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Der DRESDNER KREUZCHOR im Dom von Halberstadt
Der DRESDNER KREUZCHOR im Dom von Halberstadt
in Konzertberichte 2019 und älter 06.07.2015 18:51von HH aus EE • | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte
Ton im Dom – der Kreuzchor in Halberstadt
(05.07.2015)
Es ist das nicht alltägliche Konzertereignis. Den Veranstaltern von TON AM DOM ist es gelungen, den Dresdner Kreuzchor nach Halberstadt zu verpflichten und deshalb gibt es heute auch TON IM DOM. Die Ankündigung hatte ich gelesen, mein Sohn jedoch kaufte Karten. Da war ich dann doch etwas freudig überrascht! Wann hat man schon einmal die Gelegenheit, einen Chor mit einer Tradition zu erleben, die über Jahrhunderte reicht und eine Sangeskultur zu hören, die beinahe einzigartig ist. Ich bin ihm sehr dankbar, das genießen zu dürfen.
Auf dem Domplatz herrscht noch immer ein reges Markttreiben. Trotz der schwülen Gewitterstimmung und obwohl es gerade ein wenig geregnet hat. Die Luft fühlt sich noch immer an wie ein Hexengebräu und man meint, durch eine riesige Open Air - Sauna zu flanieren. Doch nur wenige Schritte weiter ist es angenehm frisch. Ich trete ein in den Dom, „durch das herrliche Portal“ und drinnen empfängt mich die Stille, die kühle Ruhe von Jahrhunderten. Vor mir öffnet sich ein weiter Blick über die Köpfe, hin bis zum Altar.
Kurz vor 17.00 Uhr ist jeder Stuhl besetzt und in den Seitengängen sind Bänke aufgestellt. Trotz des Stimmengewirrs hier drinnen, klingt das Läuten der Glocken auch bis hierher. In dieses Läuten hinein schreiten die Kruzianer, beginnend mit ihren Jüngsten, durch den Mittelgang nach vorn, um auf dem Stufenpodest Aufstellung zu nehmen. Es ist eine Zeremonie, die von würdevoller Stille begleitet wird.
Als auch der letzte Glockenton ausgeklungen ist, steht der Chor. Was für ein Timing! Das Konzert kann beginnen.
Von nun an ist es mucksmäuschenstill und das wird die nächsten eineinhalb Stunden so bleiben. Der Chor eröffnet sein Konzert mit „Fürchte dich nicht“, einer Motette für fünfstimmigen Chor von Johann Christoph Bach. Ich lehne mich in das harte Holz des Stuhles und vergesse die Welt da draußen, das Markttreiben, die Hitze und das, was Historisches an Demokratie gerade in Griechenland geübt wird. Nur noch Gesang, von glockenhell bis leise und ganz tief. Hier drinnen und mit der Knaben Gesang im Ohr, kann ich abschalten. Alles bleibt außen vor und „Weiter wird jede Brust. Hier atmet man Größe.“
Schon komisch, dass einem eine Rock-Nummer von Electra sogar bis hierher in den Dom folgt.
Nach fünf sehr unterschiedlichen Motetten von Bach und Schütz bis Felix Mendelssohn Bartholdy hat der Chor für wenige Minuten Pause. Ein Handzeichen und die Chorknaben treten eine Stufe herab, um sich dann zu setzen. Im Dom erhält jetzt die gewaltige Orgel hinter uns das Klangzepter überreicht. Wir hören eine Improvisation über „Ubi Caritas“ (lat. Wo ist die Liebe?), einem sehr modernen Stück von Claus-Eberhard Heinrich, einen Komponisten unserer Tage. Das steht zwar formal im Gegensatz zu den eben gehörten Motetten, aber gerade darin erkenne ich für mich einen besonderen Reiz und eine Möglichkeit, die Spannung hoch zu halten.
