#1

Wodka und die Staatssicherheit, ein kleines Stück Geschichte

in Hautnah - Geschichte und Geschichten um Rock, Blues, Folk & mehr 04.05.2013 02:00
von Hans | 52 Beiträge | 122 Punkte

Es gab diese Geschichte schon einmal zu lesen, ich habe mich entschieden diese an der Stelle entfernen zu lassen. Da gab es Knatsch, aber ich wollte nicht, dass das da weiter steht. Welches Vertrauen ich in den (die) Macher dieses Forums habe, gute Freunde eben, beweist sich darin, ich stelle das hier noch einmal ein.


Epilog

Ich habe lange überlegt, ob und wie ich das Folgende zur "Veröffentlichung" freigeben soll. Einmal ist das ja schon so lange her und man wird älter, da verzerrt sich Einiges in den Erinnerungen, dann gibt man ja dadurch auch etwas aus seinem Leben preis, kann auch an den Baum gehen ...
Vorhin beim Frühstück habe ich mir die CD von City "Yeah! Yeah! Yeah!" reingezogen und da heißt es im Titel "Im Alter weise":

"Nur wenige Leute werden im Alter weise,
Die meisten Leute werden im Alter alt."

Aber ich denke, ich gehöre zu den "wenigen Leuten" und so sei es denn ... Aus meiner "Laufographie" (was das ist bleibt einer Erklärung an anderem Ort vorbehalten) habe ich deshalb den Teil der sich mit "Stasi und Musik" beschäftigt hier mit anderem kombiniert und bitte die werte Leserschaft um entsprechende Aufmerksamkeit.


Vorspiel

Diesmal sollte es wieder etwas rustikaler werden, Martin meinen Buben konnte ich nicht mitnehmen, es passte bei ihm nicht. Also packte ich den Rucksack anders. Gut es war nicht nur eine Decke, ich bin ja ein bisschen älter geworden, es war ein Schlafsack, und auch die Zeltplane ersetzte ich durch ein "richtiges" kleines Zelt. Auch trampen ging nicht, also wieder Bahn AG und 1. Klasse, aber wenigstens noch ein Shirt mit "Wodka" vorn drauf. Und die Kutte gerollt und angehängt!

Ich habe lange überlegt, ob ich nicht das ganze Wochenende fahren sollte, aber die Gesundheit meldete sich zu Wort und Bedenken an. So bin ich erst am Sonntag früh los. Aschaffenburg - Hanau - Dresden - Görlitz - Niesky waren die Stationen auf dem Weg. Sonntags hat die Bahn Pilsner vom Fass im Angebot im ICE und so habe ich mir erst einmal ein paar genehmigt. Irgendwie hatte ich das Gefühl mir wieder wie in alten Zeiten die "Kante" zu geben, den "Eichstrich" auszuloten und so richtig einen zu Saufen. Ist ja gut, ich bin leidenschaftlicher Biertrinker, aber es kam die alte Zeit durch, saufen bis zum bitteren Ende. Also erst einmal einen Grundstock gelegt.

Und richtig, in Niesky stand tatsächlich ein alter Zug mit einer "52-er" bespannt. Welche Freude, diese Maschine hatte ich 1978/79, als sie noch im Planeinsatz war, auch schon auf der Drehscheibe gehabt. So stand ich nun am Tresen des Zuges und bei 2 Halben zog mich die gute alte Dame gen Rothenburg. Angekommen machte ich meine Verbeugung vor der Lok, das ist jetzt nicht bildlich gesprochen sondern ganz ernst gemeint, und zog dann los in Richtung Marktplatz.

Komisch, ich kam genau dort an, wo die Absperrung zur Bühne war -grins- und ein "schwarzer" Mann baute sich vor mir auf. Norbert erlöste mich, komm rein, pack die Sachen ins Zelt, Reinhard ist noch nicht da, ich muss wieder auf die Bühne. Also wie gesagt, so getan, und dann bin ich tatsächlich zum Einlass gewandert, von drinnen, und habe gelöhnt. Haben die mich blöde angeschaut, aber Leute Stern Combo für 4 Euro, da musste ich einfach mein Scherflein beitragen!

