#1

HANNES WADER - "Macht's gut!" - Abschiedskonzert in Helmstedt

in Konzertberichte 2019 und älter 25.11.2017 18:17
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Hannes Wader – Macht’s gut! (23.11.2017)

Das Brunnentheater in Helmstedt, geschmeidiges Ambiente und ist ausverkauft. Das Publikum, bis auf wenige Ausnahmen, gealtert und ich mittendrin, aber mein Kopf gaukelt mir vor, ich wäre erst halb so alt. Das Herz pocht erwartungsvoll, meine Seele wartet und die Augen blicken suchend nach vorn. Da steht nur ein Mikrofonständer und der davor singen wird, füllt noch immer Konzerthallen. Dennoch ist dies heute einer seiner letzten öffentlichen Auftritte, denn HANNES WADER sagt uns in diesen Tagen „Macht’s gut!“ und wird danach nicht mehr live zu erleben sein. Das macht irgendwie traurig, mich aber auch glücklich, hier dabei sein zu können und meinerseits „Tschüß!“ sagen zu dürfen, wenn sich nach und nach eine ganze Musikergeneration von den Bühnen und ihren Fans verabschiedet. Selten war ich mir dessen so bewusst, wie in diesen Abendstunden.

Das Licht geht aus und die Spots reißen eine aus dem dunklen Bühnenhintergrund tretende Gestalt ins grelle Licht. Der ganze Saal tobt euphorisch und der da vorn steht, einfach so. Gern würde ich diesen Moment als Foto festhalten, doch meine Hände zittern und die Spots machen aus dem grauen Hemd ein grelles Weiß. Die Finger zupfen die Gitarrensaiten und HANNES WADER beginnt zu singen – Stille, nur ein Mann, die Gitarre und diese Stimme. Die Fotoknipse verschwindet in der Tasche und dort wird sie bleiben bis zum letzten Ton. Hören, nur hinhören, aufsaugen und ja nichts verpassen. Es ist mein erstes und mein letztes Mal.

Irgendwie fühle ich mich an die Hand genommen, als „Heute hier, morgen dort“ erklingt. Ich lausche dieser vollen weichen Stimme und bestaune den Hünen, in dessen Händen die Gitarre fast so wie ein Spielzeug wirkt. Doch diesem Spiel-zeug entlockt er mit seinem typischen Fingerpicking jenen Klang, der, zusammen mit dem Gesang, zu seinem Markenzeichen wurde, so wie diese Hymne ein Volkslied. In seiner Stimme schwingt ein wenig Selbstironie, als er, auf 50 (!) Jahre Tourneeleben zurück blickt, seine Version von „Rock’n’Roll (You Gave Me The Best Years Of My Life)“ anstimmt und wieder tief in meiner Magengrube landet. Es fühlt sich an wie das eigene Erleben und kontinuierlich wächst der Kloß in meinem Hals. Einem berührenden Lied aus seiner Anfangszeit, er sagt, „Begegnung“ wäre erst sein zweites Lied, das er je schrieben hätte, folgt ein ironisches „Schön ist das Alter“ (1991) und diesmal zerreißt es mich fast und ich finde mich selbst, als er uns singt: „Vor der Zukunft graut es mir, ich lebe lieber jetzt und hier.“ Wie er vom „Leben in Bussen“, vom „Rheumadeckenkaufen als Hobby“ und vom „Geisterfahrer auf der Autobahn“ singt, paart so liebevoll Sarkasmus und intime Poesie, dass man den eigenen Gefühlen, zwischen Erstarren und Lachen, kaum zu folgen vermag.

Es ist ohnehin mucksmäuschenstill im Saal, doch als er von Hans Lauter, dem letzten Moorsoldaten, den er selbst 2011 noch traf und dann dieses Lied anstimmt, ist die Stille greifbar. Alle, die hier sitzen, fühlen sich jetzt wahrscheinlich im Zuhören und Mitfühlen vereint und viele summen die Melodie, wie ich auch, tief in ihrem aufgewühlten Innersten mit: „Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten – ins Moor.“ Danach lässt er uns wissen, dass heute keiner der Moorsoldaten noch am Leben ist und singt nun „Das Bürgerlied“, das bei mir wieder wie ein freundliches Aufmuntern wirkt. Obwohl die Weise von Adelbert Harnisch aus der Mitte des 19. Jahrhunderts kommt, vermag sie noch immer die Gegenwart zu spiegeln und zu berühren: „Drum ihr Bürger, drum ihr Brüder, alle eines Bundes Glieder, was auch jeder von uns tu', alle, die dies Lied gesungen, so die Alten, wie die Jungen, tun wir, tun wir was dazu!“ HANNES WADER übernahm diese Weise für sein Album „Volkssänger“ (1975).

