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DIE SEILSCHAFT in der Kulturbastion Torgau

in Konzertberichte 2019 und älter 01.03.2014 18:46
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Die Seilschaft mit Haase in der Kulturbastion Torgau (28.02.2014)

Die beiden vergangenen Wochenenden hatte ich mir ziemlich voll gepackt mit den schönen Liedern von GERHARD GUNDERMANN. Das Erlebnis einer Inszenierung der Neuen Bühne Senftenberg mit Texten und Liedern von Gundi ließ genug Raum, die eigenen Gedanken zwischen den Zeilen auf Wanderschaft zu schicken, sich seinen Songs einmal aus einer ganz anderen Perspektive zu nähern und der Geburtstagsabend mit Huderich, eine Woche später, war dann wie der Blick von einer Hochebene nach unten, wo man all die Details nicht sieht, aber einen wunderschönen Blick auf das große Ganze, zumindest aber einen Teil davon, genießen kann. Das war auch deshalb sehr reizvoll, weil dieser weite Blick nicht von Gundi’s eigenen Gedanken und Worten, sondern von leichtfüßig spitzen Kommentaren aus dem Heute begleitet wurde und vielleicht deshalb in besonderer Weise ganz aktuell war. Plötzlich spürte ich wieder, wie zeitlos schön einerseits und wie brennend zeitnah solche modernen Volkslieder, liebevoll von Musikanten aus dem Volk gesungen, wirken können, weil einer irgendwann mal, den Blick hinter die Kulissen messerscharf beschrieben hatte.

Zwar ging der Baggerfahrer mit der Gitarre und dem gestreiften Hemd viel zu früh von uns, aber er hat uns diese starken Lieder hier gelassen und einige derjenigen, die sie damals live auf die Bühne brachten, SEILSCHAFT genannt, sind ja auch noch aktiv. Zum Zehnjährigen in der Columbiahalle hatte es wieder gefunkt und wer, so wie ich, dabei war, konnte diese Magie tatsächlich spüren. Ein blonder junger Rockpoet namens HAASE und die ehemalige Band des zornig-zarten Liedermachers schienen wie füreinander geschaffen, so mein damaliger Eindruck. Der HAASE singt ohnehin in regelmäßig großen Abstanden die Lieder von GUNDERMANN, zum Beispiel am Lagerfeuer im Zschoner Grund, zur eigenen und zur Freude anderer. Da war der Schritt, das auch mit einer Band zu versuchen, gar nicht mehr weit. Inzwischen ist aus dem Funken von Berlin wieder ein Feuer geworden, das SEILSCHAFT und HAASE ab und an live abfackeln und wer es erleben möchte, kann sich am beinahe Originalsound von einst erwärmen. Die Kulturbastion von Torgau ist ein solcher Ort, wo SEILSCHAFT, HAASE und ein sangesfreudiges Publikum gut miteinander können. Das ist jetzt mein drittes Wochenende mit den „Engeln über dem Revier“ in Folge.

Richtige Volksweisen transportieren Wahrheiten durch die Zeiten. Da kommt der CHRISTIAN HAASE auf die Bühne, setzt sich, links und rechts von MARIO FERRARO und ANDY WIECZOREK flankiert, auf seinen Hocker und beginnt „Keine Märchen mehr“ zu singen. Einfach nur Gitarre, eine Melodie und locker hundert Kehlen, die ad hoc mit ihm singen. Von jetzt auf gleich ist man eingebunden und ich kann nicht mal genau sagen, worin. Es ist einfach geschehen, während in den Köpfen die Töne zu Bildern werden und die Bilder Wahrheiten zeigen.