Ich will es kurz machen, Einiges hat mir zu denken gegeben, aber eines habe ich nie getan, getratscht, wenn ich auch gerne Anekdoten erzähle. Also kein Bericht vom Drumherum, das Konzert war Spitze und ich denke das Publikum auch.

Nach einem längeren Gespräch mit Reinhard nach dem Konzert bin ich dann in die Diskomasse und habe mir die Kante gegeben, Eibauer Schwarzbier, immer ein Genuss! Als der Eichstrich erreicht war habe ich mir einen Busch gesucht bin in den Schlafsack gekrochen und habe gepennt. Früh dann in eine Bäckerei, etwas essen, musste ja meine Medikamente nehmen. Die Bäckersfrau hat mich von früher erkannt und wir haben uns dann noch ganz dufte unterhalten. Sie war von der Mugge auch total begeistert. Nach einigem Warten hat mich dann die "52-er" wieder nach Niesky gebracht und ich habe die Heimreise angetreten.

Ein wunderbares Erlebnis, wie gesagt, fast in alter Manier! Aber diesmal hatte es noch etwas ganz besonderes, ich hatte mir endlich das Buch vom Sachsendreier gekauft und begann auf der Heimfahrt zu lesen. Und da passierte es dann, nach über 30 Jahren ...


1. Akt

Musik war eigentlich immer mein „Leben“. Irgendwann begann ich auch Konzerte von bekannten DDR Gruppen zu besuchen, erst noch sporadisch, dann gezielt und regelmäßig. Da standen die Bürkholz-Formation, die Modern Soul Band, die College Formation, Bayon, Electra, Renft, Kerth und was es da so gab auf dem Programm.

1971 war es, da hörte ich das erste Mal eine Gruppe, die später mein Leben mitbestimmen sollte, die Stern-Combo-Meißen, damals mit Veronika Fischer, es war in Dresden in der Liga.

Ja 1971, da hatte ich noch eine geliehene Gitarre, spielte und sang falsch und laut Bob Dylan, machte erste kleine Mucken mit Bekannten und es waren die ersten Anzeichen eines gesellschaftlichen Aussteigers zu erkennen. 1973 machte ich dann meine Prüfung zum DJ, oder wie es damals hieß, zum Schallplattenunterhalter. Ein Krampf, schon mein Aussehen, die Haare waren schon etwas länger und der Bart auch, dann in der praktischen Prüfung Freejazz von Milian, nach 3 Minuten brach die Kommission das Spektakel ab, nach einer längeren Diskussion durfte ich dann fortführen und es geschah ein kleines Wunder, ich bekam eine Einstufung der Oberstufe, die jedoch nach weiteren Beratungen in Mittelstufe geändert wurde. Ich hatte nun auch eine eigene Gitarre, Gundermann hatte sie mir geschenkt, ich sang und spielte immer noch Dylan, immer noch falsch und laut, der großen Show stand also nichts mehr im Wege.

Eine "Schrammelband" aus der Umgebung hatte mich Ende 1972/Anfang 1973 verpflichtet bei einer Polen- und CSSR-Tournee mitzumachen und mir einen vorläufigen Berufsausweis als Sänger und Gitarrist besorgt. Bei der Rückkehr aus der CSSR befanden sich dann 4 neue Verstärker mehr im Auto, aber der Berufsausweis wurde schnell wieder eingezogen.

