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BARTSCH & BAND 30.10.15 Dresden

in Konzertberichte 2019 und älter 05.11.2015 19:51
von Kundi | 3.250 Beiträge | 7335 Punkte

Konzertbericht Teil 1:

Ich stelle diesem Bericht ausnahmsweise mal eine kleine Warnung voran: Erwartet von mir bitte keinen chronologischen, dokumentarischen und kurzen Ablaufbericht des Konzertes. So etwas liegt mir nicht. Bei mir geht es eher kreuz und quer durch Fakten und Informationen, durch den Programmablauf sowie durch die eigene Gedanken- und Gefühlswelt. Deshalb ist auch nicht immer eine klare Struktur hinter diesem Bericht zu erkennen. Ich bin halt nur ein einfacher Musikfan, der seine Eindrücke irgendwie für sich selbst festhalten möchte und sie auch noch mit anderen Leserinnen bzw. Lesern teilen möchte. Ich glaube allerdings auch, dass interessierte Muggenpilger, Konzertnomaden oder Konzertnomaden nicht dümmer werden, wenn sie sich durch diesen Text kämpfen. Ideal wird es, wenn ihr dadurch animiert werdet, euch mit der Musik von Paul Bartsch und diese dann auch noch super findet.

Paul Bartsch und Band waren am 30. Oktober 2015 im Club Passage zu Dresden angekündigt. Ich sattelte also mein Motorfuhrwerk und dessen mehr als 100 blechverkleidete Pferdchen trabten treu und brav der sächsischen Landeshauptstadt entgegen.
Diesen Termin konnte ich mir nicht durch die Lappen gehen lassen. Vor allen Dingen wollte ich dieses Ereignis auch nicht versäumen. Denn so oft kommt der Hallenser Musiker Paul Bartsch nicht in unsere Gegend und die Anzahl seiner Konzerte ist auch recht überschaubar. Dabei ist Bartsch ein ganz außergewöhnlicher und großer Liedermacher, der meiner Meinung nach ein eigenes Profil hat und der auch wirklich etwas zu sagen hat. Wenn man heute von Gerhard Gundermann redet, dabei auch noch Christian Haase ins Gespräch bringt, dann sollte in meinen Augen unbedingt auch der Name Paul Bartsch genannt werden.

Mein erstes Konzert von Paul Bartsch(www.zirkustiger.de) liegt schon einige Jahre zurück. Es war ein Solokonzert von Paul in der kleinen Musikkneipe Evergreen in Halle am 09. März 2008. Obwohl diese Mugge an einem Sonntag stattgefunden hat, trieb mich damals meine musikalische Neugier in die Stadt an der Saale. Aufmerksam bin ich auf den Liedermacher geworden, weil er im Zusammenhang mit Gerhard Gundermann mehrmals genannt wurde. Das und einige musikalische Proben im Netz hatten mich neugierig gemacht. Konzertberichte über Bartsch gab es damals in den von mir frequentierten Internetportalen wie deutsche-mugge.de oder ostmusik.de sowie in unserem damaligen Forum noch nicht. Ich machte damit also den Anfang. Nach dieser Mugge in Halle war ich nicht nur schlauer, sondern restlos begeistert vom Menschen und Musiker Paul Bartsch. Da kam so viel zusammen, was mich angesprochen, erfreut, beeindruckt und/oder nachdenklich gemacht hat. Das bezog sich sowohl auf Pauls Erscheinung, seine offene und bescheidene Art als auch seine Fähigkeiten und Fertigkeiten als Komponist, Texter und Interpret.

Mit seiner wandelbaren, ausgeprägten und vor allem warmen, sympathischen Gesangsstimme hatte Bartsch unbewusst den Grundstein dazu gelegt, mich zu fangen. Seine Lieder hatten und haben inhaltsvolle Texte, die weder kopflastig noch gefühlsduselig sind, aber trotzdem Kopf, Herz und Seele ansprechen. Es war auch eine Wohltat zu erleben, dass er seine Zuhörer sehr natürlich, menschlich und auf gleicher Augenhöhe mit sich selbst sah. Das ist auch heute noch so. Paul kam und kommt nicht als Oberlehrer oder Oberbedenkenträger rüber, er war und ist auch kein Bekehrer und er macht auch nicht den weisen und alleswissenden Erklär-Bären.
Er gibt mit seiner Kunst sicher Anstöße, aber durchdenken, fühlen, nachvollziehen oder gar nacherleben und genießen muss man seine Kunst schon alleine. Paul Bartsch löst (bei mir) mit einem Lied, einer CD oder einem Konzert mehr Denkprozesse aus als es viele Chartstürmer mit ihrem ganzen musikalischen (Kurz-)Zeitleben tun könnten.

