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HORCH im Moritzburghof zu Halle

in Konzertberichte 2019 und älter 24.05.2016 19:21
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Horch im Moritzburghof zu Halle (22.05.2016)

Es ist ein wenig fast wie in eine andere Zeit eintauchen, als ich durch den wuchtigen Torbogen gehe. Hinter mir, auf dem Parkplatz, habe ich die Neuzeit abgestellt. Vor mir, im Schlosshof, erwartet mich historisches Gemäuer und Reste davon, über die man gekonnt die Moderne gestülpt hat. Hinter den alten Mauern verbirgt sich heute ein Museum. Beim Eintreten in den Schlosshof geistert mir ein altes Volkslied durch den Kopf, das an diesem Abend doppelt zum Geschehen passt: HORCH, was kommt von draußen rein? Ich bin hier, um endlich ein Konzert mit HORCH, dem Hallenser Renaissance-Folk-Barock’n’Roll-Ensemble, zu erleben. Das wollte ich schon vor langer Zeit machen, doch erst für heute hat sich eine Gelegenheit ergeben.

Als HORCH im Jahre 1979 von drei folk- und mittelalterbegeisterten jungen Musikern gegründet und aus dem Taufbecken gehoben wurde, waren ihre englischen Vorreiten, wie etwa Fairport Convention und Steeleye Span, schon zehn Jahre in Sachen Folk-Rock unterwegs. Im eingezäunten Land begann sich gerade eine zarte Folk-Musik-Bewegung zu bilden, in deren Zentrum Gruppen wie die Cottbuser Wacholder, Liederehrlich, die Folkländer und ab 1979 eben auch HORCH standen. Eine meiner ersten Live-Begegnungen fand 1983 statt, als ich Wacholder in ihrer Urbesetzung sah. Inzwischen sind mehr als dreißig Jahre vergangen und im Hof der Moritzburg zu Halle hängt ein rotes Banner und darauf ist der Schriftzug HORCH zu lesen. Was für ein fantastisches „Abinente“, würde jetzt „Bauer sucht Frau“ ausrufen. Sofort fühle ich mich in eine andere Epoche versetzt, fühle mich aufgenommen. Alles meine Altersklasse!

Im Schein der untergehenden Sonne ist der Burghof gut gefüllt, die Musikanten stehen auf der Bühne und einer von ihnen, KLAUS ADOLPHI, Sänger und Mandolinenspieler, schreitet, ein paar deftige Verse rezitierend, durch die Zuschauerreihen zur Bühne, ….

…. um dann den milden Frühsommerabend mit der Musikantengemeinschaft HORCH zu barock’n’rollen und zu performanceieren. Mit einem ihrer Instrumentalstückchen, das sie „Das feile Fräulein“ nennen, geben sie uns einen Vorgeschmack auf das, was sie nun mit ihrem Stammpublikum in Halle vorhaben, nämlich das Abfackeln „mittelalternativer Musik“, wie sie es selbst formulieren. Ein wenig Barock oder zumindest einen Hauch davon, eine kleine Priese Folk, einen Schuss satten Rock, plus einer enormen Portion Fingerfertigkeit und gut dosierten feinen Humor. Ich merke, die Jungs sind richtig gut!

Nun tauchen wir ein in die reichhaltigen Tiefen deutscher Musik- und Dichtkunst. Schon mit dem Lied von der „Vagantenbeichte“, einem „chronisch unterbezahlten sowie unterbewerten Musikanten“, wie uns der Frontmann wissen lässt, sind wir nun mitten in der „Carmina Burana“ von Carl Orff und beim „Provovant“ schöpfte man wohl aus „Des Knaben Wunderhorn“, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Gleich wie, die Umsetzung der jeweiligen Vorlagen kommt dermaßen spritzig über die Rampe, dass einem solche Zusammenhänge auch egal sein können. Da vor mir liefern sich Flöten, Geige und Laute ein fröhliches miteinander Musizieren und die Texte empfinde ich eher modern, mitten aus dem prallen Leben gegriffen, siehe oben, denn altbacken. Der mittelalterlich anmutende Gesang wird auch bei „Der strenge Galan“ kunstvoll vom Flöten- und Geigenspiel verziert, doch die Rhythmusgruppe mit Bass und Drummer sorgt dafür, dass ein Groove entsteht, der meinen heutigen Hörgewohnheiten sehr angenehm entgegenkommt. Zwar hätte ich Vergleiche parat, wie die zu einst besten Tull-Zeiten, diese Töne von HORCH aber brauchen solcherart Hinweise nicht. Sie erklingen und grooven für sich selbst. Nicht ohne Grund nennt sich die Band HORCH!

