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Johan Meijer "DAZUMAL - Europeana", Nederosse, 2017
Johan Meijer "DAZUMAL - Europeana", Nederosse, 2017
in CD-, DVD- und Buchveröffentlichungen 26.01.2017 20:52von HH aus EE • | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte
Johan Meijer – „DAZUMAL (Europeana)“, Nederossi, 2017 (26.01.2017)
Der Mann ist ein fleißiger und ideenreicher Künstler. Innerhalb, so wie ich finde, ziemlich kurzer Zeit, liegt nun das vierte Album der „Europeana“ – Serie vor mir. „DAZUMAL“ (2017) heißt die Scheibe, die Ideen und Fundstücke nach „Raum und Zeit“ (2010), „Zeitenwechsel“ (2013) sowie „Hautnah“ (2016) fortsetzt bzw. erweitert. JOHAN MEIJER scheint Lieder zu sammeln, wie andere Leute auf gute Lyrik aus sind. Immer wieder entdeckt er in seiner eigenen Biografie Begegnungen und Inspirationen, die er mit seiner Frau gemeinsam über- und umsetzt. Sie bekommen ein für ihn typisches Gewand, um auf eine CD zu gelangen. Nun also „DAZUMAL“ mit zumeist unbekannten Melodien aus Europas Mitte oder von nebenan. Zumindest hatte ich oft das Gefühl, überrascht zu werden. Sie entstanden in Polen, in Tschechien, im ehemaligen Jugoslawien sowie in manch anderen Teilen Europas. Auch im deutschen Lande. Diese Mischung ist ungewöhnlich, aber deshalb ist dieses Projekt eben auch so interessant, abwechslungsreich und vielfältig geworden.
Gleich die erste Melodie über „Lotmannshagen“, mit dem Klang der Mandoline und einem „hüpfenden“ Bass, fesselt mich. JOHAN MEIJER vermittelt die kleine Geschichte des tschechischen Liedermachers Jaromir Nohavica mit der gleichen Leichtigkeit, wie sie auch das Original ausstrahlt. Später taucht er gefühlvoll in „Gaudeamus Igitur“, ebenfalls von vom tschechischen Liedermacher übernommen, ein und lässt die Ballade, nur von Gitarre, Bass und Piano begleitet, einfühlsam erklingen. Zum einen kann man indirekt nachvollziehen, was ein Gerücht pfeifender Weise im Dorf anstellt und dann wiederum wird man vom Zitat eines bekannten Studentenliedes gefesselt. Als Ausklang mit dem letzten Song auf dieser CD, „So lange man singt“, wird der Hörer ein drittes Mal mit Folkmusik von Nahovica bekannt gemacht und erst dann entlassen. Der Liedermacher aus Tschechien ist für mich zu einer Entdeckung geworden.
Zuvor allerdings warten weitere Lieder und derer Schöpfer darauf, durch Neuinterpretationen entdeckt zu werden. Mit „Pinocchio“ übernimmt Johan einfühlsam ein Lied aus Polen. Der Komponist und auch Interpret eigener Lieder, Przemsylaw Gintrowski, singt „Smiech“ mit rauer leiser Stimme. Johan zieht seine weiche holländische Haut darüber, lässt ein Akkordeon erklingen und verzichtet auf eine zweite Stimme. Er macht so eine einfühlsame Hommage an seinen polnischen Freund Tomek Opoka aus der Ballade. Dieser Song weckt Emotionen, lässt Worte mitfühlen und erinnert mich auch an Grechuta und Wozniak, deren Melodien von gleicher Dichte waren. Davon gibt es im Nachbarland noch viele zu entdecken, wie auch schon Gundermann wusste. Eine solche ist auch „Tomaszòw“ mit seiner düsteren Grundstimmung. Es ist das zweite Lied aus Polen und eine besondere Liebeserklärung an die Stadt Tomaszòw, an deren jüdische Vergangenheit. Für mich der stillste und intimste Moment der CD mit dem gleichmäßigen Spiel eines Vibraphons.
Später gesellt sich zu den tschechischen und polnischen Entdeckungen noch eine aus Ungarn hinzu. „Rejtelmek“ ist ein Lied von Josef Attila, das Johan hier vorstellt. Es erinnert an frühe Beat-Lieder aus Ungarn (Illes „Sarika“, 1969), die tief in der Folklore des Landes verankert sind. Wer schon einmal ein Konzert von Szuzsa Koncz besucht hat, kann u.a. dieses wunderschöne Lied von den „Geheimnissen“ vielleicht dort auch gehört haben. Hier mit Mandoline, einfach großartig, wie das der Holländer macht.