Bartsch ist nicht nur ein guter Beobachter seines eigenen Mikrokosmos in Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft und der Umwelt, sondern er beobachtet ebenso gesellschaftliche Prozesse samt ihren Irritationen und Verwerfungen. Paul Bartsch hat dabei die Gabe, seine Beobachtungen, Erfahrungen, Gefühle in poesievollen und bildhaften Texten verarbeiten zu können. Der Musiker malt seine Geschichten statt mit Farbe lieber mit Worten. Das kann er allerdings so wunderbar, dass in meinem Kopfkino nicht nur einzelne Bilder, sondern ganze Filme entstehen. Manche seiner Lieder sind eigentlich sogar ganz bildgewaltige Meisterwerke.

Was auch nicht zu verachten ist und für mich sogar herausragend ist, ist unsere gemeinsame Herkunft aus den ehemals selbstständigen 108 000 Quadratkilometern namens DDR und seine Sicht darauf. Bartsch gelingt es immer wieder sehr differenziert auf unser erstes Leben (also vor dem 03. Oktober 1990) zurückzuschauen. Damit meine ich, dass er weder alles verklärt, noch mit Schaum vor dem Mund alles verteufelt. Auch wenn uns beide 10 Lebensjahre trennen, haben wir doch damals unsere Erfahrungen gemacht und manche sind sich sehr ähnlich. Es gibt so viele Anknüpfungs- und Berührungspunkte in den Liedtexten. Das bei jedem neuen Lied und jeder neuen CD des Hallenser Liedermachers für mich aufzudecken ist sehr spannend und macht außerdem auch noch Spaß.

Manchmal nicke ich unwillkürlich, wenn ich Textzeilen höre wie "ich war so ein Rädchen und drehte mich brav" (aus "Wenn wir's wirklich wolln"). Da und nicht nur da bin ich ganz bei Paul.
Ja, aus der Sicht anderer ist es möglicherweise kein Ruhmesblatt für mich ein kleines Rädchen im System gewesen zu sein, aber ich schäme mich dessen auch nicht. Aus der Sicht von heute war ich damals wirklich gutgläubig und blauäugig, aber ich war jung, ganz sicher auch etwas naiv und hatte auch nicht das Wissen von heute.

Wenn Bartsch in "Wälder meiner Kindheit" die sichtbaren Veränderungen in seiner Heimat und den Spagat zwischen Erinnerung an die Kindheit und heutiger Verklärung beschreibt, und dabei Zeilen singt wie "die Löwenzahnwiese hat 'n Steingesicht, mein Schaukelpferd flackert im Kamin" oder "der kleine Bahnhof ist längst abgeschrieben, über die toten Gleise wächst das Gras. Von der guten alten Zeit ist hier nichts geblieben und die neue, die macht auch keinen Spaß", dann sehe ich sofort die dazu gehörigen Bilder meines Lebens vor meinen Augen. Die Kirschallee in der ich als Steppke Früchte mauste, wich schon zu DDR-Zeiten einem Plattenbau-Wohngebiet. Das Mietshaus in dem meine Eltern mit uns nach einem Umzug vom Dorf ab 1968 wohnten, wurde inzwischen abgerissen. Die Schule im Stadtzentrum von Bautzen, welche ich 10 Jahre besuchte, musste einen Einkaufstempel aus Glas und Stahl Platz machen. So bleiben zu großen Teilen leider nur die Erinnerungen an meine Kindheit zurück. Was gäbe ich dafür, wenn ich nochmal durch unser Wohnhaus streifen dürfte oder auf dem Dachboden der Lessing-Oberschule noch mal den durch die Schüler selbst gestalteten Diskoraum besuchen könnte oder gar im daneben gelegenen Archiv wühlen könnte. Mir fehlt da wirklich etwas und deshalb liegen auf der Erinnerung auch einige unheilbare Narben.

