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MIGHTY OAKS singen und folken am "Weißen Hirsch", Dresden

in Konzertberichte 2019 und älter 03.08.2014 19:35
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Mighty Oaks – wenn Mächtige Eichen singen ( 02.08.2014 )

Dieser schwüle Sommer macht träge und die letzten Tage hier rauben mir Energie. „Meine Batterie ist alle“, sang vor gefühlten tausend Jahren eine rauchige Stimme und genau so ist mir derzeit. An Schlaf und Entspannung ist nicht wirklich zu denken und so muss ich einen anderen Ort finden, wo ich mich auftanken und entspannen kann. Es sollte ein Ort mit einem „singenden klingenden Bäumchen“ sein, hatte ich mir vorgestellt. Kein Ort „Alt wie ein Baum“, wie eine gealterte Rock-Kapelle, mit einer Herde Wehmut im Gefolge, in ihren letzten Stunden bis hin zum Ultimo Ratio auf der finalen Bühne trällert, sondern mich gelüstet nach unverbrauchten und frischen Liedern. Mir ist noch nicht nach Abgesang, während die Generation der jungen Wilden mit ihren Fühlern schon längst ihren neuen Helden huldigt. Dort wollte ich sein, da möchte ich Frische laden, den Blick nach vorn in die Zukunft, statt nach hinten blickend, „wie war es doch schön“ zu sülzen. Ich will noch einmal raus aus dem Mief, musikalisch und sowieso. Neugier ohne Vergessen, Veränderung ohne Trauer. Das ist meine „Lust auf Abenteuer“.

Der Möglichkeiten gibt es viele und das gilt bei Weitem nicht nur für Jugendliche, sondern auch und noch immer für jung Gebliebene. Man sollte loslassen können weit vor dem letzten Ton und sich die Lust auf neue Entdeckungen und Horizonte bewahren, ehe die auch schon wieder zu Altern beginnen. Da bringt es nichts, alten Gedanken neue Kleider zu verpassen. Das begreift man, je knapper die Zeit dafür wird und das Gespür dafür wird auch immer schärfer, so meine Erfahrung. Also raus und hinein in unbekannte Gefilde.

Bei meiner Suche bin ich auf „Mächtige Eichen“ gestoßen. MIGHTY OAKS waren vor Jahresfrist noch ein Geheimtipp unter den Alternativen. Inzwischen ist das Geheimnis den Kinderschuhen entwachsen, aber noch immer ein Symbol für Größe, für Weite, Kraft und Romantik – so wie eine gewaltige Eiche eben. Die drei jungen Herren habe ich vor Jahresfrist in Dresden verpasst, aber diesmal fahre ich den drohenden Gewitterwolken und dem angekündigten Starkregen entgegen, hoch zum „Weißen Hirsch“ auf den Elbhängen. Gleich hinter dem Parkhotel beginnt der dichte Wald und dort kuschelt sich eine wunderschöne Bühnenanlage, der Konzertplatz „Weißer Hirsch“, unter die gewaltigen Baumwipfel im weiten Rund. Warum eigentlich war ich noch nie hier?

Ganz langsam füllt sich der Platz vor der Bühne. Andere haben am hinteren Rand unter einem Dach ihren Platz gefunden und wieder andere holen sich Klappstühle, um sich einfach mitten in das Areal zu setzen. Es ist eine bunte Mischung aus jungem Volk, Studenten, Bewohner der Neustadt vielleicht und einigen wenigen, zu denen ich gehöre. Die Bezeichnung „alternativ“ passt ganz gut und plötzlich fühle ich mich, eingebettet in junge Weiblichkeit, richtig gut, als Momente später so ein unscheinbarer Typ auf der Bühne sitzt, eine Gitarre nimmt – und dann stockt mir der Atem.

CHARLIE CUNNINGHAM ist Engländer, aber mit seiner Gitarre versetzt er mich von jetzt auf gleich in spanische Stimmung. Sein Spiel auf den Nylonsaiten schein vom Flamenco inspiriert, ist scharf und schnell im Anschlag sowie unwahrscheinlich exakt rhythmisch. Bei seinem Spiel bekommt man das Gefühl, mit einer „dritten“ Hand würde sein Instrument außerdem zur Perkussion benutzt und doch ist es ein schlichter, aber sehr wirksamer eigener Still, den wir hier präsentiert bekommen. Dieser Typ sitzt da vorn auf einem Stuhl, seine Füße ganz eigenartig fest aneinander gestellt, als müssten sie sich gegenseitig stützen. Doch der ganze Körper umschließt die Gitarre, mit deren Saiten zwei Hände für eine halbe Stunde seltsam schöne Melodien zaubern, zu denen eine ebenso ausdruckstarke Stimme intime Lieder singt.
Ich stehe vor diesem Oval und staune einfach nur. Da vorn sitzt einer, beinahe einsam und allein, und erinnert mich von seiner ganzen Erscheinung her ein wenig an Paco de Lucia, spielt aber Folk auf eine sehr markante Weise, die mich an Nick Drake erinnert. Bei Drake fühlte es sich an, als käme er nicht von dieser Welt und in diesen Live-Momenten habe ich wieder diese bitter-süßen Empfindungen, als würde da vorn einer mit sich selbst meditieren. Diese Musik klingt fein und intensiv geschliffen, ist mit vielen kleinen Verzierungen bestückt und wirkt dadurch unheimlich kompakt. Eines dieser Lieder ist „Outside Things“ (Außerhalb der Dinge) und genau so wirkt es auch auf mich. Das alles passt perfekt zueinander. Dieser CHARLIE CUNNIGHAM beeindruckt mich eine ganze halbe Stunde lang mit seiner Musik und als er, beinahe unauffällig, wieder geht, bleibt Staunen zurück und das Gefühl, hier etwas Außergewöhnliches erlebt zu haben. Diesen Musiker sollte man unbedingt weiter im Auge behalten.