Es sind wahrscheinlich all diese Bilder in den Köpfen, die man sich zu den wunderbaren Melodien von „Herzblatt“ träumen oder beim Singen von „Hier bin ich geboren“ ausmalen kann. Da könnte ich jetzt wirklich ellenlang über dieses „Hier“ philosophieren, in das hinein wir alle ungefragt geboren wurden, könnte die Bilder beschreiben, während mir die Seilschaft exakt die Klänge dazu zaubert, die ich schon immer zu kennen meine. MARIO entreißt seiner akustischen Gitarre mal schneidende, mal wärmende Akkorde und ANDY entführt uns mit den heißen Soli seines Saxophons. Immer dann, wenn dieser so typische Gundi-Sound entsteht, kann man sicher sein, dass dezent im Hintergrund MICHAEL NASS über die Tasten gleitet oder sein Akkordeon dehnt und streckt. Ganz weit im Hintergrund, kaum zu sehen, spielt TINA POWILEIT mit den „Rhythmusartikeln“ und der Bass von CHRISTOPH FRENZ tanzt quasi mit Tina um die Melodien herum. Alle gemeinsam sind sie DIE SEILSCHAFT.

Als in den 1980er Jahren der Kanadier BRUCE COCKBURN als Gast eines Festivals auf einer DDR-Bühne stand und vor den Fernsehkameras sein Lied über „Nicaragua“ sang, saß ich vor dem Schirm und war tief innen aufgewühlt. Das passiert mir heute immer noch, wenn ich mir die Scheibe auflege oder eine Stimme, wie die vom HAASE, Gundi’s Version als Gedanken für „Cuba“ singt. Die zuckersüße Melodie geht mir einfach unter die Haut, so wie es die vom „Gras“, das immer wieder wächst, auch schafft. In solchen Augenblicken bin ich Teil einer kollektiven Überschwangs, einer Begeisterung, deren Stimmen den Refrain übernehmen. So etwas geschieht im Laufe des Abends immer wieder, denn vielen sind die Textzeilen in Fleisch und Blut übergegangen, als wären sie ihre eigenen. Dann reicht es, wenn die da vorn nur ein wenig von ihren Mikrofonen abzurücken und schon singt das versammelte Auditorium „Ich mache meinen Frieden“ ganz allein weiter.

Das kleine Podium in der Kulturbastion sorgt dafür, dass man quasi direkten Kontakt zu denen auf den Brettern hat. Man kann jeder Bewegung, jeder Nuance im Gesicht der Künstler folgen und erleben, wie auch ein CHRISTIAN HAASE sich tief in sie hinein begibt. Gleich, ob er mit uns gedanklich in den „Zweitbesten Sommer“ eintaucht oder die feinen Nuancen im „Ruhetag“ entdeckt, man sieht ihm die eigenen Emotionen in die glänzenden Augen gemalt. Bei diesen stillen Liedern kann jeder sich mit Energie aufladen und schon Momente später, kann man sie wieder frei lassen beim „rockin’ in a free world“ und dann höre ich den Chor hinter mir laut „Aber alle oder keiner“ singen. Wenn das Neil Young hören könnte!
Es ist ein Abend ganz unterschiedlicher Lieder von Gerhard Gundermann, der viele davon schrieb, als Christian Haase noch nichts davon wissen konnte. Der hat ihn auch nie treffen können, nie mit ihm gesprochen und auch sonst eher auf Umwegen vom Gundermann erfahren. Für mich ist das ein Teil der Faszination, die bei den Konzerten der SEILSCHAFT mit HAASE entsteht. Wenn sie uns „Einsame Spitze“ singen, kommt das auch aus jedem von ihnen und ich glaube es. Nichts ist künstlich und die Freude am Spiel ist der ganzen Truppe da vorn im Gesicht abzulesen. So müssen all die Konzerte gewesen sein, voller Kraft und Power, voller Witz und Lebensfreude, wenn solche Geschichten aus dem Leben gesungen wurden, frech, mit Augenzwinkern oder manchmal auch nachdenklich oder melancholisch. Heute nimmt ANDY seine Flöte zum Mund, beginnt eine Melodie, in die wieder alle einstimmen: „Und musst du weinen (dann liebe eine Frau)“. Mit solchen Liedern kann das ganze Leben wie ein Bummelzug, bei dem man noch jeden einzelnen Wagen erkennen kann, an einem vorüber rauschen, weil ja auch irgendwie von der Eisenbahn gesungen wird.