Mit solchen Gedanken sowie aufgewühlten Herzen schickt er uns in die Pause und empfängt uns dann zuversichtlich mit „Schon morgen“. Dass er sehr feinsinnig, zugleich auch fast bösartig sein kann, das führt er uns (und der überwichtigen Veggie-Szene) mit „Anke’s Bioladen“ vor Augen. Jetzt ist Lachen angesagt und Schenkelklopfen bei der „Großen Freiheit“. Was ist dieser HANNES WADER doch für ein wunderbarer Geschichtenerzähler, dem es doch tatsächlich gelingt, intime Poesie mit leisem Protest und feinsinniger Unterhaltung zu vereinen. Das schafft er mit einem alten Volkslied ebenso wie mit seinen eigenen Liedern, von denen er so viele schrieb. Wenn er sich eine Melodie ausborgte und ihr seine eigenen deutschen Worte schenkte, entstand oft eine seltenschöne Symbiose, so wie im Falle von Eric Bogle’s „No Man’s Land“ (1980). Dem verpasste er mit „Es ist an der Zeit“ eine bittere und aufrüttelnde Botschaft. In meinem weichen Sessel sitzend, spüre ich dennoch die Zugkraft, die von dieser Anti-Kriegs-Hymne ausgeht, einen förmlich zwingt, aufzustehen und aufzuschreien. Erst recht heute und in diesen Tagen, denke ich, und der aufbrausende Applaus sagt mir, ich bin nicht allein, als er Leute wie Warren Buffet ins Visier nimmt und vom „nackten Entsetzen“ spricht, das ihn bei solchen Gedanken packt. Man könne dieses System derzeit nicht abschaffen, denkt er laut nach, aber vielleicht könne man „Trotz alledem“ Sand ins Getriebe streuen, damit es knirscht. Der Vergleich gefällt mir und die Vorstellung, Gleiches zu tun, auch.

Dieser HANNES WADER liefert nicht die perfekte Show, nicht aufgeblasenes Entertainment und gleich gar nicht verbales Anbiedern. WADER steht an diesem Mikrofonständer, sprudelt Gedanken heraus, um sie manchmal auch wieder zu relativieren und lässt dies alles mit stillem Witz über die Rampe, so dass genug Platz für Nachdenklichkeit bleibt. Vorn auf der Bühne steht nur ein Mann mit seiner Gitarre und singt seine Lieder. Das ist schlicht grandios und wirkt ehrlich, als er tatsächlich „Macht’s gut“ in den Saal sagt und schenkt uns dann noch „Dass wir so lang leben dürfen“. Still und aufrecht stehend genießt er seinen Applaus. Er geht von der Bühne und der Mikrofonständer steht wieder allein da.

Was für ein tolles Konzerterlebnis, so schlicht und überwältigend zugleich. Doch ohne Zugabe geht es nicht. Er singt uns, passend zur Abschiedsstimmung, sein „Schon so lang“ von „7 Lieder“ (1972) und wieder ist dieser Kloß im Hals und ja, auch die Augen sind feucht. Den Kloß kann ich dann doch beim gemeinsamen abschließenden Singen von „Sag’ mir wo die Blumen sind“ wenigstens teilweise nach unten Schlucken. Danach ist nur noch Applaus, lange, ganz lange. Noch drei Konzerte wird HANNES WADER geben, noch drei Mal Applaus erhalten und vielleicht werden auch Tränen kullern. Komisches Gefühl, dies hier nicht wiederholen zu können. Minuten später darf ich ihm noch beim Signieren am Bühnenrand tief in die Augen sehen und seinem „Macht’s gut!“ mein „Alles Gute!“ entgegnen. Eine beeindruckende Künstlerpersönlichkeit und großartiger Mensch ist im Begriff, sich zu verabschieden und ich durfte ihm „Tschüss!“ sagen. Nur ein einsamer Mikrofonständer bleibt zurück.

Angefügte Bilder:
CIMG9424.JPG

www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
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#2

RE: HANNES WADER - "Macht's gut!" - Abschiedskonzert in Helmstedt

in Konzertberichte 2019 und älter 25.11.2017 20:45
von PMausM | 1.820 Beiträge | 3861 Punkte

Lieber Hartmut, hast du toll geschrieben. Hatte auch überlegt, noch mal zu Hannes Wader zu gehen. Habe aber einfach von all den Abschieden die Nase voll.
An Hannes Wader hänge ich sehr. Habe ihn schon zu Ostzeiten gesehen. Stand vor der Stadthalle in Karl Marx Stadt ( hochschwanger) mit einem Schild : Suche Karte. Mein Sohn heißt übrigens Hannes.

Hatten ihn in Gera und Chemnitz erlebt. Der Clip hier ist einer meiner meist gesehenen. Schon 130 000 Menschen haben ihn angesehen.

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#3

RE: HANNES WADER - "Macht's gut!" - Abschiedskonzert in Helmstedt

in Konzertberichte 2019 und älter 28.11.2017 05:15
von Kundi | 3.250 Beiträge | 7335 Punkte

Hab es leider nie geschafft Hannes Wader live zu sehen, aber ich schätze ihn sehr.
Seine CDs höre ich immer wieder gerne. Einige seiner Lieder bzw. auch einige der von ihm interpretierten Arbeiterlieder haben wir zu Singegruppen
ebenfalls gesungen.

Deshalb spricht mich Dein toller Bericht auch so an, lieber Hartmut.
Herzlichen Dank dafür.

Gruß Kundi


zuletzt bearbeitet 28.11.2017 05:15 | nach oben springen


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