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NORLAND WIND am 14.12.2015 in Halberstadt

in Konzertberichte 2019 und älter 16.12.2015 18:48
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Norland Wind – die sanften keltischen Klänge (14.12.2015)

Sucht man die Anfänge von NORLAND WIND, muss man zurück ins Jahr 1993, als KERSTIN BLODIG und THOMAS LOEFKE, die Berlinerin mit nordischer Herkunft und der Schwarzwälder, erstmals als Duo auf einer Bühne standen, um zu musizieren. Beide verbindet eine gemeinsame Liebe zu den keltischen Klängen, die LOEFKE wiederum schon vorher mit Musikern von CLANNAD zusammenführte. Damals entstand auch die erste CD, schlicht „Norland Wind“ (1993) betitelt. Inzwischen haben auch andere Musiker, wie der Schotte IAN MELROSE (Gitarre, Flöte), MÀIRE BREATNACH (Violine) aus dem Umfeld von Riverdance, oder auch der ex-Wacholder MATTHIAS KIEßLING (Gitarre, Keyboards) das Line-Up vervollständigt und den Sound ergänzt. Ich erlebte das Projekt erstmals im Club Passage von Dresden und dann immer mal wieder einzelne Musiker in anderen Besetzungen. Mal als KELPIE, dann bei EIST und auch als Trio HULDRELOKKK. Es war jedes Mal neu, anders und immer wieder spannend, was für einen weiten Bogen man von keltisch urbaner Musik bis zur skandinavischen Folklore spannen kann. Mich fasziniert, wie es dem Duo BLODIG & LOEFKE immer wieder gelingt, neue Inspirationen für ihre Musik zu finden, indem sie andere Musiker und deren Einflüsse einbeziehen.

Heute bin ich auf dem Weg ins Gleimhaus von Halberstadt. Ich muss nicht nach Dresden, nicht nach Radebeul oder Coswig fahren. Ein kurzer Abendspaziergang über den Holz- und Fischmarkt, vorbei an der Stadtkirche, zum Gleimhaus neben dem Dom. Heute lockt mich außerdem NOEL Ò DÙIGÀIN, der Gitarrist von CLANNAD, einem Familienprojekt, in dem übrigens auch ENYA ihre Wurzeln hat. Erst vor einer Woche hatte ich MOYA BRENNAN, die ältere Schwester von ENYA und Sängerin von CLANNAD, in Braunschweig erleben dürfen. Der Abend heute könnte also noch einmal ein Zurück zu den Wurzeln werden, ein Entdecken dessen, was inzwischen als Celtic Music massenkompatibel unters (Käufer)Volk gejubelt wird. Leider geht dabei die ursprüngliche Reinheit und Ruhe dieser Art Folk-Musik gänzlich verloren. Nur in kleinen Nischen, wie NORDLAND WIND oder KELPIE welche sind, musiziert man den Ursprüngen noch wirklich nahe und darf staunen.

Das Instrumentarium im Foyer des Gleimhauses ist entsprechend übersichtlich, als die Musiker vor die Stuhlreihen treten: zwei Gitarren, Keyboard, Violine und im Zentrum, obwohl an der Seite zu finden, die keltische Harfe. Deren Saiten beginnen, zunächst noch verhaltend, durch die Finger von THOMAS LOEFKE, zu singen, bis schließlich alle Instrumente die Melodie „Arrivals“ aufgegriffen haben und zarte Klänge im Raum schweben. Das kleine Instrumentalstück beschreibt jenen einzigen Tag Ende April, an dem zehntausende Papageientaucher innerhalb weniger Stunden auf die Färöer-Inseln, wo ANGELIKA NIELSEN, die Lady mit der Violine, zu Hause ist, zurückkehren.
Die Außenwelt habe ich jetzt ganz und gar abgeschaltet, bin angekommen. Ich kann der Violine und der Harfe zuhören, kann genießen wie NOEL Ò DÙIGÀN eine alte Weise in gälischer Sprache singt, so fremd und dennoch für mich sehr berührend. Diese Art, Lieder irgendwie besonders sehnsuchtsvoll zu singen („Kommt, ihr irischen Männer, alle nach Hause“), geht mir schon immer tief unter meine Haut. Selbst fröhliche Inhalte haben die Gabe, die Melodien irgendwie wehmütig erscheinen zu lassen. Ein Beispiel dafür ist „Suibhan Ni Dhuibhir“, ein Traditional aus Irland, das von einer Frau, die den Mann zum Schuhe kaufen schickt, erzählt und der das Geld in der Kneipe lässt, weil ihm Schuhe wohl nicht so wichtig sind. Diese Geschichte hört sich zwar lustig an, klingt aber dennoch irgendwie schwermütig schön, so wie die Ballade von NOEL gesungen wird.

Völlig anders berührend empfinde ich das Geigenspiel von ANGELIKA NIELSON, weil mich in meinen Kindertagen das Üben mit dem Instrument gequält bis begeistert hat. Heute erscheint mir ihr Spiel mit den vier Saiten zart, schon fast zerbrechlich und ich bewundere sie, wie sie dieses „Snowy Birchtrees“ zaubert. Das Stück erzählt von den „Eingeschneiten“ in der Bergstadt Röros, einem der kältesten Orte Norwegens, und sie spielt dafür filigrane Klänge auf der Violine. Mit ein wenig Fantasie gelingt es ganz gut, die Einsamkeit in der Musik nachzufühlen. Doch sie kann auch fröhlich und beschwingt, wie sie uns mit „Dogg Og Sproti“, einem langsamen Walzer, den sie ihren beiden Kindern gewidmet hat, sehr eindrucksvoll vorführt und begeistert. Die Geschichte dahinter ist übrigens ebenso interessant.

