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ANDREAS SCHIRNECK folkt im Papermoon von HBS

in Konzertberichte 2019 und älter 22.09.2014 19:00
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Papiermond, Schirneck & zeitlose Lieder (20.09.2014)

Jede Generation hat ihre eigenen Lieder. Man hört sie in den wilden Jugendjahren, man singt sie allein oder gemeinsam und tanzt zu ihrem Rhythmus Arm in Arm durch eine unbeschwerte Zeit. So bleiben die Melodien in unseren Erinnerungen kleben, während das Leben uns, mehr oder wenig heftig, in die Mangel nimmt. Erst viel später, die Kinder sind längst mit ihrer eigenen Musik beschäftigt, kommt so ein Augenblick und plötzlich sind nicht nur die alten Szenen wieder im Kopf, sondern wir beherrschen singend die Worte und Töne aus den Zeiten der „Jugendliebe“ wieder, singen vom „Heart Of Gold“ und fahren mit der „City Of New Orleans“ für einen Wimpernschlag in jene Jahre zurück. Ohne seine Erinnerungen kann kein Mensch mit der Zukunft etwas anfangen, denke ich mir, weil er sonst seine Orientierung verlieren würde. Erinnerungen lasse ich mir auch nicht nehmen oder gar schlecht reden. Sie gehören zu mir.

Heute vollendet sich die dritte Woche, seitdem ich in der Stadt mit dem Domschatz angekommen bin. Vieles ist mir noch neu, noch mehr will erst noch entdeckt werden. Ich weiß, wo die nächste Kneipe zu finden wäre, kenne den Tierarzt um die Ecke, habe den Sparkassendirektor gesprochen und mich durch mindestens zehn verschiedene Supermärkte gequält. Mein Bier kann ich jetzt auch selbst kaufen und habe mit der netten Dame vom Friseur gleich um die Ecke ein angenehmes Gespräch gehabt. Der Himmel hier ist blau, wie überall und die Behörden zäh und eingefahren, auch wie überall. Wenn einer in drei Wochen hier schon zwei Mal „zur Mugge“ war, obwohl noch Kisten auszupacken wären, und die Zeit findet, in Meissen einer fitten Fünfzigjährigen zum Geburtstag zu gratulieren, dann fühlt er sich offensichtlich wohl in der neuen Umgebung!

In einer der winkligen Seitenstraßen der Altstadt hängt an einem der schiefen Häuser ein Schild. Die Kneipe nennt sich PAPERMOON und die Inhaberin schreibt dahinter – KULTURerLEBEN. Mir gefällt die Wortkombination und das Programm, das ich entdeckt habe, hält interessante Angebote bereit. Der „Papiermond“ hat mich heute mit einem guten Freund hierher gelockt, dem ich schon öfter begegnet bin und der es wirklich sehr gut verstecht, die handgemachten Lieder aus meiner Jugend erklingen zu lassen: ANDREAS SCHIRNECK. Drinnen ist es gemütlich und angenehm eng zwischen Tisch und dem Tresen. Da kann sich keiner unberührt vorüber schleichen und der Folk-Barde aus Thüringen staunt nicht schlecht, uns hier zu treffen. Überraschung gelungen, das dunkle Bier schmeckt, gute Stimmung ist vorprogrammiert.

Natürlich liebe ich es, wenn Künstler ihre eigenen und aktuellen Lieder präsentieren, aber ebenso gern lasse ich mich zu den Anfängen entführen, als deutsch und Eigenes noch von vielen belächelt wurde. Neben dem Mikrofon steht eine alte Stehlampe und in deren matten Licht singt uns der Thüringer vom „Herz aus Gold“ und den Dylan-Klassiker „It’s All Over Now, Baby Blue“ der damals in der Version der legendären Them bekannt wurde. Ich erinnere mich an den verstorbenen Schlagzeuger und Sänger von The Band, während ich „The Night They Drove Old Dixie Down“ mitsumme und auf dem anderen Gleis uns der „City Of New Orleans“ von Arlo Guthrie begegnet. All diese Lieder habe ich hundert Mal gehört und genau so oft selbst zur Gitarre gesungen. Handgemacht eben. Zwischendurch bekommen wir Anekdoten und Begebenheiten aus einem langen Musikantenleben zu hören. Vieles davon kenne ich auch aus eigenem Erleben, manches habe ich etwas anders abgespeichert und ein paar Sachen, der Lebensuhr geschuldet, ihm voraus. Kein Wunder also, dass ich bei „Out Of Time“ von den Stones lauthals mitsingen kann und ich bei „Something In The Air“ an die kleine Single zu Hause bei mir im Regal denke. Wer kennt denn heute Tunderclap Newman noch oder wer den alten Weltenbummler Kirkbride?

JOHN KIRKBRIDE ist ein Urgestein, der viel in der Welt erlebt hat und vielen begegnet ist. Ich habe ihn gemeinsam mit FERDL EICHNER live erlebt und irgendwann ist er auf SCHIERNECK getroffen. Bei gemeinsamen Auftritten entstanden gemeinsame Lieder und daraus die CD „The Gambler“, aus der uns ANDREAS den „Lonesome Troubadour“ singt. Das Stück passt prima zu den alten Folk-Perlen, denn die Worte von Altmeister KIRKBRIDE atmen den Hauch eines Straßenmusikers, der die Welt gesehen hat. Vor Jahresfrist hatte ANDREAS SCHIRNECK von gemeinsamen Liedern auf CD noch als zukünftiges Vorhaben gesprochen. Seit einiger Zeit kann man sich den Silberling zulegen.

Wer ANDREAS SCHIRNECK gut kennt, weiß von dessen Kollaborationen mit KLAUS RENFT und von der Bewunderung, die er den Liedern der originalen Sachsencombo entgegen bringt. Kaum ein solcher Abend vergeht, ohne dass nicht auch einige Songperlen erklingen, die aus dem Fundus der Leipziger stammen. So hören die Nachbarn des PAPERMOON zur nächtlichen Stunde den gemeinsamen Gesang des Liedchens vom „Baggerführer Willi“ und vom „Gänselieschen“. Die „Besinnung“ von CÄSAR jedoch genießen wir kurz vor Mitternacht in aller Stille, während meine Gedanken dabei in den Erinnerungen an den Barden wühlen. Verdammt, wie doch die Zeit vergeht und wieder einmal reift die Erkenntnis, sinnvoll mit ihr umzugehen.

Die Nacht nach drei Stunden voller Musik ist sommerlich lau. Vor Minuten noch habe ich mit Freunden im „Papiermond“ beim Erinnerungsfoto gelacht und jetzt verhallen die Schritte in der engen Gasse zum Domplatz hin, wo im Dunkel ein silberner Skoda auf uns wartet. Die neue Heimat scheint mich freundlich aufnehmen zu wollen. Für morgen ist Regen angekündet und übermorgen öffnen sich die nächsten Behördentüren, um meine Ankunft hier auch bürokratisch zu untermauern. Vielleicht sitze ich dann wieder wartend vor einer Bürotür und eine Melodie von gerade eben wird in meinem Kopf herum schwirren. Vielleicht wird es „Teach Your Children“ sein, vielleicht aber auch die „Sonne wie ein Clown“. Jahrzehnte nach deren Entstehen sind die Botschaften noch immer nicht von gestern und so manches dieser Lieder ist eben, vielleicht auch, weil es in der DDR entstanden ist, ein Stück zeitloses Kulturgut geworden.

Angefügte Bilder:
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zuletzt bearbeitet 23.09.2014 09:01 | nach oben springen


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