Doch jetzt führen uns unsere Gedanken in den Dresdner Club Passage an letzten Freitagabend des Monats Oktober 2015. Ich habe Bartsch und Band an gleicher Stelle schon vor ca. 5 Jahren gesehen und bei den Besucherzahlen war schon eine Steigerung zu erkennen. Das ist erst mal erfreulich. Aber da ist tatsächlich auch noch Luft nach oben. Ein Liedermacher von der Klasse eines Paul Bartsch hat an dieser Stelle eigentlich ein volles, ausverkauftes Haus verdient.

Die Bühne war schon sehr gut vorbereitet. man konnte aber am Aufbau sehen, dass nicht die gesamte Band angereist war. Gitarrist Thomas "Tommy" Fahnert und Drummer Ralf Schneider fehlten wegen anderer Verpflichtungen. Tommy ist ja Gründungsmitglied der Cover-Band Two Riders und er hält dieser auch seit über 23 Jahren die Treue. Ralf spielt sogar seit 1986 bei der Staatskapelle Halle. Aber Paul Bartsch stellte in seinen Wortbeiträgen dem Publikum nicht nur die anwesenden Musiker seiner Band vor, sondern auch die zwei, die entschuldigt fehlten. Aus das erlebt man nicht bei jeder Band bei der mal jemand verhindert ist.

Dass der Herr Bartsch, ein akribischer und gründlicher Arbeiter ist, kann man sehr gut sehen bzw. nachvollziehen, wenn man ihn bei der Mugge so beobachtet. Er achtet sorgsam, dass seine Gitarren ordentlich gestimmt sind, sein Arbeitsplatz ist aufgeräumt und die zur Sicherheit bereitliegenden Liedtexte sind zwecks dauerhafter Verwendung sogar laminiert.

Das erste Lied des Konzertes war gleich eine ganz alte Solnummer von Paul Bartsch. Die in der Ich-Form angelegte Ballade vom "Zirkustiger" ist nicht nur ein guter Einstieg in den Abend, sondern zählt zu meinen Lieblingsliedern. Am Ende fauchte Paul wie ein kleiner Tiger, was die Zuhörer natürlich zum Schmunzeln brachte. Später beim Titelsong des aktuellen Albums "Tanzende Hunde - Die Lieder der Bordkapelle
" hörte man Paul auch noch kläffen und bellen wie ein kleines Hündchen.

In den folgenden Stunden erlebten wir einen Ausflug in die vielfältige musikalische Welt von Bartsch und Band. Obwohl mit Paul (Gesang, Gitarre, Mundharmonika), Sander Lueken (Keyboards, Gesang) und Gerd Hecht (Bassgitarre) nur ein Trio musizierte, konnten die Zuhörer doch sehr hörbare Eindrücke vom musikalischen Universum der Hallenser Kapelle bekommen. Man braucht eigentlich gar keine der üblichen Schubladen aufmachen, denn Bartsch und seine Mannen passen da sowieso nicht hinein. Gemeinsam ist allen Liedern aber, dass sie sehr melodiös mit Ohrwurm-charakter und hohem Wiedererkennungswert sind. Es sind wunderbare, eingängige Melodien, die die warm klingende Gesangsstimme von Paul sehr angenehm umrahmen.

Aber das war es dann auch schon, was allen Liedern im musikalischen Sinne gemeinsam ist. Man könnte eventuell noch von einem Grundstock an Liedermacherei sprechen, aber dazu kommen zu unterschiedlichen Zeiten und in variabler Dosis noch viele Zutaten aus den Bereichen Folk/Volkslied, Chanson, Rock, Pop, Reggae bis hin zum Tango.

Nebenbei gesagt höre ich Pauls Alben auch sehr gerne, wenn ich mit dem Schäferhund-Rabauken Fino meine Spaziergänge durch Wald und Flur unternehme. Ich habe da Zeit über die Texte nachzudenken und die Musik hat eine beruhigende Wirkung auf mich. Das Stresslevel, welches sich durch den langen Arbeitstag und die anschließende Heimfahrt aufgepusht hat, wird so ganz allmählich auf besser der Gesundheit dienende Werte abgeregelt.


