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CRAWFORD & PALM live im Papermoon Halberstadt

in Konzertberichte 2019 und älter 15.04.2019 15:42
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Crawford & Palm – Scottish Folk im Harzvorland (13.04.2019)

Der Drang, bei diesem kalten Aprilwetter in der warmen Stube zu bleiben, ist groß. Die Lust, in frische handgemachte Musik einzutauchen, versucht die Bequemlichkeit zu bezwingen. Im letzten Augenblick siegt die Neugier über die Trägheit und ich bin stolz auf mich, wieder einmal etwas anders zu sein, als wohl die meisten Mitbürger. Wäre es nicht so, würde ich keinen Platz mehr im Papermoon bekommen. Doch mein „Stammplatz“ ist frei. Ein paar Nachzügler betreten nach mir die Kulturkneipe. In der Ecke richten sich zwei Musikanten ein, die Gäste trinken Bier oder Cocktails, ich bestelle eine Limonade. Es kann ein schöner Abend werden.

Von CRAWFORD & PALM habe ich bisher nur gelesen, nichts gehört. Aber ich weiß etwas über Musik mit schottischen Wurzeln, ich mag deren besondere Stimmungen und die Schönheit der Melodien, die man entdecken kann. Deshalb sitze ich hier, erwische den Blick zwischen beiden Musikern und schon beginnt die Fiddle einen der typischen Strathspeys aus den vier Saiten zu zaubern. Die Gitarrensaiten klingen jetzt ebenfalls und plötzlich ist die Atmosphäre im Raum eine andere. Ich lehne mich erst mal zurück und genieße den Klang, den das Duo gegen das Schmuddelwetter da draußen setzt. Die Füße wippen im Takt, mir geht es gut.

Als sie danach beide von „Over The Hill“ singen, fühle ich mich fast ein wenig schottisch. Ich genieße die nächste Runde Jigs & Reels, die locker aus den zehn Saiten der Instrumente sprudeln, als gäbe es auf dieser Welt nichts Leichteres. Federleicht und dennoch kraftvoll lässt SABRINA PALM ihren Bogen über die Darmseiten tänzeln, während STEVE CRAWFORD mit seinen Fingern einen Akkord nach dem anderen geschmeidig zwischen die Bünde setzt. Ich könnte neidisch werden, ob der Fingerfertigkeiten beider Künstler, die das Spielen so schwungvoller kleiner Instrumentalstücke beherrschen. Ich staune noch, da beginnt Steve vom Torfstechen in Schottland zu erzählen und vom Whisky, den es ohne die Masse aus unvollständig zersetzten Pflanzen wohl nicht geben würde und den Song „Casting A Peat“, der davon erzählt, sicher auch nicht. Ein wenig erinnert mich die Melodie an die Sands Family und an ein Konzert, das ich erleben durfte. Auch „More Love“, eine Ballade im ¾-Takt, lässt meine Gedanken weiter irgendwo da draußen träumen und schwelgen. Es ist schön, dieser Musik zu lauschen und noch eine weitere gesungene Geschichte zu hören.

Es ist die von Captain Francis O’Neil, der zur See fuhr, zwei Mal auf einsamen Inseln strandete und irgendwann, als in Irland geborener amerikanischer Polizeioffizier, eine Sammlung von 1001 irischen traditionellen Songs schuf, indem er sie sich von straffällig Gewordenen vorsingen und von anderen notieren ließ. Was für eine skurrile Story und was für wunderschöne Tunes wie „A Little Bit Of Fish For Breakfast“ (Ein wenig Fisch zum Frühstück). Hinter dem „Ljubljana Set“ verbirgt sich so eine weitere Geschichte und was die mit einem Reisepass zu tun hat, sollte man sich von CRAWFORD & PALM live erzählen und vorspielen lassen. Das Spektrum ist breit gefächert und bietet von traditionellen Stücken, wie „Parcel Of Rogues“, bis hin zu eigenen Neuschöpfungen, wie „There’s Something Right About It“, von ihrer nagelneuen eigenen CD, eine Menge musikalisch zu genießen. Langsam erkenne ich, eine gute Entscheidung für diesen Abend getroffen zu haben.

Außerdem sind da noch viele weitere Geschichtenausflüge, von denen SABRINA & STEVE zu erzählen wissen. So wie jenes Ereignis, das sich am 21. Juni 1919 in der Bucht von Scapa Flow auf den Orkney Inseln zutrug. „Scapa Flow 19“ ist ein klingendes Stück schottischer Geschichte, aus der Sicht eines Deutschen vorgetragen, fast ein wenig traurig anzuhören und mit der Stimme von STEVE CRAWFORD, die tief unter die Haut zu dringen vermag. Dem gelingt es sogar, uns bei „Barnyards Of Delgaty“ zum Mitsingen zu animieren. Auch hinter diesem Song ist wieder eine kuriose Story zu entdecken. Hinter nahezu jeder Melodie gibt es Geschichten vom Leben, der Natur und unterschiedlichen Menschen zu erkennen. Vorgetragen mit viel Harmonie und Wärme, dringen sie tief unter die Haut. Eine Deutsche (aus Bonn!) mit ihrer Fiddle und ein Schotte mit markanter Stimme und viel instrumentaler Finesse begeistern im kühlen Harzvorland ihr Publikum und schenken ihm einen einzigartigen Abend. Und der endet mit Gemecker eines gewissen McPherson („McPherson’s Rant“) und zwei Instrumentalisten, die dabei noch einmal zu Höchstform auflaufen. Einfach großartig, was die beiden zu bieten haben!

Natürlich kommen CRAWFORD & PALM an einem musikalischen Nachschlag nicht vorbei und wir noch „Hope Remains“, von deren Album „In Balance (2015), zu hören und irgendwie habe ich dabei einen Stachel (Sting) im Ohr. Die Frage, ob wir eigentlich Alan Doherty und Michael McGoldrick kennen, löst Schulterzucken aus. Das Doherty, quasi der „Herr der Flöten“, die Flöte in „Herr der Ringe“ ist, wusste keiner und letzterer ein weiterer Flötenmeister, u.a. für Mark Knopfler, war uns auch unbekannt. Für diese beiden Musiker, die oft im Hintergrund weltbekannter Namen und Projekte agieren, spielen sie uns ihre „Flute Jigs“ auf Fiddle und Gitarre. Ein wunderschöner und schwungvoller Abschluss dieses Abends im Papermoon von Halberstadt. Ich bin zufrieden und glücklich, mich überwunden zu haben und dabei, statt am Fernsehglotzer, gewesen zu sein.

Angefügte Bilder:
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www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
zuletzt bearbeitet 15.04.2019 15:43 | nach oben springen

#2

RE: CRAWFORD & PALM live im Papermoon Halberstadt

in Konzertberichte 2019 und älter 16.04.2019 08:45
von Kundi | 3.250 Beiträge | 7335 Punkte

Vom Papermoon in Halberstadt habe ich jetzt schon so viel Gutes gelesen und gehört, dass ich nicht nur neugierig geworden bin, sondern fast schon neidisch

Lieber Hartmut, Du hast uns wieder einen sehr plastischen und gefühlvollen Bericht von dieser Veranstaltung mitgebracht.
Herzlichen Dank dafür. Diese schottischen Weisen und die eigenen Lieder des Duos hatte ich mir auch gerne angehört.

Gruß Kundi


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