4 "Tesla Musik 130" Verstärker mit selbstgebauten Boxen und ein selbst konstruiertes Mischpult, welches eine getrennte Ansteuerung der Verstärker ermöglichte und über Phasenschieber eine Art Quadrofonieeffekt erzeugte bildeten also die technische Grundlage, eine Mixtur aus Jazzrock, Soul und Klassikadaptionen die musikalische Basis und eine für damalige DDR-Verhältnisse abgefahrene Show den Rahmen. Ein Stab von „Wachen“ sorgte dafür, dass Kontrolleure rechtzeitig erkannt wurden, das Programm wurde dann blitzartig umgestellt. Das Ergebnis waren volle Säle, an Tanzen war da oft nicht zu denken, die Leute standen wie bei Konzerten. Die Anzahl der Auftritte hielt sich trotz vieler Angebote aber in Grenzen, die Technik musste ja bezahlt werden, aber ich arbeitete immer och an einem Konzept für das Ganze. Und die Kontakte zu den „richtigen Musikern“ wollten ja auch gepflegt sein.

Mit Datum 3.4.1974 flatterte mir dann ein Brief ins Haus, hier der Wortlaut:

"Mit Wirkung des heutigen Tages sprechen wir gegen Sie unbefristetes Auftrittsverbot als Schallplattenunterhalter aus.
Wir weisen Sie darauf hin, daß bei Nichtbeachtung dieser Anordnung, gegen Sie entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden.
Weiterhin weisen wir an, daß Sie Ihre staatliche Zulassung bis zum 18.4.1974 im Kreiskabinett für Kulturarbeit abzugeben haben.

Masurat
Mitglied des Rates und
Leiter der Abt. Kultur/Erholungswesen"

Ich habe von damals wenig "retten" können, aber dieses Verbotsschreiben habe ich noch. So sah das Schreiben aus. (Anhang)
Da hatten wir den Salat! Keine Begründung, kein Widerspruchsrecht, einfach ein Verbot, ein Freund, ich wusste, dass er bei dem Haufen war, erzählte mir dann, dass dieses Verbot auf Grund einer Anordnung der Staatssicherheit erlassen wurde. Gut, ich wusste, dass ich überwacht wurde, wusste auch, dass man eine „staatsfeindliche“ Haltung bei mir vermutete, aber das begriff ich nun damals nicht. Und ehrlich gesagt, ich machte mir auch gar nicht viel Gedanken darüber. Inzwischen war meine Liebe zur klassischen Musik erwacht, die Liebe zur Orgel, und damit auch die Liebe zur Stern Combo Meißen und Ihren Adaptionen.

Ja und ich arbeitete an einem Projekt, ich wollte ein Rockfestival auf die Beine stellen, die besten Bands der DDR sollten dort auftreten. Ende 73 stand dieses Konzept, ich hatte die Zusagen der vorgesehenen Musiker und es gelang mir, das Ganze der FDJ-Stadtleitung in Lauchhammer schmackhaft zu machen. 3 Tage sollte das Spektakel dauern, 10 Gruppen sollten auftreten. Im Genehmigungsverfahren wurde das Ganze dann auf einen Tag gestrichen, ich konnte noch 6 Gruppen unterbringen. Der 21. Juni 1975 sollte der große Tag sein, und innerhalb nicht einmal einer Woche waren die 1.400 Karten im Vorverkauf abgesetzt, es handelte sich dabei um die Kapazität für eine Schlechtwettervariante, wo wir auf 3 Säle hätten ausweichen müssen. In der „heißen“ Phase der Vorbereitung war ich vollständig in den „Untergrund“ abgetaucht, alles lief über die FDJ-Stadtleitung. Und so war alles Bestens und 14 Tage vor dem Termin trampte ich nach Mülsen St. Niklas in den Amorsaal um mir Stern Combo reinzuziehen.

Als ich den Saal betrat und zur Bühne ging kam Detlef Seidel schimpfend auf mich zu, Du mit Deiner Scheiße, was sollte den das und .... Ich habe ihn wohl ziemlich verdutzt angeschaut und er sagte mir, das Festival fällt doch aus, verboten. Es war wie ein Schlag mit dem Hammer für mich! Nach meiner Rückkehr nach Lauchhammer konnte ich in der örtlichen Zeitung lesen, dass aufgrund von Nichtgewährleistung der Versorgung der erwarteten 20.000 Gäste das Festival Musik unserer Zeit leider ausfallen müsse. Ein paar Informationen aus dem Untergrund hatte ich zwar noch zu den Gründen bekommen, aber es war so wenig, dass ich es nicht verstand.