Für mich ist diese Seilschaft-Polkaholix-Haase-Truppe so etwas wie ein Geschenk des Zufalls, der uns genau in der rechten Zeit mit den passenden Liedern beschenkt hat. Diese Musiker pflegen ja mit ihren eigenen Projekten ähnliches Liedgut und deshalb wirkt so ein Abend mit den Liedern von GUNDERMANN noch immer so lebendig und vor Energie strotzend. Sicher auch deshalb, weil all diejenigen, die kommen, die Lieder zu hören und zu singen, sich in den Texten und Melodien selbst entdecken können. Obwohl eines der letzten des Abend vom „Ich kann mich nicht erinnern“ erzählt, scheint gerade dieses Erinnern für das heutige Leben so wichtig zu sein, sei es nun der „Frieden, den man mit jemanden macht“ oder die Erinnerungen an den „Vater“. Hätten wir in Torgau gemeinsam „Brunhilde“ oder „Linda“ angestimmt, hätte wahrscheinlich jeder seine ganz persönliche Brunhilde oder Linda vor Augen gehabt. Zumindest geht es mir so beim GUNDERMANN und seinen Liedern.

Eines seiner schönsten Lieder, jedenfalls für mich, ist diese Story vom alten Mann, der uns zuwinkt und trotz schlechter Bezahlung einen langen weißen Strich über Land malt, damit wir „sicher nach Haus“ kommen. Vielleicht sitzen wir dann im Auto und summen „Schlaf kleine Frau, mach die Beine lang“, während der weiße Strich auf dem Asphalt uns aus der Dunkelheit entgegen jagt. Dies ist eine jener kleinen Perlen, die man nur ein einziges Mal im Leben findet und manchmal treffen die Worte dann genau dorthin, wo sie zu Gedanken werden: „Schlaf’ kleine Frau, das Land ist leer, nur du und ich und sonst keiner mehr…“. Gedacht habe ich das schon immer und immer wieder, nur haben mir immer die eigenen Worte dafür gefehlt, bis GERHARD GUNDERMANN sie mir in mein eigenes Leben brachte. Wahrscheinlich geht es vielen anderen auch so und jeder von ihnen singt „hey, hey, hey, hey, der bringt uns sicher nach Haus“, als hätte er nie etwas anderes gemeint. Wenn ich dann das schwarze Asphaltband vor mir habe, wird genau das in meinem Ohr klingen.

Der rührigen Mannschaft von der KULTURBASTION in Torgau ist es gelungen, die SEILSCHAFT mit CHRISTIAN HAASE als Sänger auf ihre Bühne zu holen. Die Hütte hat gekocht, der Schweiß unsere Kleidung getränkt, meine Füße haben mir eine ganze Nacht lang ein Klagelied gesungen und trotzdem war es ein Riesenerlebnis. In drei Wochen drei Mal Gundermann und jedes Mal völlig anders. Ob sich der Mann so etwas hätte vorstellen können? Seine Antwort bekomme und brauche ich nicht. Mir haben drei Mal Gundi-Lieder gut getan und wenn noch ein weiteres Wochenende hinzu käme, könnte ich auch dort dabei sein. Mein letzter Abend mit Liedern des Rockpoeten aus der Lausitz war das jedenfalls noch lange nicht und außerdem gibt es ja im kommenden Jahr einen besonderen und runden Geburtstag zu würdigen. Ob sich der lyrische Rockpoet aus der Lausitz das hätte auch vorstellen können? Wir wissen es nicht, aber es ist schön, dass diese Lieder erklingen und immer wieder gesungen werden. Völlig egal, wer da gerade auf der Bühne steht und für uns singt. Es ist GUNDERMANN.

Angefügte Bilder:
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www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
zuletzt bearbeitet 01.03.2014 18:49 | nach oben springen

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RE: DIE SEILSCHAFT in der Kulturbastion Torgau

in Konzertberichte 2019 und älter 01.03.2014 20:31
von Peggy | 336 Beiträge | 707 Punkte

Danke, lieber HH, für Deinen sehr, sehr schönen Konzertbericht!
Deine Worte gehen da hin, wo sie hin gehören: Unter die Haut und ganz tief in die Seele!


"Von jedem Tag will ich was haben, was ich nicht vergesse ..."

https://www.facebook.com/peggy.jacob.391?ref=tn_tnmn
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