Gundermann’s „Schwarze Galerie“ gab es schon auf „Kersen Delen“ (2015) und ist hier noch einmal in einer anderen Version zu hören. War die erste eher spartanisch, kommt die „Galeere“ diesmal schwer und voluminös, unter vollen Segeln, mit Flöten und wilden Streichern, über die Brecher geschippert. Was für ein verschwenderisches Arrangement, das dem Baggerfahrer aus der Lausitz sicher gefallen würde. Dem hinzu fügt sich ein „Betrunkenes Liebeslied“ (2007), eines der schönsten und anderen deutschen Liebeslieder der „Neuzeit“, das wir hier noch einmal anders entdecken dürfen. Man kann sich von Wenzel’s verstrickter Melodie fesseln und, ganz im Stillen, mitnehmen lassen auf ein kleines Liebesabenteuer. Auch sehr deutsch sind „Grüne Wiesen und blaue Berge“ (im Westen). Inzwischen aber ist Peter Braukmann, der von Schnappsack, in Meissen zu Hause. Eines der neueren schönen deutschen Folks-Lieder, diesmal mit holländischem Akzent gesungen: „Alle Schätze auf dieser Erde gehören uns allen und keinem allein.“ Das können Gundi und Wenzel auch unterschreiben.
Wieder ein anderer Platz in Europa: „Ein strahlend schöner Tag“ beschreibt eine frohe Landpartie, „mit Kaffee und Stulle“, nach Kanada, von Daniel Lohues mit heller Stimme und bei Johan Meijer in seinem weichem Timbre noch einmal, diesmal aber sehr gelöst und entspannt, erzählt: „Mit ’nem Kopp voller Sonnenlicht zu ’ner Frau, die mich wirklich mag.“ Eine flockig beschwingte Melodie, hier mit ein wenig Blues-Grass-Feeling und dem Spiel einer Slide-Guitar. Dann „Ganz weit fort“, ein Original, diesmal aus Bosnien und ein Duett. Johan singt diese, vor Sehnsucht trunkene Melodie, wie einen Slow-Blues im Dreivierteltakt, ganz für sich und uns allein. Eine richtige kleine Perle, die wir da zu hören bekommen.
Und es gibt noch viele weitere zu entdecken. So „Die Stadt schlief ein“, ein Lied von Jaques Brel aus dessen letzten Album (1977). Einfühlsam fängt Johan Meijer in diesem Chanson Geschehnisse ein, die sich ereignen, während die Stadt einschläft und außerdem die besondere französische Atmosphäre in einem ganz besonderen Lied. Ein erdrückendes Drama in ein einfühlsames Lied gepackt singt über „Die sieben Brüder Cervi“. Eine eindringliche Mahnung, Unrecht nicht zu vergessen. Und „Zur Elbe“, ein Heldenlied und Hymne auf jene, die unter großen Gefahren Widerstand leisteten. Es erinnert mich ein wenig an die „Partisanen vom Amur“. „Mistral Gagnant“ (1985) wiederum erzählt auch im Original davon, was alles in fünf Minuten, irgendwo auf eine Bank sitzend, vielleicht alles zu beobachten wäre. Zu dezenter Klavierbegleitung fängt das Lied ein paar Augenblicke Leben ein, hält sie fest und lässt den Hörer teilhaben. Typisch französisch und doch typisch überall. Momente, die man sich auch selbst schenken sollte. Vielleicht nach diesem Lied.
Булат Шалвович Окуджава war ein beliebter Musiker der UdSSR, der oft, mit kritischen und klugen Liedern, hier das „Gebet des Francois Villon“, in seiner Heimat viel Gehör fand. Weit weg von dem, was wir uns manchmal unter russischer Musik vorstellen, zeigt uns Johan eine anderer Seite russischer Volksmusik (und dennoch mit Balalaika). „Schiffe liegen am Kai“, noch ein Lied, das Johan auf Reisen in russische Lande aufgefallen ist. Ein rauchig knarziges Saxophon macht den Song widerborstig, ein wenig jazzig und durch das Gitarrenspiel leicht angeswingt.
Nach sechzehn Liedern klingt die CD mit einem Lied aus unserem Nachbarland Tschechien, „So lange man singt ist doch noch nicht alles verloren“ (1988), aus. Dieses wunderschöne Kleinod beschließt die prall gefüllte Scheibe und irgendwie schließt sich der Kreis mit dem dezenten Hinweis. „Am Anfang des Wegs scheint das Ende noch weit“. Ja, ich habe diese neue Scheibe mehrmals gehört, um wenigstens einen kleinen Teil ihrer Faszination für mich zu entdecken. Immer wieder am Anfang angefangen. So viele Nachdichtungen auf so engen Raum, so dicht komprimiert zu hören, kann schon ein Abenteuer sein. Auch deshalb, weil die Vielfalt der Themen sich quer durch das Leben und die Geschichte ziehen, sich von fröhlich, über traurig bis ganz hin zu bissig erstrecken und so die Emotionen immer wieder neu anstacheln. Bei keinem der 17 Lieder kommt Langeweile auf, weil die instrumentale Stimmung die Aufmerksamkeit stets neu anspornt. Wer sich auf solcherart Denken und Fühlen einlässt, hat gute Chancen, mit anderen, vielleicht scheinbar fremden Menschen, doch ein gemeinsames, neues Europa aus dem Flickenteppich des alten zu weben. JOHAN MEIJER ist mit seiner Reise durch „Europeana“ schon kräftig am Werkeln. Ein Europäer eben, ohne darum viel Aufsehen zu machen. Dafür, und für diese Liederentdeckungsreisen, verdient er Respekt (und jede Menge interessierte Hörer).
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