln und auch zu verstehen, hilft nur, so eine Lesung zu besuchen und eines der Buchexemplare zu erwerben.
Zwischendurch rutscht der einstige Rocker immer wieder mal verbal in jene alten Zeiten ab, als er mit der Renft Combo unterwegs war. Wenn es die Parallelen im Buch zulassen, blitzen auch seine eigenen Erlebnisse durch. Dann kommt wieder das mit dem Komasaufen und der Klaus Renft Combo, die ins Landesinnere auf die Dorfbühnen emigrierte. In so einem Moment nimmt er sich die Gitarre zur Hand und dann kommt aus den legendären Pannach & Kunert - Zeiten: „In Nahkampfdielen, man war das laut, hab’m wir uns sächsischen Rock’n’Roll gebraut“. Ich sitze da, spüre die Gänsehaut und bin bereit, die Zeiten, die auch meine Jugendjahre waren, ein wenig zu verklären, weil sie einfach glücklich und schön waren. Ich habe sie gelebt und das mit der geklauten Biografie kann ich auch nachvollziehen. Deshalb singt KUNO ja auch „Dann verfluch’ nicht den Wind“ und dann sind die 45 Minuten um, sagt KUNO.
Niemand mag nach der „Schulstunde“ bzw. der Dauer einer solchen schon gehen oder hätte Lust auf eine Hofpause. Also fragt KUNO, der einst ein Rocker war, ob er noch aus einem weiteren Kapitel lese dürfe. Er darf, er soll und er bereitet uns das Vergnügen, das mit dem Klassenaufsatz vorzutragen. So erfahren wir, was es damit auf sich hat und wieso sich ein Kreuz auf der Kirschturmspitze viel besser macht, als vielleicht eine Matratze. Auch die Erklärung von der Rolle der Bedeutung der beiden Hände auf einem Parteiabzeichen lässt kein Auge trocken. Ich glaube in diesen Minuten ganz fest, dass diese Art zu schreiben, nur ein KUNO hinbekommt. Vom Vortragen der Rückschau des Jacobus Kubisch auf sein eigenes Leben, und das auch noch wider Willen, mal ganz zu schweigen.
Was der Roman „Ringelbeats“ sonst noch Vergnügliches aus einer anderen Zeit, von der man nicht so genau weiß, ob und wie es sie gegeben hat, zu bieten hat, will ich natürlich auch wissen. Also höre ich KUNO noch genüsslich beim „Lodar“ zu, um mir danach eine Ausgabe vom „Ringelbeats“ zu kaufen. Schließlich möchte ich ja wissen, was in den guten Stellen zu erfahren ist und wie die Suche des alten Kubisch enden wird.
Ringelbeats, Roman von Christian KUNO Kunert, Eulenspiegel Verlag, 19,99 EU, ISBN 978-3-359-01736-3
www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
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