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Der FÄHRMANN live im Turmpark Magdeburg
Der FÄHRMANN live im Turmpark Magdeburg
in Konzertberichte 2019 und älter 20.03.2016 18:52von HH aus EE • | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte
Der Fährmann singt im Turmpark (18.03.2016)
Vielleicht haben sich ja die Frühaufsteher in Magdeburg unter „blühenden Landschaften“ tatsächlich etwas anderes vorgestellt, als riesige Vertriebshallen, duzende Bau- oder Möbelmärkte und Lager für Autoteile. Vielleicht liegt da ein Missverständnis vor, dass ich irgendwie nachvollziehen kann, als ich im Abendlicht minutenlang an einem Lichtermeer von hellen Großreklamen vorüber fahre. Das ist weniger imposant, als irritierend. Wenn man dann endlich das gleißende Licht hinter sich gelassen hat und in die Stadt eintauchen möchte, herrscht graue Dunkelheit. Ruinen links und rechts und kaum ein Licht in einer der vielen Wohnhäuser. In einer Seitenstraße stelle ich die „Schüttel“ ab. Mich empfängt ein Gefühl der Beklemmung, das mich einschnürt. Weit und breit nicht ein einziger Passant zu sehen. Es scheint, als wäre Magdeburg hier ausgestorben. Von irgendwo her kommt eine Straßenbahn gefahren und verschwindet wieder hinter einer Ecke. Wo, verdammt noch mal, soll hier, am Arsch der Welt, in dieser beklemmenden Geisterstadt, der Turmpark, so etwas wie ein kulturelles Zentrum, sein? Wie war das gleich mit den „blühenden Landschaften“ und dem Wahlverhalten? – Das musste jetzt einfach mal sein, denn es passt nicht zusammen, was nicht zusammen gehört!
Dort, wo ich den Kulturpark mit dem Wasserturm vermute, ist es dunkel. Die Sicht in die Dunkelheit verwehren mir dunkle graue Häuserfassaden. Mutig, wie mich mein Leben gemacht hat, wage ich die ersten Schritte in einen noch dunkleren Seitenpfad. Langsam schält sich aus dem Dunkel ein Licht am Ende des Tunnels, das sich erst, als ich direkt davor stehe, als Turm zu erkennen gibt. Mag sein, dass es an einem sonnigen Wochenende hier anders aussieht. Ich musste diesen Platz an einem Abend im zeitigen Frühjahr finden und ich bin stolz auf diese Leistung.
Innen setzt sich der FÄHRMANN in einem sehr schönen Innenraum, auf ein schön gestaltetes Podest, um seine schönen Lieder zu singen. Ich bin erstaunt, nach all dem Erlebten, dieses Kleinod zu finden.
Inmitten einer sorgfältig ausgewählten Anordnung sitzt der Künstler vor einigen Stuhlreihen, spricht Worte der Begrüßung und singt. Er singt ein Lied, das er immer zu Beginn eines Konzertes singt, sagt er, und es ist ein schönes Lied. Das sagt er auch.
Das Spiel auf der Gitarre und diese Stimme bringen mich in Stimmung, in ein Gefühl, das ich erhofft hatte, hier zu finden. Dieser Typ da vorn, mit der Schiebermütze auf dem Kopf, verbreitet allein nur mit seiner Stimme und Gitarre ein Wohlfühlklima, das ich eigentlich nur von den Musikern der 1970er Jahre kenne. Du hörst etwas und spürst sofort, das ist meins. Ich höre nicht einmal auf die Worte, ich genieße einfach nur den Klang. Damit dieses Empfinden nicht aufhört, schickt er die „Vorstadtträume“, ein weiteres schönes und verträumtes Lied, hinterher. Wieder nur Gitarre und diese Stimme, die aus Sehnsucht und Melancholie gemacht scheint. Ich gebe mich dieser Magie hin und genieße Akkord für Akkord. Wirklich schön!
Der FÄHRMANN, der eigentlich Alexander Bärike heißt, erzählt auch kleine Geschichten, die zu seinen Liedern passen und zu den Inhalten hinführen. So die vom Kinderlied „Kommt ein Vogel geflogen“ mit dem „Zettel im Schnabel, von der Mutter einen Gruß“. Diese kleine Melodie sei ihm nach dem frühen Tod seiner Mutter nie aus dem Sinn gegangen und erst viel später, so meint er, kam er auf die Idee, auf den Brief der Mutter antworten zu müssen. Er widmet ihr ein Lied. „Komm setz Dich ans Fenster“ ist wie liebevolles Nachdenken über jene Zeit, weit zurück in der Kindheit. Sich daran erinnern, setzt auch Jahrzehnte später noch eine Menge Emotionen frei, die ich als Gast ganz gut heraushören kann. Es ist ein wirklich sehr schönes Lied, dessen Stimmung durch das Farbenspiel im Hintergrund dezent unterstützt wird.