Doch es gibt auch die anderen Themen, die HORCH aus der Geschichte liedhaft verarbeitet hat. Eine solche, der „Graseweg“, beginnt mit beeindruckendem dreistimmigem Satzgesang, vielleicht einem Madrigal entliehen (?), und setzt sich dann in düsterer Grundstimmung fort. Das, was dahinter steckt und warum eine Straße in Halle vorn und hinten zugemauert wurde, kann man sich ebenso live von HORCH erzählen lassen, wie die Story von der „Volkskaffeehalle“ (für Herbert). Von der Bühne ertönt es munter „In der Volkskaffeehalle wird der Kaffee niemals alle“ und waren wir eben noch von einer schlimmen Ballade ausgebremst, so reißen uns die Musiker diesmal mit ihrer Fröhlichkeit mit, die sich im Schunkelwalzer vom „Movitz“ ausgelassen fortsetzt und vor der Pause in der gesungenen Moritat von der „Tittenklapp“, ja richtig gelesen, ihren vorläufigen Höhepunkt findet. Zeit für Bier, Bratwurst und den Hauch alter Mauern im Abendlicht auf sich einwirken zu lassen.

Die zweite Hälfte wird wieder instrumental mit einem kurzen „Marsch“ eingeläutet, ehe die Band tief in die Geschichte und gleichzeitig auf die Tasten einer Reiseorgel aus dem VEB Harmonika-Werk greift. Kaum zu glauben, dieses seltene und unscheinbare Etwas erzeugt eigenartig klingende warme Töne und leitet damit „Auf Rosilis Sprödigkeit“ ein. Die Herren auf der Bühne entpuppen sich diesmal als echte Rocker und Ur-Horcher KLAUS FABIAN steigert sich in ein prasselndes Feuerwerk der Flötensoli hinein. Dabei lässt er so manchen Meister des Faches ziemlich alt aussehen und auch das legendäre „Bouree“ kurzzeitig aufblitzen. Chapeau, meine Herren! Ebenso beeindruckend, weil mit vier Flöten verschiedener Bauart dargeboten, geben sie kleine Ratschläge weiter: „Ihr Mädchen lasst euch doch nur raten (auf die Größe kommt’s nicht an)“ und das angesichts mindestens zweier ziemlich wuchtiger Holzblasinstrumente.

Jetzt ist ausgelassene Stimmung im Burghof. Jubeln, Pfiffe und hier und da tanzen einige ausgelassen zu den überaus frech-fröhlichen Weisen. Zu dieser spätabendlichen Stunde kommt das „Rotkäppchen“ daher. Erzählt wird die Geschichte vom bösen Isegrim und den schönen Momenten des Lebens einer jungen und unschuldigen Dame, die durch den Wald ging: „Die Sonne glänzt in deinem Haar, wo eben noch dein Kleidchen war“. Womit HORCH wieder einmal beweisen konnte, dass „Rotkäppchen“ kein Märchen, sondern bereits moderne Aufklärung war. Diese frohe Stimmung wird von Flöte und Geige aufgenommen und als „Springtanz“ unter die Leute gebracht. Nun, auf dem absoluten Höhepunkt des Barock’n’Roll-Abends angekommen, gibt es mit „Wol mir der Stunde (in der ich gesehen)“ vertonte Verse von Walther von der Vogelweide und die Musikanten auf der Bühne in absoluter Höchstform.