Na ja, ein bisschen "naiv" war ich schon damals.

2. Akt

Nach über 30 Jahren nun sollte Licht in das Dunkel kommen.
Ich kannte die "Geschichten vom Sachsendreier" als Programm von Fißler, Trepte, Lohse und Benno und hatte mich in der Lesung des kleinen Auszuges des Stasiprotokoll als eines der da genannten Elemente schon wieder erkannt, nun kaufte ich mir das Buch. Auf der Heimfahrt blätterte ich dann schon einmal so durch, las hier und da, und kam auch an die Gesamtfassung dieses Dossier vom 23.07.1975, welches teilweise ja große Auswirkungen auf die Entwicklung der Rockmusik in der DDR hatte. Und auf einmal standen mir Tränen in den Augen, ich konnte es nicht zurück halten.

Nach 30 Jahren hatte ich nun einen Teil der Wahrheit über damals erfahren. Lange habe ich mit mir gerungen und dann doch am 01.09.2004 einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt, was dabei herauskam war dann aber doch recht heftig. Am 07.09.2006 wurden 216 Seiten "Hauptakte" mit 2 "Nebenakten" zusammengestellt, die ich am 13.09.2006, auf den Tag genau 32 Jahre nach dem denkwürdigem Konzert in Ruhland, in meinem Briefkasten lagen.

Unter der Reg.-Nr. Cottbus VI/772/75 wurde am 23.06.1975 eine „Operative-Vorlaufakte“ angelegt. Der Tatbestand der Untersuchungen richtete sich nach § 106 StGB in Verbindung mit § 215 StGB und Aufklärung der Verbindungen außerhalb des Bezirkes. Zuständig für die Bearbeitung war die Abteilung XX der Bezirksverwaltung Cottbus des Staatssicherheitsdienstes und gründete auf den Ermittlungsarbeiten zur „Information über negative Auswirkungen bei Auftritten von Beat-Formationen“ (Information Nr. 448/75) vom 23.07.1975 der ZAIG, dem wichtigsten Funktionalorgans des Ministerium für Staatssicherheit, die der Minister für Staatssicherheit Generaloberst Mielke der DDR-Staatsführung vorlegen ließ. Im Ergebnis wurden durch den Kulturminister Hoffmann in verschiedenen Weisungen an die Räte der Bezirke und Kreise Auflagen und Verhaltensmaßstäbe für so genannte Beatveranstaltungen vorgelegt und dem Ministerium für Staatssicherheit dazu Bericht erstattet.