Andere Geschichten erzählen von Begegnungen mit alten Kumpels, die man vielleicht doch lieber nicht wieder getroffen hätte („Feuer im Schnee“), wie man von einem unbekannten Autokennzeichen (SHG) zu einem schönen Lied inspiriert werden kann („Wer weiß?“) oder was die Gedanken an eine längst verflossene Jugendliebe auslösen können („Ich steh’ noch immer hier“). Das alles sind eigene Lieder des FÄHRMANNES, für die er nachdenkliche Worte fand oder sich den Text schreiben ließ. Jedoch all seine Worte wirken eigentlich erst gesungen. Dann seh’ ich diesen Typen in einem Boot stehen, eine lange Stange in der Hand und während er so stakt, klingt ein schönes Lied nach dem anderen zu uns an das Ufer. Dieser FÄHRMANN ist ein Poet, der kleinen Alltagsgeschichten Melodien schenkt und sich, wenn es sein muss, den Schmerz von der Seele singt. Dann entsteht so etwas wie „Ich steh immer noch hier“, eines der schönsten Liebeslieder, das ich kenne. Oder auch seine eigene melancholische Hymne vom „Fährmann“, die eine Seele zu berühren vermag. Und so etwas ist schön, weil es der Seele gut tut.
Eines seiner neuesten Lieder heißt „Ich sehe was, was du nicht siehst“. Komische Liedzeile, denke ich im ersten Augenblick, weil sie für mich ein Spiel aus frühesten Kindertagen symbolisiert. Doch beim Hören fällt mir dann ein, dass uns als Erwachsene diese Unbeschwertheit, irgendwo auf unserem Weg durch die Jahre, abhanden gekommen sein muss. Das ist schade und deshalb ist so ein Lied, das uns auffordert, „nach etwas zu suchen, was ansonsten für immer weg bliebe“, wichtig, uns die Neugier auf Andere und Anderes zu bewahren. So ganz nebenbei hat der FÄHRMANN sein Lied mit einem wirklich wunderschönen Chorus auf seiner Mundharmonika garniert, beinahe so wie in den schönen 1970ern.
Ich ertappe mich öfter dabei, eher der Stimmung zu folgen, die Gesang und Gitarre erzeugen, als auf die Worte zu achten. Dennoch, eine Zeile bleibt in mir kleben, weil sie mir symptomatisch scheint für die Musikwelt des FÄHRMANN, der nicht rudert, dafür aber schöne Gitarrenklänge erzeugt: „Ich hatte mal’n Lehrer, den hab’ ich nie gesehn. Er war Rock’n’Roll – Star in Amerika.“ Damit kann auch ich viel anfangen und das hat ganz bestimmt nicht nur etwas mit Musik zu tun. Für mich ist es auch so etwas wie eine Lebenseinstellung geworden, ein Ideal, das ich, wie andere einen Kompass, brauche.
Zwischen all seinen schönen eigenen Liedern hören wir an diesem Abend auch zwei, die man bei ihm vielleicht nicht vermutet hätte. Er überrascht mit einer akustischen Version von Silly’s „Instandbesetzt“ und mit einem Lied, mit dem eine ganze Generation wohl die gleichen Assoziationen verbindet. Kaum ein Song der letzten Dekaden hat die romantischen Sehnsüchte einer spirituellen Liebe derart lyrisch in ein Lied verwandelt, wie Leonard Cohen’s „Suzanne“. Selbst nach so vielen Jahren lässt dieser Song noch immer das Blut schneller pulsieren. Eigentlich ist jede Kopie zum Scheitern verurteilt. Nur ab und an gelingt es Künstlern mit großem Einfühlungsvermögen, einem wie Herman van Veen, der Botschaft eigene Stimmungen zu verleihen. Auch FÄHRMANN’s Interpretation ist davon nicht weit entfernt und das empfinde ich als schön.
An diesem Abend genieße ich einige sehr schöne balladeske Lieder. Ich spüre viel Herz, viel Seele und einen Touch leiser Melancholie sowie Nachdenklichkeit in den Worten. Als er ganz am Ende, schon als Zugabe, das schöne „Anna, komm’ lass uns verschwinden“ singt, endet ein intimer Liederabend, wie man ihn heute leider nur noch selten erleben kann. Nur noch selten geschieht es, dass einer, nur mit seinen Gedanken, in Worte gekleidet, und seinem Gesang mit Gitarrenbegleitung zu verzaubern und entführen vermag. Das hat etwas Besonderes und etwas sehr Schönes dazu.
Minuten später, im Angesicht des in der Dunkelheit der Nacht versteckten Verfalls einerseits und der gleißenden Reklame für den Markt andererseits, ziehe ich meine Hoffnung auch aus solchen Liedern, dass es eine Alternative zu diesen Gegensätzen da draußen geben muss. Denn hier wollen Menschen leben und sich nicht ausschließlich zu Marktteilnehmer degradieren lassen. Einer hat vielleicht gerade versucht, davon zu singen.
www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
RE: Der FÄHRMANN live im Turmpark Magdeburg
in Konzertberichte 2019 und älter 03.04.2016 12:19von Peggy • | 336 Beiträge | 707 Punkte
Wenn es jemandem gelingt, neugierig auf ansprechende Musik zu machen, dann ist diesesForum auf jeden Fall die richtige Anlaufstelle!
Herzdank für Deine Eindrücke ... und für's Neugierigmachen auf mehr! ;-)
"Von jedem Tag will ich was haben, was ich nicht vergesse ..."
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