Die fünf Musikanten zelebrieren die ruhigen, die intensiven und einfühlsamen Klänge. Wenn THOMAS LOFKE in die Saiten der Harfe greift, kann man beinahe auch die Stille im Raum mithören. Das Gefühl hatte ich vor einer Woche bei MOYA BRENNAN in Braunschweig und jetzt ist es wieder da, während Violinen- und Gitarrenspiel über dem Klang der Tasten zu schweben scheinen und NOEL Ò DÙGÀN das traurigste Liebeslied Irlands, so die augenzwinkernde Ansage, („Brid Og Ni Mhaille“) singt.

Nach einer kleinen Pause serviert uns ANGELIKA mit ihrer Violine das Stück „At The River Of Thor“, das zunächst sehr getragen beginnt, dann aber nahtlos in „Brimgjair“ übergeht und plötzlich scheint die kleine Frau beim Spiel zu explodieren. Wir erleben sie sehr expressiv, mit einem kräftigen Touch von Jazz inspiriert, dass es ein helles Vergnügen ist, von der Treppe aus, auf der ich gerade stehe, ihr Geigenspiel zu bewundern. Das ist schon ein sehr besonderer Moment, den wir erleben dürfen. Und dann steht dieser unscheinbare irische NOEL ganz allein, ohne seine Gitarre, am Mikrofon und singt uns a capella eines jener uralten Lieder seiner irischen Heimat, wie man sie heute live kaum noch zu hören bekommt. „Tà Mo Chleamhneas A Dheanadh“ ist für mich der heimliche Höhepunkt des Abends, weil hier Folk und Tradition der irisch-schottischen Inseln in ihrer ursprünglichsten Form zu erleben und zu hören sind, so, wie ich sie sonst nur von den alten Platten der Carthy Family kenne. Rau und ungeschliffen, ganz einfach wunderschön.

Wer NORLAND WIND schon einmal live erlebt hat, der vermisst natürlich KERSTIN BLODIG mit ihrer ausdrucksstarken Stimme und ihrem unverwechselbaren Gitarrenspiel. Sie ist leider erkrankt und den Gitarrenpart hat ein mir, bis zu diesem Abend, völlig unbekannter Musiker aus Dresden übernommen. PHILIPP WIECHERT fügt sich mit seinem Spiel dezent und überzeugend in das Ensemble ein, verleiht dem Klang mit seinem Spiel und einigen solistischen Ausflügen Fülle und Glanz. Auf eher unglückliche Weise kommen wir in den Genuss eines Abends, der sicher so schnell nicht zu wiederholen sein wird, denn natürlich ist das Programm ein anderes, als sonst. Eine Besonderheit ist sicher auch, dass unter diesen Umständen NOEL Ò DÙIGÀN öfter in die Fundgrube keltisch-irischer traditioneller Songs greifen kann. So hören wir „Fannan An Cnoic“, ein schönes Lied, das er für seinem Hund schrieb und auch die alte Irische Ballade vom „Foggy Dew“, die ich von den DUBLINERS kenne, bekommen wir nun in einer eigenen Interpretation zu hören. Auch den abschließenden „Storm In A Teacup“ (etwa: Sturm in einer Teetasse) habe ich schon einmal mit KELPIE live gehört. Es ist immer wieder schön, wenn man solche Parallelen und Querverbindungen findet, die letztlich das Sahnehäubchen auf so ein Hörerlebnis sind.

Dieser intime Montagabend findet mit zwei Zugaben sein Ende. Für mich ist die alte irische Volksweise „Gleanntainn Ghlas Ghaoth Dobhair“, die ich von einer LP der irischen Sands Family kenne, eines der schönsten Lieder aus dem Fundus der grünen Insel. So intensiv, wie es NOEL nur wenige Meter vor mir singt, so werde ich es wohl auch lange in meiner Erinnerung behalten. Daran ändert selbst der fröhliche „Dusty Windowsill“ zum Abschluss nichts mehr. Für mich ganz persönlich war es der Abend des Mannes, der bei CLANNAD zu Hause und tief im Irischen verwurzelt ist - so wunderschön fremd und dennoch auch gefühlt sehr nah. Vielleicht ist es diese Formulierung, die für mich den Reiz solcher Musik am besten umschreibt. Ich habe meine Empfindungen vom nordischen Wind mit nach Hause genommen, um sie aufzubewahren. Bald irgendwann wird der deutsche Winter hier ankommen und dann kann man vielleicht etwas mehr gespeicherte Wärme im Herzen gut gebrauchen. Um sich selbst zu wärmen oder um anderen in kalten Zeiten davon abzugeben. Musik ist mehr, als nur Töne, Klänge und Rhythmus.

Angefügte Bilder:
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zuletzt bearbeitet 17.12.2015 07:44 | nach oben springen


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