In meiner Jugend durfte ich vier schöne Jahre in einem Schulchor mit einer fantastischen Chorleiterin miterleben. Nun sitze ich hier im Dom und sehe gebannt zu, wie Kreuzkantor RODERICH KREILE die Gesangsstimmen auf den Podestreihen dirigiert, sie lockt und dämpft, ein Crescendo herausfordert und ganz zuletzt den Chorgesang exakt beendet, um den Nachklang noch für eine Weile frei in den Kirchraum zu entlassen. Das ist einfach majestätisch schön, anders vermag ich diese Situation nicht zu beschreiben. Ich genieße es die ganze Zeit über mitzuerleben, wie seine Chorknaben reagieren und so, Stimme für Stimme, einschließlich zweier Solisten, ein erhabenes Klangbild entstehen zu lassen. Das ist Perfektion in höchster Vollendung und dennoch klingt es spielerisch leicht in den Ohren.
Nach weiteren fünf Motetten gibt es noch einmal die Zeremonie des Absteigens und Hinsetzens. Zeit, ein zweites Mal, der Königin der Instrumente, und mit ihr CLAUS-EBERHARD HEINRICH, Gelegenheit zu geben. Diesmal hören wir eine Toccata von Max Reger. Dieses kleine Stück aus dem vergangenen Jahrhundert trifft mich mitten ins Mark, mit voller Wucht, herb und glanzvoll. Was der Solist auf dem Instrument zaubert erinnert mich im Ausdruck sehr an die Musik eines Czeslaw Niemen, der ähnliche Fragmente in die Rockmusik übernahm. Sakrale Klänge und moderne Spielauffassung gehen Hand in Hand und erschaffen im Dom für wenige Minuten ein hymnisches Hörgefühl. Mir jedenfalls ist so und nach dem Konzert frage ich den Solisten nach der von mir empfundenen Parallele zu Niemen. Sehr zu meinem Erstaunen kennt der ihn gar nicht und lässt mich wohl etwas perplex aussehen. Es wäre mein Punkt aufs Sahnehäubchen gewesen.
Noch einmal erleben wir den Kreuzchor aus Dresden singend vor dem Altar im Dom. Vielleicht ist es gewollt, dass die Stühle hier nicht sehr bequem sind, den Sitzenden wach halten, damit er sich auf das Geschehen konzentrieren möge. Es wäre nicht nötig gewesen! Ich bin ohnehin, wie viele andere auch, fasziniert von der Sangeskunst des Klangkörpers, der sich, zumindest aus meiner Sicht, sogar noch steigern kann und mit seiner Klangvielfalt und Dynamik zu entführen und begeistern vermag. Ein weiters Mal erklingt zum krönenden Abschluss eine Motette „Fürchte dich nicht“, diesmal von Johann Sebastian Bach. Nach der allerletzten Handbewegung ist für einen Moment alles still. Nur der Klang des letzten Tones schwebt noch eine Weile, doch dann bricht ein wahrer Orkan der Begeisterung aus. Dieses Gefühl zu beschreiben, fehlen mir die Worte. Vielleicht ist „göttlich“ eine gute Umschreibung für das Klangerlebnis an diesem Tage, denn „herr“lich greift irgendwie zu kurz und auch zu klein.
Die nachfolgende Zugabe versuche ich, noch einmal mit allen Sinnen zu genießen. Wer weiß, wann ich wieder so eine Gelegenheit geschenkt, im wahrsten Sinne des Wortes, bekomme. Ich bin dankbar und meine Gedanken schweifen. Wieder einmal:
Eine Welt in Gleichklang und Harmonie, wie der Gesang dieses Chores und der Wohlklang einer Orgel. Eine Welt in Frieden und darin alle in Wohlstand lebend. Wie schön könnte es sein und wie vernünftig wäre es für alle Menschen, zumal die Möglichkeiten vorhanden sind. „Du bist mein, weil ich dich fasse und dich nicht, o mein Licht, aus dem Herzen lasse.“ (Fürchte dich nicht, J.S. Bach) Sind wir nicht alle, Atheisten und Gläubige, sehr von unseren Wünschen und Hoffen geleitet? Ich jedenfalls gehe bestärkt aus diesem Dom heraus in unsere Welt, die noch so viel Veränderung vertragen kann. Nichts sollte so bleiben wie es ist, außer unsere Hoffnung und der Glaube, doch etwas zu ändern.
www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
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