Im Eröffnungsbericht wurde als Begründung aufgeführt, dass ich maßgebend an der Organisation, insbesondere bei der Auswahl der Musikgruppen, des Festivals "Musik unserer Zeit" mitgewirkt hatte und das aus den damals vorliegenden Materialien hervorging, dass ich eine asoziale Person war mit Verbindungen zu negativen Jugendlichen vor allem aus Kreisen der "Tremper" (so schrieb der Herr Feldwebel Hofmann das jedenfalls!). Als Ziel der operativen Bearbeitung wurde festgelegt:
"In erster Linie besteht das Ziel der politisch - operativen Bearbeitung darin, in die sogenannte Konzentration von Trempern der DDR einzudringen, deren Charakter festzustellen, die Verbindung zueinander und schließlich diese Konzentration zu zersetzen."
Neben vielen anderen Maßnahmen wurde auch die M-Kontrolle (Kontrolle und Auswertung von Postsendungen im nationalen und internationalen Verkehr) angeordnet.
Aus den Akten kann ich jedoch auch entnehmen, dass bereits am 12.09.1974 ein "Suchauftrag" der Kreisdienststelle Senftenberg gefertigt wurde, jedoch unter falschem Vornamen. Es ist daher gut möglich, dass bereits vor dem hier geschilderten Vorgängen nicht nur Stadt- und Parteileitung sich mit mir recht intensiv beschäftigt haben.
So, was lief nun damals aber wirklich ab? Die Grundakte enthält 171 Seiten, ca. 4/5-tel davon sind Berichte von insgesamt 13 IM und anderer Personen, der Rest Auswertungen, Maßnahmepläne, Einschätzungen ... Immer wieder taucht dabei ein Name auf, IM Emmerson. Der erste Bericht stammt von ihm und auch der letzte, die Ermittlung bauen sich zu einem großen Teil auf seinen Berichten auf, er selbst wurde während der Vorgänge mehrfach wegen seiner "Glaubwürdigkeit" untersucht. Nach Protokollen aus der Akte wurde Emmerson mehrfach aus dem Arbeitsprozess ausgegliedert und bekam "Urlaub" um mich zu überwachen, auch noch in Plauen. Fast am Ende findet man einen Brief der Person M. an den IM Emmerson, dieser beginnt mit "Mein lieber Waldi ...."

Ja Waldi, Ulf Michna, nach meinem Wissen ist er verstorben, seine Witwe wohnt in ********. Er war der Sohn zweier Lehrer, arbeitete im BFG in Lauchhammer und wir hatten uns durch das Renft-Konzert im dortigen Kulturhaus, wo ich den Support machen durfte, kennen gelernt. Er hatte sich laut Angaben in den Unterlagen aus Überzeugung als IM anwerben lassen und war anfänglich im Einsatz zur Überwachung der Jugendclubs in Lauchhammer. Und nun sollte er auf mich "angesetzt" werden ...
Aufgefallen ist mir, dass viele der Berichte vollkommen falsche Aussagen beinhalteten. Z.B. berichtet IMS Holger mehrfach, dass ich im Bereich Rostock, Schwerin und Neubrandenburg viel aufgetreten sei und während des schon laufenden Auftrittsverbotes viele Verträge abgeschlossen hätte. IMS Peter wusste ähnliches zu berichten. Nun gehörte aber der Norden überhaupt nicht zu meinem Einzugsgebiet. Keine Informationen bekam die Staatssicherheit jedoch über wirklich stattgefundene Auftritte während des Auftrittsverbotes z.B. mit Herfter und Schöbel.

Feldwebel Hofmann informierte darüber, dass die unter operativer Kontrolle stehende Person M. mit jemanden gesehen wurde, der mit M. zusammengelebt hätte. Nun passte aber in das Zimmer, welches ich in der genannten Zeit "bewohnte", eine zweite Person kaum hinein.

Am 19. August 1975 wanden sich Oberst Dr. Kühne und Major Lubas der Bezirksverwaltung Magdeburg, Abteilung IX an die Bezirksverwaltung Cottbus Abteilung XX mit der Bitte eine "offizielle Bestätigung" über die geplante Beat-Veranstaltung und deren Ausfall zu übersenden, da im dortigen Bereich ein Aufruf mit hetzerischem Inhalt erstellt wurden sei, der während des Musikfestivals verbreitet werden sollte.

Am 01.09.1975 berichtete Rosi dann über den Polterabend von Bummi in Freiberg am 29.08. Besonders Wert wurde dabei auf von mir vorgetragene, eigene Gedichte gelegt und auf die Feststellung: "Ich habe in beiden keinerlei Beziehung zu Biermann oder Pannach finden können."