Gruß Kundi

Angefügte Bilder:
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zuletzt bearbeitet 08.11.2015 17:22 | nach oben springen

#2

RE: BARTSCH & BAND 30.10.15 Dresden

in Konzertberichte 2019 und älter 05.11.2015 19:58
von Kundi | 3.250 Beiträge | 7335 Punkte

Konzertbericht Teil 2:

Natürlich stand im Club Passage das noch aktuelle Album "Tanzende Hunde" aus dem Jahr 2013 im Mittelpunkt des Wirkens der Musiker. Aber es gab auch ein paar ältere Lieder. Ich fand die Mischung aus alt und neu sehr ausgewogen. Übrigens war es auch eine Freude, die Spielfreude des Trios und die kleinen liebevollen Neckereien der drei Herren untereinander zu erleben. So hatte Bassist Gerd Hecht an diesem Abend bei einigen Songs gerne mit seinem Instrument das letzte Wort bzw. den letzten Ton. Das brachte sogar den Meister zum Schmunzeln. Was Paul Bartsch zwischen den Liedern so erzählt, kann man sich auch ruhig mal durch den Kopf gehen lassen. Da zitiert er aus dem Stehgreif Klassiker wie Goethe oder Brecht. Haut uns aus Rilkes Gedicht "Herbsttag" die berühmte dritte Strophe "Wer jetzt kein Haus baut, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben ..." um die Ohren. Außerdem beichtet er, dass er bei den Texten zu den neuen Liedern sich jeweils eine Textzeile bei Wader, Mey oder Udo Jürgens ausgeborgt hat. Die Idee für das Lied "Buttje" lieferten ihm die Gebrüder Grimm mit dem "Märchen vom Fischer und seiner Frau".

Zum Lied "Systemrelevant" fiel ihm ein, dass es in der Bundesrepublik Deutschland so viele private Spareinlagen bei den Banken gibt, dass rein rechnerisch jeder Bundesbürger vom Baby bis zum Greis ein Guthaben von mehr als 62.000 Euro haben müsste. Also ich habe nicht so viel auf der Kante, in meiner Familie hat meines Wissens keiner so ein Polster. Auch Paul konnte das für sich und seine Familie ausschließen. Leider teilt sich der Großteil dieses Batzen Geldes eben auf einige Superreiche auf. Wie heißt es dann im Lied so passend und wahr: "Das System der Milliarden mit 'nem bisschen Hartz IV, ich gebe es offen zu: Das widerstrebt mir". Für das Formulieren solch treffender und präziser Aussagen zur Schieflage in unserer Gesellschaft hat der Mann eigentlich einen Beifallssturm verdient. Ich bin da gedanklich ganz bei Paul. Überhaupt ist auch das Bildnis vom angeschlagenen Gesellschaftsdampfer eine ins Schwarze treffende Bezeichnung.

Lieder wie "Heimat" und "HimmelReich" (mit der Wader-Zeile "heute hier, morgen dort") gehen ganz sicher auch unter die Haut, aber ich möchte lieber noch zwei oder drei andere Lieder herausgreifen. Da kommen wir gleich mal zu Bartsch und seinem Verhältnis zu RENFT. Paul sprach im Konzert davon, dass er auch durch die Lieder von RENFT sozialisiert wurde. Er ist seit den frühen 70er Jahren ein Fan der Band. Als Verbeugung vor der Rocklegende nennen er und seine Musiker seit Jahren auf ihren Alben immer ein Lied nach einem RENFT-Original: Auf der CD "Bruchpiloten" war das der Titel "Irgendwer", die Scheibe "Stechen in See" enthielt einen "Wandersmann", "Nach der Schlacht" wurde die RENFT-Verbeugung auf dem Silberling "Wer weiß schon wie" genannt. Ich weiß noch genau, wann und wo ich den "Traum vom Apfelbaum" erstmals gehört hatte. Das war bei der Mugge zum Paulusfest 2010. Damals war das Lied noch gar nicht auf Platte erschienen. Bartsch spielte das Intro vom originalen Apfeltraum einfach von der Konserve mit einem herkömmlichen CD-Player ab und daran knüpfte sich dann die Neuschöpfung an. Die aktuelle Platte enthält einen Song "Glaubensfragen". Das war ja neben der "Rockballade vom kleinen Otto" einer der Steine des Anstoßes für das RENFT-Verbot im Jahr 1975. Übrigens berichtete der Herr Bartsch auch, dass er "Irgendwer" damals auch an Christian "Kuno" Kunert geschickt hatte und er dadurch Kuno kennen gelernt hat. Kuno hat bis zu seiner Krankheit auch einige Konzerte mit der Bartsch-Band gespielt. Im vergangenen Jahr spielte er beim Geburtstagskonzert zu Pauls 60. auch zwei oder drei Lieder (siehe Bericht HIER). Bartsch und Band teilen sich bei ihren "Glaubensfragen" die Strophen gesanglich untereinander auf. Da diesmal nur Sander und Paul von den Sängern anwesend waren, durfte jeder zwei Strophen singen.