Inzwischen hat sich der Konzertplatz mit einigen hundert Besuchern gefüllt. Zwischen den Bäumen kann man den Himmel erkennen und der verspricht uns, dass es trocken bleiben wird. Auf der Bühne wird fleißig umgebaut und davor drängen sich immer mehr Leute zwischen Teenager und Mitte bis Ende dreißig. Meine Generation vertrete ich allein, aber stolz, mich unter das „junge Gemüse“ gewagt zu haben. Wir sprechen trotzdem miteinander und so erfahre ich ganz persönliche Beweggründe, sich ein Konzert der MIGHTY OACHS anzusehen. Da weiß ich plötzlich wieder, dass Leben doch anders ist als das, was man manchmal dafür vorgegaukelt bekommt. Hier tickt ein anderer Puls und ich denke an jene Jahre, als wir, mit Schlaghosen und Beatles-Look, auch anders sein wollten. Genau dort, nur eben Generationen später, bin ich zum Auftanken angekommen.

MIGHTY OAKS sind drei junge Männer. Einer unterschiedlicher als der andere, denn sie kommen aus den USA, aus England und aus Italien. Zufällig traf man sich in Deutschland, fand Gemeinsamkeiten heraus, durchlebte aber unterschiedliche Stationen und Jobs, ehe sie, nun als Musiker, alle drei in Berlin leben. Der Bandname „Mächtige Eichen“, hat mit all dem nichts zu tun, sondern ist ein Symbol für die musikalischen Vorlieben, die sie miteinander teilen und gemeinsam ausüben. Erdiger Folk mit Gitarren, Mandoline und Bass, trotzig und ehrlich, das Zeitalter der digitalen Sounderzeugung beinahe ignorierend. Das hatte mich neugierig gemacht und deshalb bin ich hier.

Ein Schlagzeug klopft seinen Rhythmus, ein Piano steigt mit wenigen Akkorden ein und der Klang von einer Gitarre ergänzt das Spiel. Aus der Stille einer kurzen Pause erklingt mehrstimmig harmonisch der Gesang von drei Männerstimmen. Da vor mir singen sie „Oh I run away far from this place I go“ und beinahe hätte ich eine Träne im Augenwinkel gehabt, so weit entrückt und wunderschön klingt dieses „Horsehead Bay“. So muss es damals überall in Kalifornien geklungen haben, denke ich so für mich, und doch bin ich „Zwanzig Vierzehn“ in Dresden, Weißer Hirsch. Warum nicht einfach aufgreifen und ergänzen, was schon immer gut und richtig war?

An diesem Abend bekommen wir vorwiegend die neuen Songs von ihrem ersten Longplayer zu hören, der gerade auch als Vinyl erschienen ist. Lieder wie das vor Harmonien trunkene „Seven Days“ oder das dezent vorgetragene „Back To You“, stehen mit ihrem mehrstimmigen Gesang zur Gitarren- und Pianobegleitung unüberhörbar in der Tradition solcher Bands wie Buffalo Springfield oder Amerika, deren „Horse With No Name“ in dieser Stunde durch den Wald zu galoppieren scheint. Die Parallelen drängen sich, wie bei „Just One Day“, förmlich auf und dennoch rockt gerade eine neue Generation mit ihrer ganz eigenen Identität. Jedoch immer dann, wenn Lieder wie „Captain’s Hill“ erklingen und eine sehr persönliche Geschichte erzählen, spürt man den Atem anderer Zeiten sehr deutlich.