Nach 2 und einem halben Monat, am 04.09.1975, erstellte dann Hauptmann Schubert, Leiter der Op.-Gruppe Lauchhammer, einen Vermerk, der folgende Feststellung beinhaltete:
"Die bisherige Bearbeitung erstreckte sich im wesentlichen nur auf die Durchführung von Überprüfungen in den Speichern des MfS und der VP. Eine zielstrebige Arbeit zur Aufklärung des Persönlichkeitsbildes durch den Einsatz von IM ist nicht zu verzeichnen. Es ist bisher nicht gelungen, einen IM in die op. Bearbeitung einzuführen, der persönlich, vertrauliche Beziehungen zu M. herstellen konnte. Die Berichte wurden nicht ausgewertet und entsprechende Maßnahmen zur Überprüfung und Ergänzung der Informationen eingeleitet. Es erfolgt keine tatbestandsbezogene Arbeit. Obwohl die Termine des Operativplanes im wesentlichen bis Ende August zu realisieren waren, wurde diese Aufgabenstellung zum Teil nicht realisiert."

Und nach weiteren 2 und einem halben Monat und etlichen Berichten später wollte man dann ernst machen. Es wurde eine so genannte "Operative Kombination" angelegt und weitere Maßnahmen festgelegt
.
Und wieder folgten Berichte, Berichte, Einschätzungen .... Einige Auszüge sind sicher interessant zu lesen:

"U.a. war auch sehr interessant die Auswahl der Bücher. Er hat z.B. Scholochow und auch moderne Gegenwartsliteratur. Was mich besonders beeindruckte, daß er eine Ausgabe aus dem sowjetischen Staatsverlag eine Ausgabe von 1972 hat." (IMS Emmerson)

"Brecht prägte den Ausspruch: An einen Staat mußt du dich gewöhnen, wie ans Scheißen. Aber lieben brauchst du ihn nicht!" (Aus einer meiner Stellungsnahmen)

"Die Person Müller hat auch in letzter Zeit nicht versucht, Kontakt zur Person Heinrich aufzunehmen." (IMS Magda)

"Die Person Müller hatte in letzter Zeit keinen Kontakt mit der Person Heinrich, so wie ich feststellen konnte." (IMS Holger)

"Der GMS berichtete, daß er in der vorigen Woche vom Gen. Pohl den Auftrag erhalten hat, zu prüfen, welche Möglichkeiten die Abteilung Innere Angelegenheiten hat, um den Müller entsprechend der gesetzlichen Grundlage vom 19.12.1974 über kriminell gefährdete Bürger an den Arbeitsplatz zu binden. Nach Prüfung aller Möglichkeiten entsprechend des Gesetzes und anderer Verfehlungen ist eine Arbeitsplatzbindung des M. derzeit nicht möglich.
...
Zusammenfassend kann man einschätzen, daß trotz allen Drängens unsererseits eine Arbeitsplatzbindung objektiv durch das örtliche Organ nicht möglich ist." (GMS Jutta)

"Am heutigen Tage konnte in Erfahrung gebracht werden, daß die Person MÜLLER in den Nachtstunden aus Plauen wieder in Lauchhammer eingetroffen ist.
Er hielt sich etwa gegen 6.00 Uhr Morgens bei einer Person WAGNER, Wilfried auf dem Stellwerk W 1 auf.
Nach velassen des Stellwerk ging er in seine Wohnung.
Auf Grund dieser Tatsache wurde der IMV "Emmerson" aus dem Arbeitsprozeß herausgelöst mit der Legende die Person MÜLLER aufzusuchen mit der Begründung des er bald zur NVA einberufen werden soll.
Gegen 11.00 Uhr des genannten Tages erfolgte der Einsatz des IMV "Emmerson" in der Wohnung des MÜLLERS." (Aktenvermerk)

"Zur Zeit liest er das Buch "Expansor" von Hermann Kant.
In diesem Buch hat einige Stellen unterschrichen, wo eine fehlerhafte Politik unserer Entwicklung aufgezeigt wird.
M. erklärt sich mit dem Staat der DDR nicht identisch.
Jedes System versucht seine Macht zu halten, auch die DDR.
Vergleicht die DDR mit Spanien, und meint dies sei genau so.
Über die Beschaffung von Adressen und Anschriften der Mädchen mit dem MÜLLER Umgang hat hat es nocht nicht geklappt." (IMV Emmerson, entgegengenommen und geschrieben von Oberleutnant Seidel, der hier seine Deutschkenntnisse zur Schau stellen konnte.)