"Wenn wir's wirklich woll'n" war Pauls Beitrag für ein Liedermacher-Festival in Trier. Er war dorthin eingeladen. Bedingung war ein eigenes Lied mit Bezug zu Bob Dylan und zu Trier. Paul nahm sich die Melodie von "The Times They Are A-Changin'" und schrieb dazu einen eigenen Text, in welchem Trier und auch noch Karl Marx, der ja in dieser Stadt geboren wurde, vorkamen. Übrigens stellt er zu diesem Lied dem Publikum in Ost und West immer eine Frage, nämlich: "Was fällt Euch zu Trier ein?" Wenn die Antwort Karl Marx dabei ist, weiß er, dass er daheim im Osten ist. Aus Trier hatte er sich übrigens eine Kaffeetasse mit dem Abbild von Marx mitgebracht.

"Hilf mir" vom "Wolkenkuckucksheimerbauer"-Album gefiel mir schon immer, aber seit meiner schweren Krankheit vor knapp zwei Jahren und dem damit verbundenen Schlüsselerlebnis, nah dem Tode gewesen zu sein, laufen mir bei diesem Lied kalte Schauer über den Rücken. Es fröstelt mich und der Atem stockt kurz, wenn ich diesen Text vom ängstlichen und flehenden Patienten auf dem OP-Tisch höre. Dabei ist es völlig egal, dass Paul hier scheinbar eine andere lebensbedrohliche Erkrankung besingt. Bei mir jedenfalls knistert zeitgleich irgendwas in Herz und Seele beim Hören dieses Liedes und ich bin für Sekunden oder Minuten unbrauchbar. Die Gedanken schweifen auf die Intensivstation des Krankenhauses in Bautzen zu dem Moment, als ich aus dem Koma erwachte, meine weinende Mutter sah und sie mit einem bangen Lächeln hoffnungsvoll und voller Mutterliebe murmeln hörte "Jetzt wird alles wieder gut". Dieses Gefühlsbad nehme ich mit und dem stelle ich mich auch.

Dabei ist es egal, ob ich das Lied für mich von der Konserve höre oder wie bei der Mugge in Dresden live serviert bekomme. Ich möchte mal salopp schreiben, dass dieses Liedes mich emotional mit voller Wucht trifft und diese Gefühlskeule für mich der blanke Wahnsinn ist. Ich habe gelernt, sehr dankbar dafür zu sein, dass ich das noch erleben darf. Mir kommt es fast so vor, als ob Paul beim Schreiben dieses Textes meine Gedanken und Empfindungen, die ich in den ersten Tagen nach dem Erwachen aus dem Koma hatte, vorhergesehen und in dieses Lied gepackt hat. Dieses damalige Kuddelmuddel aus Hilflosigkeit und Angst, dieses zeitlich und örtlich völlig neben der Spur stehen sowie diesem völlig unübersichtlichen Gedanken-Wirrwarr aus Realität und Komaträumen möchte ich nicht noch mal er- und durchleben. Trotz allem hilft mir "Hilf mir" auch irgendwie, mit der erlebten Extremsituation umzugehen. Dafür bedanke ich mich an dieser Stelle auch mal gesondert für dieses Lied bei Paul. Bartsch möchte mit seinen Liedern ja Brücken zwischen den Menschen bauen, das kann er und das tut er auch mit seinen tollen Songs. Mit "Hilf mir" hat er (mir) sogar eine Brücke zurück ins Leben gebaut.