Es ist schon ungemein beeindruckend, mit welcher Leichtigkeit, aber auch Perfektion, hier musiziert und unterhalten wird. KLAUS ADOLPHI ist der vielseitige Frontmann, dem vier weiteren HORCHisten zur Seite stehen und im Hintergrund die musikalische Spielwiese schaffen, auf der er sich ausbreiten und ausgelassen spielen kann. Das Ganze mündet nach dem „Frühlingslied“ aus der Carmina Burana in ein donnerndes Drum-Solo und anschließend in einen brausenden Schlussakkord. Aufstellen zum Gruppenbild, verbeugen und danach Abgang hinter den Vorhang, …

…um gleich darauf für „Schockschwerenot (mein Eheweib ist tot)“ wieder auf der Bühne zu stehen. Es wird fröhlich gejubelt und getanzt, während oben gesungen wird. Im Burghof herrscht ausgelassene Folks-Tanz-Stimmung, auch weil die Geschichte, die HORCH singen, eher lustig, denn ernst gemeint ist: „Schockschwerenot, mein Eheweib ist tot, Gevatter ach behalt sie nur, das kommt schon noch ins Lot.“ Solche alten Texte und diese faszinierenden Klänge der Gruppe HORCH sind vielleicht einer der Gründe, weshalb der Band ein ganz besonderer Ruf voraus eilt, der auch mich endlich hierher gelockt hat.

Als der Abend mit einem Trommelfeuerwerk euphorisch ausklingt und danach die Musiker die Bühne verlassen, klingt die ausgelassene Stimmung im Innenhof der alten Burganlage noch etwas nach. Die Musik von HORCH ist ein wirklich gutes Beispiel dafür, dass man hierzulande durchaus deutsch singen kann, ohne gleich faden Schlagerbrei im Ohr haben zu müssen, der tausendfach aus Schablonen über der Masse ausgegossen wird. Nein, diese Musik geht ins Ohr, kommt mit fröhlichen Texten in griffigen Melodien daher, sie hat gedankliche Tiefe und erschlägt dennoch niemanden mit gedankenschweren Botschaften und bedeutungsschwangeren Weisheiten. Ihr ist handwerklich hohes Niveau eigen und reicht dir dennoch mit Leichtigkeit die Hand. Man muss nur genau und gern hinHORCHen wollen.

Angefügte Bilder:
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zuletzt bearbeitet 24.05.2016 19:23 | nach oben springen

#2

RE: HORCH im Moritzburghof zu Halle

in Konzertberichte 2019 und älter 24.05.2016 23:57
von Drachenuli | 1.023 Beiträge | 2222 Punkte

Hut ab Hans, der Bericht ist interressant. Ich bin auch lange Zeit in der Leipziger Folkszene aktiv gewesen,allerdings mehr bei Mitmachfolktanzabenden. Von 85-05 dabei, aktiv von 86-96 in der Tanzgruppe von Zerrwanst & Co. Habe viele erlebt, wie Wacholder, Horch, Jams (Berlin), Tanz und Springband, Folkländers Bierfiedler, Lumich, Schwedenquell, Wimmerschinken und einige andere. Ich war parallel zu meinen anderen musikalischen Vorlieben immer dabei. Leider ist die grosse Zeit bei uns in Leipzig vorbei, mit gefüllter Kongresshalle oder Anker, aber schön war es.Vor knapp 2 Jahren hatten wir zum 30. Jubiläum der Folktanzschule mal wieder einen Abend, fast wie früher.
https://m.youtube.com/watch?v=dPwwQXWlB3Y

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#3

RE: HORCH im Moritzburghof zu Halle

in Konzertberichte 2019 und älter 25.05.2016 14:03
von PMausM | 1.820 Beiträge | 3861 Punkte

Hallo Hartmut, hatte es eigentlich auch vor. Aber dann war es uns doch zu stressig, Sonntag noch loszufahren. Feiner Bericht und danke.

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#4

RE: HORCH im Moritzburghof zu Halle

in Konzertberichte 2019 und älter 25.05.2016 16:39
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Mensch Petra, was wäre das für eine Überraschung gewesen!!
Mein Vorteil ist, dass mich hier niemand kennt und ich demzufolge auch nicht angesprochen werde. Das ist etwas, was ich inzwischen sehr genieße. Andererseits fehlt es mir sehr, hier mit zwei oder drei guten Bekannten vor einer Bühne zu stehen. Ich weiß jedenfalls, dass ich möglichst bald wieder bei HORCH an der Rampe stehen werde.


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