"Wie ich bereits vor wenigen Monaten zum Weichenwärter Müller, Bf. Lauchhammer-West, berichtete, ist dieser als Tramper bekannt und hat umfangreiche Verbindungen zu Gleichgesinnten, a.u. auch nach der BRD." (IM Fritz Krause)

"Am 03.02.76 hatte die Brigade III vom Bf. Lauchhammer-West 1. Schicht und im Anschluß suchten einige Kollegen die Mitropa-Gaststätte des Bf. auf. So z.B. die Koll. Kühn, Bolc, Burghard, Schoppe usw. Es wurde Alkohol getrunken. Gegen 19 Uhr kam M. dazu, und er wurde von den dort Anwesenden recht herzlich begrüßt. Man fiel sich gegenseitig um den Hals, so daß man ihm halb seinen Ohrring ausgerissen hat." (IMS Johanna)

"Die Person M. hat seinen Kontakt zur FDJ-Ortsleitung total abgebrochen. Auch auf Tanzveranstaltungen im Raum Lauchhammer ist er nicht mehr zu sehen." (IMS Magda)

Und so weiter, und so weiter ... Auffällig war auch hier wieder, die "Berichterstatter" und "Auswerter" nahmen es mit der Wahrheit nicht so genau. So hatte ich nie Kontakte in die BRD und auch Ohrringe trug ich nie.

Ich weiß nicht, warum die "Genossen" nicht vom Fleck kamen, nichts greifbares in die Hände bekommen konnten. Jedenfalls setzte ich mich nach Plauen ab und am 09.08.1976 wurde der Abschlußbericht gefertigt.


Viele Spesen, nichts gewesen!, muss man wohl sagen. Die "Genossen" haben aber auch schlampig gearbeitet. Zur Zeit der Erstellung des Abschlußberichtes lebten meine Eltern z. B. schon seit 8 Jahren nicht mehr in Leipzig. Man bezog sich auf die teilweise frei erfundenen Berichte der IM, der "Indianerstamm" nach IM Holger gründet sich wahrscheinlich auf die Geschichte in Leipzig mit Häuptling "Lustiges Wasser", Ziele des Eindringens in die "Organisation" der Tramper wurden auch nicht annähernd erreicht. Beweise nach § 106, § 215 StGB konnten nicht erbracht werden. Selbst die angeordnete Aktenabgabe nach Plauen klappte nicht, nur die 11. MSD bekam die Akte zur Einsicht, da war ich aber schon beim Aufklärungsbattallion AB 11 (eigenständige Einheit) gelandet.

Es gibt weitere dokumentierte Vorgänge zu mir, Akten konnten bisher dazu jedoch nicht gefunden werden.

Nachspiel
So also versuchte die Staatssicherheit damals Einfluss zu nehmen, hier gezeigt an meinem Beispiel, dem eines "Winzlings" in der damaligen "musikalischen Szene". Wie erst muss es da bei den "Großen" im Geschäft ausgesehen haben?
Gut, die Zeiten sind vorbei! Aber man sollte das Ganze nicht vergessen, hilft es doch auch ein wenig den Begriff des "Ostrock" zu definieren. Vielleicht bleibt es späteren Darstellungen vorbehalten aus verschiedenen Quellen zusammengetragen dazu etwas zu sagen.

Ich persönlich empfinde keine "Hassgefühle" oder so etwas gegen "meine" damaligen IM. Es war halt eine andere Zeit. Nur verharmlosen sollte man das Ganze nicht!