Nee, so hochtrabend kann ich den Bericht nicht abschließen. Da würde ein völlig falscher Eindruck zurückbleiben, denn dieses Konzert hat mir insgesamt einen Heidenspaß bereitet. Es gab dabei so viele Momente, die nicht nur mir ein Lächeln ins Gesicht und Glanz in die Augen zauberten. Ich weiß jetzt auch, dass Menschen und Hunde unterschiedlich tanzen. Wir mit unseren zwei Beinen haben dieses dreigeteilte eins-zwei-tipp-Gehopse, unsere Hunde dagegen haben vier Füße zur Verfügung, deshalb haben sie wahrscheinlich auch fünf Tanzschritte ;-) Wusstet Ihr, dass Paul und Michael "Leo" Lehrmann (Reform, Stern Meißen, Maschine und Männer, Stern Akustisch, Sputniks) sich seit Ewigkeiten kennen und in ihrer Jugend in Halberstadt zusammen in einer Band spielten? Leo hat ja auch am aktuellen Album mitgewerkelt und er stand bei Pauls Geburtstagsmugge letztes Jahr auch mit auf der Bühne.

Die Zugaben enthielten mit "Ikarus" noch eine besondere, echte und betagte Perle aus dem Bartsch-Fundus. Paul, Sander und Gerd setzten dann den Schlusspunkt unter einen rundherum gelungenen Auftritt, der noch lange und intensiv in mir nachklingen wird.


Gruß Kundi

Angefügte Bilder:
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zuletzt bearbeitet 27.11.2015 15:29 | nach oben springen

#3

RE: BARTSCH & BAND 30.10.15 Dresden

in Konzertberichte 2019 und älter 07.11.2015 20:06
von Holger | 259 Beiträge | 706 Punkte

Ein wunderschöner Bericht, den Du hier verfaßt hast, lieber Kundi .
Auch uns hat der Abend sehr gut gefallen und es waren diesmal wenigstens auch ein paar Leute mehr da im Club Passage als beim letzten Mal vor ca. 1,5 Jahren. PAUL und seine Lieder sind schon etwas besonderes. Durch Kundis damaligen Konzertbericht vom Paulusfest 2010 sind wir neugierig geworden auf seine Musik, dann wurde die aktuelle CD "Live im Objekt 5" erworben und das erste Live-Konzert war ein Auftritt zur Hoyschrecke 2011, auch in der Trio-Variante. Und wir kommen nicht mehr los von seiner Musik. Da PAULS Auftritte nicht so zahlreich sind, muß man schon jede sich bietende Möglichkeit nutzen. Nun können wir uns auf die nächste Studio-CD freuen, die im Frühjahr 2016 fertig sein soll.

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#4

RE: BARTSCH & BAND 30.10.15 Dresden

in Konzertberichte 2019 und älter 08.11.2015 18:50
von PMausM | 1.820 Beiträge | 3861 Punkte

Eigentlich wolle ich auch hin, hatte aber einen weiteren Termin an dem Abend. Durch Kundi kenne ich die Musik von Bartsch und es wird mir schon mal gelingen, ihn live zu sehen. Hast wieder einen tollen Konzertbericht verfasst.

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#5

RE: BARTSCH & BAND 30.10.15 Dresden

in Konzertberichte 2019 und älter 12.11.2015 21:40
von Peggy | 336 Beiträge | 707 Punkte

Hach, es ist einfach schön, Deine ausführlichen, persönlichen und somit auch irgendwie einzigartigen Muggenerlebnisse zu lesen!
Auch mich hast Du damit wiederholt neugierig auf mehr gemacht! Petra, wir halten mal Augen und Ohren offen - vielleicht ergibt sich ja die Möglichkeit eines gemeinsamen Konzertbesuches.

DANKE, LIEBER KUNDI!


"Von jedem Tag will ich was haben, was ich nicht vergesse ..."

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