Sänger und Gitarrist IAN HOOPER, aus dem Nordwesten der USA kommend, ist die zentrale Figur des Trios. Der langhaarige kleine Mann, mit Bart, Hut und freundlich lächelnden Augen darunter, singt aus seinem eigenen Leben und Erleben. Barfuss stehend singt er in seinen Texten von kleinen Episoden, zu denen er melancholische Melodien findet, die mitunter Ohrwurmcharakter haben. Dann wird hinter mir fleißig mitgesungen. Von den Geschichten dahinter erzählt er in fließendem Deutsch, rutscht aber schnell in seine Muttersprache ab, wenn er von seinen eigenen Gedanken überrannt wird. Gemeinsam mit seinen beiden Freunden CRAIG SAUNDERS, Bass und Mandoline, aus England und CLAUDIO DONIZELLI, am Piano oder mit Gitarre, aus Italien sind sie offenbar eine Band, die gerade exakt den Nerv junger Menschen zu treffen scheint. Unterstützt werden die drei Musiker bei diesem Konzert von einem bestens aufgelegten Drummer aus Österreich, der sich unauffällig, aber wirkungsvoll in die Band integriert. Dieses „Just One Day“ zum Beispiel entwickelt einen beinahe unglaublich schönen Charme und dennoch ist der Sound, der es von der Bühne katapultiert, beinahe nüchtern und völlig transparent. Man freut sich und tanzt neben mir einfach mit. Es ist die beste Musik, die mir an diesem schwül-warmen Sommerabend passieren konnte.

Zwischen die neuen Lieder streuen MIGHTY OAKS einige wenige ihrer älteren Kompositionen. So von ihrer ersten EP „The Great Nordwest“ und von einer anderen das mitreißende „Picture“, mehrstimmig zu dezenter Piano-Begleitung gesungen. Spätestens jetzt haben sie in einem „alten Sack“ einen neuen Fan an ihrer Seite, der gerade seine Batterien im blauen Licht der Spots und beim treibenden Spiel der Gitarre, das mich entfernt an The Edge von U2 erinnert, auflädt und sich am Klang von „So Low, So High“ erfreut.
Ich bin total begeistert von der Musik, die ich gerade entdecke. Doch die Masse hinter mir scheint auf einen ganz besonderen Song zu warten und den bekommen sie, als CRAIG seinen Bass gegen eine Mandoline eintauscht und der bärtige IAN meint, man könne seine Freundin auf die Schulter heben, um besser sehen zu können – und dann geht die Party mit „Brother (I Follow You)“ richtig los, mit mir mittendrin. Kein Gedanke an irgend so eine Abschiedstour. Hier rockt die Jugend und Stunden später werde ich aufgeklärt, dass „Brother“ ja im Radio gerade rauf und runter gespielt wird. Was bin ich da stolz auf mich, dass ich den Weg zu den Gesängen der „Mächtigen Eichen“ ganz allein und ohne Radio gefunden habe!

Die Stimmung ist schon lange auf dem Höhepunkt und MIGHTY OAKS bei und auf „The Golden Road“ angelangt. Mit „Horse“, einem dynamischen Reißer, wollen die Drei ihr Konzert beenden und treffen natürlich, wenn wundert’s, auf massiven Widerspruch und Zugaben-Rufe. Man lässt sich nur ein paar Momente, bis zum erneuten Erscheinen, bitten. Jetzt erst bekommen wir mit „Howl“ den Titelsong der aktuellen Scheibe zu hören und ganz zum Schluss erklingt noch einmal die Mandoline bei „Driftwood Seat“. Da ist die ganze Faszination von MIGHTY OAKS in einem einzigen Stück komprimiert und die Freude am Folk’n’Rock wird von einem ausgelassenem Publikum gefeiert. Keine Routine, keine Rituale und auch keine Banalitäten, sondern nur Musik, wie sie lebensfroh und moderner derzeit wohl kaum sein kann. Manchmal erwischt man so einen Moment und man ist, statt auf eingefahrenen Wegen zu wandeln, auf einer spannenden Entdeckungsreise wieder mittendrin in der realen Musiklandschaft und dennoch weit davon entfernt, den Massengeschmack nachzukauen. Nur hätte ich am Einlass für mein Geld auch gern ein schön gestaltetes Ticket von MIGHTY OAKS erstanden, statt einfach einen blassen Stempel auf den noch blasseren Unterarm zu bekommen.

Der Starkregen muss in der Nacht auf einem anderen Ort nieder geprasselt sein. Die wenigen Tropfen Regen auf dem Rückweg zu meinem Blechfreund, sind im schweißnassen T-Shirt nicht spürbar. Noch immer ist es schwül und mir ist heiß vom Erleben der MIGHTY OAKS. Ich war gerade an einem Ort voller Sehnsüchte und Magie, fernab von Klischees und musikalischer Alltagskost. Manchmal braucht es den Schritt in die richtige Richtung, ohne sicher zu sein, was der übernächste bringen wird. Ein Ziel wird sich erst später zeigen, falls es eins gibt. Aber dann weiß man wenigstens, dass man noch viel vor sich und all das Hinderliche weit hinter sich gelassen hat. Die Aura und das Charisma von drei „Mächtigen Eichen“ haben mir ein wenig dabei geholfen.

Angefügte Bilder:
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www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
zuletzt bearbeitet 03.08.2014 19:37 | nach oben springen


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