Angefügte Bilder:
hans2.jpg
roth3.jpg
verbot.jpg
zuletzt bearbeitet 04.05.2013 02:01 | nach oben springen

#2

RE: Wodka und die Staatssicherheit, ein kleines Stück Geschichte

in Hautnah - Geschichte und Geschichten um Rock, Blues, Folk & mehr 04.05.2013 16:08
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Mein lieber Hans,

es wird Dich nicht wundern, zu erfahren, dass ich ebenso lange überlegt habe, hier einige wenige Worte der Erinnerung hinzu zu fügen. Nicht, dass ich mich nicht trauen würde, diese Bedenken sind längst abgehakt, aber seit geraumer Zeit bin ich mir nicht mehr so sicher, ob 1) ein paar Leute wirklich die Wahrheit hören oder lesen möchten und 2) was ich selbst dann davon hätte. Es ist vieles so lange her und wie Du schon sagst, hier und da verschwindet einiges im Taumel der Ereignisse. Da wird zum Beispiel lächelnd akzeptiert, dass Musiker sich im Westen bei einem „Gastspiel“ eine neue Klampfe gekauft haben, um sie dann zu Hause sofort an den Musiker zu verkaufen, der sie haben wollte. Es war eben so und niemand käme heute auf die Idee, noch etwas anderes dort hinein zu interpretieren. Wenn Müller, Meyer oder Schulze aber eine Schallplatten „aus dem Westen“ erhielten, das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Du weißt, was ich meine und nun lass’ uns still in uns hinein grinsen.

Beim Lesen deiner Worte laufen Bilder und Filme vor meinen Augen ab, denn ich kenne einige Orte sehr gut, von denen Du da sprichst. Die Erfahrung, ein Schallplattenunterhalter zu sein, kenne ich ebenso, wie ich ein Kreiskabinett für Kulturarbeit von innen kenne. Auch Lauchhammer ist mir nicht wirklich fremd und die Kreuzung, wo damals das große Schild (oder war es doch ein Transparent?) mit der Aufschrift „Festival unserer Zeit“ zu sehen und zu lesen war, die kann ich Dir heute auch noch zeigen. Will sagen, genau daran kann ich mich auch erinnern und wir beide kannten uns noch nicht einmal!

Jahre später habe ich dann, gemeinsam mit Freunden, die Leute zwischen Lauchhammer, Elsterwerda und Finsterwalde mit ROCK – MIX begeistert und im Kulturhaus von Plessa, hatten wir auch die Stern-Combo-Meissen auf der Bühne. Damals wurde auch fotografiert und dort bist Du mir zum zweiten Mal, ohne dass ich Dich kannte, über den Weg gelaufen. Das Foto von Dir in der Garderobe existiert noch immer. Ist das nicht verrückt??

Ach so – Stasi. Die war sicher immer präsent, hat alles schön notiert, protokolliert und aufgemalt, keine Ahnung. Mein Lebensmotto war immer, mir von solchen Leuten nicht das Leben versauen zu lassen, damals wie heute. Ich bin meinen eigenen Idealen gefolgt, auch wenn sie nicht immer und überall gesellschaftsfähig waren. Mir waren sie wichtig, sie sind es immer noch und allein das zählt für mich. Vielleicht wollte deshalb der Zufall, dass wir uns in einem Garten das dritte Mal, und dann aber richtig, über den Weg gelaufen sind. Da musste die Stasi allerdings außen vor bleiben.

Meine ganz persönlichen Erfahrungen mit der „Firma“ gehen keinen, außer mich selbst, etwas an und ich werde auch nie etwas aus diesen Akten fingern, um anderen zu erklären, wer ich war und bin. Ich kannte und kenne einige derjenigen, die damals solche Dinge taten, weiß um deren Fähigkeiten, die Dinge und Geschehnisse richtig einzuordnen und sie fehlerfrei aufzuschreiben. An solchen Ergüssen werde ich mich niemals orientieren und wenn andere diesen Schwachsinn als Bewertungsgrundlage brauchen – so what. Ich gebe keine Sekunde meines Lebens her und werde niemandem etwas erklären, der eh nicht zu verstehen bereit ist. Damit ist dieses Thema für mich und mein Leben durch, hier jetzt auch.


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